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FINANZWISSEN

Die Grundidee von Low- oder Minimum-Volatility ETFs

von Markus Kaiser

Mit geringeren Schwankungen ans Ziel kommen, so einfach lässt sich die Grundidee von Low- oder Minimum-Volatility ETFs beschreiben. Im Mittelpunkt dieses Faktors steht die Risikokennzahl Volatilität, die als besonders aussagekräftig gilt, da sich damit einerseits die Kursschwankungsintensität eines Wertpapiers ausdrücken lässt, andererseits auch eine gute Vergleichsmöglichkeit zu anderen Wertpapieren gegeben ist.

Low-Volatility ETFs gelten als defensive Strategiebausteine im Portfolio, denn sie investieren in eine Auswahl an Unternehmen, die eine ge- ringe Volatilität in der Renditeentwicklung ausweisen. Doch was kann der Faktor neben der Minimierung der Verlustrisiken noch leisten und wo lauern mögliche Fallstricke? Wir nehmen das Produktangebot der Low-Volatility ETFs genauer unter die Lupe und stellen einzelne Investmentmöglichkeiten vor.

Komplexe Berechnungsmethodik

Über Investitionen in Low-Volatility-ETFs setzen Fonds-Selektoren und Anleger gezielt auf Aktien innerhalb eines Investmentuniversums, bei denen die Wertschwankungen historisch am geringsten ausgefallen sind. Die Volatilitäten, berechnet über die Standardabweichung, werden auf Basis historischer Kursdaten (historische Volatilität) oder durch aktuelle Optionspreise (erwartete Volatilität) ermittelt und gelten als wesentliche Kennzahl für Schwankungen.

Eine hohe Volatilität birgt bei einer Aktie ein relativ hohes Verlustrisiko, ist dafür allerdings auch mit höheren Renditechancen verbunden. Um diese Titel geht es hier aber nicht, vielmehr stehen Aktientitel mit niedriger Volatilität im Vordergrund, bei denen im Vergleich zum eingegangenen Risiko eine überdurchschnittliche Rendite zu erwarten ist. Berechnungsmethoden der Minimum-Variance, die größtenteils ebenfalls in den Selektionsprozess einfließen, ermöglichen die Betrachtung auf ein ganzes Aktienportfolio (Index) auszudehnen.

Dabei wird im Rahmen eines komplexen Optimierungsverfahrens die Korrelation der Werte untereinander sowie der Anteil der einzelnen Titel am Gesamtrisiko des Portfolios berechnet und bei der Titelauswahl berücksichtigt. Der Haken ist allerdings, dass die besonders defensiven Aktien gerade in guten Börsenzeiten häufig geringere Kursgewinne erzielen.

Vielfältiges Angebot

Mittlerweile gibt es rund 30 ETFs am Markt, bei denen die weniger volatilen Aktien aus dem jeweiligen Indexuniversum bevorzugt werden. Der Großteil der in Europa investierbaren ETFs wendet den Low-Volatility-Ansatz auf die bekannten Aktienindizes MSCI World, MSCI USA, MSCI Europe, MSCI EMU, MSCI EM, S&P-500 sowie den Euro Stoxx an.

3 Mrd. Euro Anlagevolumen!

Der iShares Edge MSCI World Minimum Volatility UCITS ETF (Acc) (WKN A1J781) ist mit einem Anlagevermögen von mehr als 3 Mrd. Euro mit Abstand der bedeutendste Low-Volatility ETF im europäischen Markt. Der thesaurierende ETF wurde bereits Ende November 2012 aufgelegt und bildet den zugrundeliegenden MSCI World Minimum Volatility Index physisch nach. Die Gesamtkostenquote beträgt 0,30% p.a. und reiht sich damit in die Angebotspalette der iShares Factor ETFs ein, die auf MSCI Indizes basieren.

Alternativ steht mit dem Xtrackers MSCI World Minimum Volatility UCITS
ETF (WKN A1103F) ein weiterer global ausgerichteter Low-Volatility ETF zur Verfügung, der ebenfalls den MSCI World Minimum Volatility Index physisch abbildet. Die Gesamtkostenquote des 388 Mio. EUR großen ETFs wird mit 0,25% p.a. ausgewiesen. Damit ist der im September 2014 aufgelegte ETF vom Anbieter DWS um 0,05 Prozent p.a. günstiger als das Pendant vom Marktführer Blackrock.

Geringes Beta, niedrigere Volatilität

Bei beiden Minimum-Volatility ETFs erhalten Fonds-Selektoren eine auf das geringste absolute Risiko ausgerichtete Optimierung des MSCI World Index, die vom Indexanbieter MSCI halbjährlich angepasst wird. Der MSCI World Minimum Volatility Index ist mit 286 Unternehmen deutlich konzentrierter aufgestellt als sein Mutterindex, der MSCI World Index, der mehr als 1.500 Titel umfasst. Darüber hinaus weist der MSCI World Minimum Volatility Index erwartungsgemäß geringere Beta- und Volatilitätsmerkmale auf. Das Beta liegt lediglich bei 0,64 und die 10- Jahres-Volatilität notiert mit 10,6 im Vergleich zu 13,5 beim MSCI World Index ebenfalls deutlich niedriger. Im Durchschnitt sind die Indextitel beim MSCI World Minimum Volatility Index mit 0,35% gewichtet, und der größte Titel im Index ist derzeit PepsiCo mit 1,5% Gewichtung, während die Rangliste im MSCI World Index von Apple mit einem Anteil von 5,2% angeführt wird.

Defensive Sektoren bevorzugt

Der Sektor Informationstechnologie ist mit 22% Gewichtung im MSCI World Index inzwischen zum größten Sektor angewachsen. Im MSCI World Minimum Volatility Index machen die Technologietitel jedoch nur knapp 13% des Portfolios aus, was immerhin noch knapp zum drittgrößten Sektor reicht. Mit 19% steht hier das Segment der Aktien aus dem Gesundheitswesen an der Spitze, gefolgt von Basiskonsumgütern, die mit knapp 14% gewichtet sind. Es folgen noch Kommunikationsdienste mit rund 12%, gefolgt von Finanzunternehmen und Versorgungsunternehmen mit rund 11% bzw. knapp 8%. Die USA ist mit knapp 60% am höchsten gewichtet, dann folgen Japan (knapp 12%), die Schweiz mit etwas mehr als 8% und Kanada mit ca. 5% (Daten per 31.05.2023).

Bis vor 2 Jahren hatte der MSCI World Minimum Volatility Index gegenüber dem MSCI World In- dex die Nase vorn.

Vor allem in der heißen Phase der Coronakrise im März 2020 konnte er sich deutlich stabiler halten als der MSCI World Index. Der maximale Drawdown in den letzten 5 Jahren betrug knapp18 Prozent, während der MSCI World Index zwischenzeitlich Rückschläge von mehr als 25 Prozent hinnehmen musste. Bereits in den 1970er-Jahren stießen Forscher darauf, dass Aktien mit geringer Schwankung langfristig eine genauso hohe oder sogar höhere Rendite erzielen können als der Gesamtmarkt.

Doch seit den Tiefpunkten der Corona-Krise haben sich vor allem volatilere Technologietitel besonders gut entwickelt und die sind im MSCI World Minimum Volatility Index gegenüber dem MSCI World Index deutlich untergewichtet.

10 Mrd. EUR haben sich bereits für die nächste Krise gewappnet

Nach 10 Jahren Low-Volatility ETFs am Markt, kann man ein Zwischenfazit wagen. Low-Volatility ETFs ermöglichen gezielte Investitionen in defensivere Aktien, die in Krisenphasen auch aufgrund ihres geringeren Betas einen gewissen Risikoschutz bieten. Daher sind sie inzwischen auch ein beliebtes strategisches Investment.

Der Haken dabei, defensive Aktien sind nicht in jeder Marktphase das perfekte Investment. Kommt es zu dynamischen Kursanstiegen, die von volatilen Aktien angeführt und getragen werden, dann haben Low-Volatility ETFs das Nachsehen. Überhaupt stellt sich auch noch die Frage, ob der Faktor Volatilität möglicherweise gar nicht als eigenständige Faktorprämie zu sehen ist.

Die Ursache für die Überrendite könnte womöglich nicht allein auf die niedrige Schwankungsintensität zurückzuführen sein, sondern ein Ergebnis aus den Faktoren Size, Value und Profitabilität. Es gibt noch einiges zu erforschen in der Landschaft rund um Faktoren und Faktorprämien.

Das Votum der Fonds-Selektoren und Anleger spricht jedenfalls seit Jahren eine eindeutige Sprache, so sind in Europa inzwischen immerhin nahezu 10 Mrd. EUR in Low-Volatility ETFs investiert. Getreu dem Motto: „Die nächste Krise kommt bestimmt“.

Dies ist keine Anlageberatung. Bitte informiert euch vor einer Geldanlage über die Risiken und beachtet unsere Hinweise hier.

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ein Artikel von
Markus Kaiser
Markus Kaiser ist Geschäftsführer der Greiff Research Institut GmbH und leitet den ETF-Bereich der Greiff capital management AG. Der Dipl. Vermögensmanager verfügt über mehr als 20 Jahre Investment-Erfahrung und zählt zu den erfolgreichsten Dachfonds-Pionieren.