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Der Blick aus Zürich

Die Atom-Spekulation geht steil an der Börse

von Mikey Fritz

Ohne niedrige Energiekosten gibt es keinen nachhaltig steigenden Wohlstand. Eine Korrelation, die man nicht wegdiskutieren kann, weil sie weltweit empirisch belegt ist. Es gibt keine Länder auf dieser Welt, die ein hohes oder sehr hohes Pro-Kopf-Einkommen und gleichzeitig einen niedrigen Pro-Kopf-Energieverbrauch haben. 

Die Korrelation baut auf langen Trends auf. Nur weil man kurzfristig die Energiepreise senkt und das Energieangebot erhöht, ergibt sich daraus kein Sprung beim Pro-Kopf-Einkommen. Anders herum führen ein kurzfristiger Anstieg der Preise und eine Verringerung des Angebots auch nicht sofort zu einem sinkenden Einkommen. Es ist ein Prozess, der Jahre und Jahrzehnte benötigt, um sichtbar zu werden. Richtig angewandt ist der Prozess aber umso kraftvoller und kann erheblichen Wohlstand für ein Land erzeugen. 

Die Daten sprechen eine klare Sprache: Es gibt keine Länder mit hohen Einkommen und niedrigen Energieverbräuchen, wie der Think Tank Energy for Growth Hub aus Washington in seinen jährlichen Studien immer wieder feststellt. Eine Interessengesellschaft, die sich für eine Verbesserung der Energiepreise und des Energieangebotes in Afrika und in Asien einsetzt. Um die wohlhabendsten Länder braucht sich der Think Tank auch nicht zu kümmern, denn sie haben bereits den höchsten Energieverbrauch pro Kopf. Die Quintessenz liegt daher auf der Hand:

Ohne billige Energie kein Wohlstand und Wachstum

Es ist daher die Aufgabe einer jeden Regierung, die sich für ihre Bürger einsetzt, für günstige Energiepreise und ein stabiles und nachfragedeckendes Angebot an Energie zu sorgen. Letzteres war bis zum großen Blackout auf der iberischen Halbinsel bisher in den letzten Jahrzehnten für Europa immer als gegeben angesehen worden. Die Warnungen von Netzbetreibern, dass die volatile Natur der erneuerbaren Energieproduktion zu einer nicht mehr beherrschbaren Situation führt, wurden regelmäßig politisch abgebügelt. Nicht, weil die Gefahr nicht vorhanden war, sondern weil die Berücksichtigung der Gefahr zu einem anderen Energie-Mix geführt hätte. 

Der Aufwand und die Kosten für die Stromverbraucher, um die Volatilität zu beherrschen, steigen mit einer steigenden Quote von erneuerbaren Energieanteilen im Netz. Dahinter steht die zu wenig diskutierte Problematik, dass für jede Solaranlage und jedes Windrad grundlastfähige Kraftwerkskapazitäten kostspielig auf Abruf bereitgehalten werden müssen, falls die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Ob diese grundlastfähigen Kraftwerkskapazitäten dann im eigenen Land oder im europäischen Ausland stehen, spielt aufgrund der Zusammenschaltung der Netze eine nachrangige, aber keine zu vernachlässigende Rolle. 

Atomstrom ist die Energiequelle der Wahl

Eine Ausgewogenheit des Energie-Mix wird aber selbstverständlich von allen Partnerländern erwartet. Die Stromnetze in Europa sind zwar eng miteinander verbunden, aber die Engpässe liegen in den Übergängen zwischen den Ländern. Diese können überlastet werden, wie im Beispiel des großen Blackouts auf der iberischen Halbinsel. Das stark volatile spanische Netz, das einen hohen Anteil erneuerbarer Energieproduktion hat, ist an das sichere und resiliente Netz der Franzosen angeschlossen, das fast ausschließlich mit Atomstrom versorgt wird. Doch der Zusammenbruch des spanischen Netzes überforderte die Länderverbindung, weswegen das spanische Netz letztlich abgekoppelt und seinem Schicksal überlassen werden musste, um einen Schaden vom französischen Netz abzuwenden.

Eine ähnliche Abhängigkeit besteht auch zwischen Deutschland und Frankreich. Obwohl Deutschland keinen Atomstrom mehr produziert, hat das Land im Jahr 2024 rund 18,3 Terawattstunden importierten Atomstrom verbraucht. Ein Rekordwert, den Deutschland noch nie zuvor erreicht hatte. Atomstrom, der zu 100 % aus dem Ausland importiert wird, wobei Frankreich mit rund 15,8 Terawattstunden den Löwenanteil lieferte. Aber wenn der Bedarf nach Atomstrom offensichtlich noch so groß ist, warum produziert man dann keinen Atomstrom im eigenen Land? 

Deutschland importiert Atomstrom auf Rekordniveau

Die Risiken von Kernkraftwerken, auf deren Basis die deutsche Umweltbewegung in den 70er- und 80er-Jahren politisch groß geworden ist, existieren in dieser Form heute nicht mehr. Und was die verbleibenden Risiken angeht, so hat man in Deutschland offensichtlich kein Problem damit, wenn die Nachbarn sie tragen und man selbst dann davon profitiert, indem man verlässlichen und billigen Strom nach Deutschland in Rekordhöhe importiert. Konsequent wäre es, auf diesen Atomstromimport zu verzichten, aber das kann man nicht, weil die Energiepreise dann in Deutschland derart steigen würden, dass sie die Wirtschaft schädigen würden und die Sicherheit des Stromnetzes infrage gestellt würde. 

Im Gegensatz zu Deutschland setzen die USA massiv auf den Ausbau von Kernenergie. Ähnlich wie China, das noch energiehungriger als die USA ist. Eine Vervierfachung der Stromkapazitäten aus Kernkraftwerken ist das neue langfristige Ziel, das die volle Rückendeckung der Regierung hat. Der Präsidialerlass vom 23. Mai 2025 unterstreicht, dass man von politischer Seite her alles dafür tun wird, um die Forschung & Entwicklung voranzutreiben und der Privatwirtschaft die bestehenden Hürden aus dem Weg räumen wird, um diese zu neuen Investitionen in Milliardenhöhe zu animieren. 

USA vervierfachen die Atomstromkapazitäten

Und die Privatwirtschaft ergreift den ausgestreckten Arm des Weißen Hauses dankend. Sowohl auf Seiten der Anbieter als auch bei den Großabnehmern. Bei den Anbietern stehen selbstverständlich die Versorger im Mittelpunkt, die aufgrund ihrer Größe solche Investitionen überhaupt erst stemmen können. Dabei fällt immer wieder ein Name: 

Constellation Energy. Das Unternehmen wurde im vergangenen Jahr durch den Deal mit Microsoft bekannt. Das Softwarehaus hat den Versorger beauftragt, den 2019 stillgelegten Meiler 1 auf Three Mile Island zu reaktivieren, um den Strombedarf von Microsoft ab 2028 mit 835 Megawatt Leistung zu unterstützen. Allein die Inbetriebnahme kostet voraussichtlich 1,6 Mrd. US-Dollar. Doch Microsoft ist sich seiner Sache sicher: Man schloss mit Constellation Energy einen 20-Jahresvertrag ab, um einen Teil seines zukünftigen Bedarfs klimaneutral abzusichern. 

Meta zog am Dienstag nach. Man schloss ebenfalls mit Constellation Energy einen langfristigen Liefervertrag ab. Um seine Plattformen und das AI-Geschäft mit Strom zu versorgen, wird man ab 2027 für 20 Jahre Strom aus dem Kernkraftwerk in Illinois beziehen. Die Vereinbarung beinhaltet, dass Constellation Energy allein nur für Meta einen ganzen Reaktor in Illinois bis 2047 in Betrieb halten wird. Die Nachfrage nach Atomstrom ist inzwischen so groß, dass sogar der Bau eines komplett neuen Kernkraftwerks im Gespräch ist. Dass die Aktien des Versorgers gefragt sind, brauche ich wahrscheinlich nicht zu erwähnen. 

Vergleichbare Investments gibt es derzeit in den USA viele. Die Wall Street spielt die Atom-Story sehr intensiv, denn die Nachfrage ist allein durch die AI-Story gesichert. Der Ausbau des verarbeitenden Gewerbes in den USA tut sein Übriges. Auch in Europa gibt es interessante Investments, wobei hier der Fokus überwiegend auf der Nachfrage aus dem nicht-europäischen Ausland liegt. Unter anderem Rolls-Royce, die neben vielen nicht-nuklearen Geschäftsbereichen aber auch eine tiefe Expertise im Bereich der Small Modular Reactors (SMRs) haben, ist in Deutschland vor allem Siemens Energy aufgrund seiner Turbinen-Technologien und dem Netzgeschäft von höchstem Interesse. 

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Seit mehr als 25 Jahren arbeitet Mikey Fritz an der Börse. Seine Karriere begann er als Wirtschaftsredakteur für die n-tv „Telebörse“. Es folgte die Gründung der FM Research in Berlin, welche Privatkunden und institutionelle Kunden mit eigenem Kapitalmarkt-Research beriet. Vor 15 Jahren setzte er einen neuen Schwerpunkt auf das Portfoliomanagement bei großen Vermögensverwaltern in der Schweiz und Deutschland sowie auf die Beratung von Finanzinstituten. Die Redaktion des Zürcher Finanzbriefes ist und bleibt aber sein Steckenpferd.