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von Nikolina Krstinic

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Man sollte immer ein bisschen unglücklich sein. Glück ist kein produktiver Zustand. „Das Glück schreibt mit weißer Tinte“, sagt Woody Allen.

„Glück oder eine sonnige Wesensart erzeugen keinen Impuls, sich künstlerisch auszudrücken.“ Schmerz inspiriert, regt an, sticht, brennt, löst etwas aus. Glück macht bequem, träge, manchmal – im besten Falle – ängstlich. Der Schmerz darf natürlich nicht so groß sein, dass er lähmt. Das Leiden muss wohl dosiert sein. Leiden auf Raten. Flatrate, sadrate.

Aber wie schützen Sie sich vor zu viel Fröhlichkeit, die uns banal, trivial, uninspiriert, stumpf werden lässt? Obacht: Sicher sind Sie nirgends!

Es könnte Ihnen jemand eine Freude machen! Es könnte jemand Ihre Karriere zerstören, indem er Ihnen einen Heiratsantrag macht! Es könnte Ihnen jemand ein Kompliment geben. Daher, seien Sie gewappnet und seien Sie stark:

Sagen Sie NEIN zu Reisen. Sagen Sie NEIN zu Menschen, die es gut mit Ihnen meinen. Sagen Sie NEIN, wenn Ihnen jemand etwas schenken will, Sie massieren will, Ihnen einen Kuss, Zuckerwatte, Popcorn, Champagner anbietet (außer es ist so viel Champagner, dass Sie am nächsten Tag richtig leiden werden. Dann kommt das Unglück halt einfach versetzt, dazu später)

Suchen Sie sich Menschen aus, die Ihnen schlecht tun, die Sie zurückweisen, essen Sie abgelaufene Lebensmittel und verlassen Sie sofort den Raum, sobald Menschen tanzen, schunkeln oder gar schwofen. Dann werden Sie schreiben, musizieren, malen wie ein junger Gott!

Gegen Frohmut hilft außerdem das Trinken – zumindest am darauffolgenden Tag werden Sie sich so elend fühlen, dass das vom Alkohol zersetzte Hirn gepaart mit schwermütiger Selbstzerfleischung Ihnen die Reime, Verse oder Akkorde geradezu in die zitternde Hand diktiert. In dubio prosecco.

Falls es Ihnen trotz alledem zu gut geht, hier ein kleiner Hinweis aus meinem Traurigkeits-Tutorial: Auch Angst kann ein wichtiger Antrieb sein. Es ist unfassbar vorteilhaft, sollten Sie an irgendeiner Phobie leiden. Bei mir ist es so, dass ich starke Flugangst und eine Insektenphobie habe! Gleich zwei Wünsche auf einmal! Allerdings habe ich mich bisher noch nicht in einen ausrangierten Flieger einer drittklassigen Fluggesellschaft gesetzt und mir dabei ein paar Ameisen und Kakerlaken in den Ausschnitt geworfen, um die Muse der Angst heraufzubeschwören.

Ach, was hätten ein paar Turbulenzen gepaart mit Küchenschaben in der Sauerstoffmaske wohl aus meinem Roman gemacht?

Aber bedenken Sie: das Leid darf Sie nicht blockieren!

Das ist das Schlimme an einer Phobie. Sie kommt oft unerwartet. Ich war allein zuhaus und schrieb an einem Text. Da sah ich plötzlich, direkt neben meinem Notebook, ein Insekt. Ich hielt inne, bekam Gänsehaut und schüttelte mich. Die Spinne (oder war es ein „Schuster“/“Schneider“/daddy longleg/Weberknecht) manövrierte ihre unzähligen Beine gerade in meine Richtung. Was blieb mir anderes übrig, als den Lieferservice zu rufen und eine Portion Pasta zu bestellen, nur damit der Lieferant die Spinne aus meinem Wohnzimmer entfernte?

Kaum war ich gerettet, wollte ich nach dieser Grenzerfahrung lieber die Pasta verzehren (oder den Lieferantenmann) als mich dem Text zu widmen. Es kann alles immer und jederzeit vorbei sein. Kakerlake diem!

Wir brauchen Unglück, um Glück zu empfinden. Egal, ob wir nun das Glas als halbleer (und dann noch mit Apfelessig) oder ob wir das Glas als halbvoll (mit eiskalter Erdbeerbowle) ansehen!

Oder- um es mit Woody Allen zu sagen:

„Für die meisten Menschen ist der Sarg halb leer. Für Woody ist der Sarg halb voll.“

ein Artikel von
Nikolina Krstinic
Nikolina Krstinic studierte in Wien und Berlin Kulturwissenschaften, Journalismus und Unternehmenskommunikation. Sie ist als freie Autorin und Journalistin tätig - seit Februar 2018 auch für Zaster.