AUGENWISCHEREI

Wirecard und die größten Betrugsskandale an der deutschen Börse

von Sonja Baer

Das Drama um die Enthüllungen bei Wirecard ist nur der Gipfel des Eisbergs einer ganzen Reihe von Betrugsskandalen. Und was erstaunlich ist: Fast immer sind es Whistleblower, Journalist*innen oder Leerverkäufer, die diese Skandale aufdecken und eben nicht die BaFin, die Staatsanwaltschaft oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.

Am Donnerstag letzter Woche warteten die Wirecard-Aktionär*innen sehnlichst darauf, dass die Wirecard AG ihre Bilanzen endlich offenlegte, nachdem sie dies zuvor mehrmals verschoben hatte. Es kam ganz dicke. Die Wirtschaftsprüfer, die Wirecard beauftragt hatte, um sich von den Bilanzfälschungsvorwürfen zu befreien, bestätigten die Betrugsvorwürfe: So lagen über 1,9 Milliarden Euro auf Treuhandkonten keine Nachweise vor. Schlimmer noch, wie die Vorstände der Wirecard AG am Montag einräumen mussten: Die Konten existieren „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ überhaupt nicht. Und das, wo jeder an der Uni für jedes kleinste Unternehmen lernt: Keine Buchung ohne Beleg. Wirecard-Vorstand Braun ist bereits zurückgetreten, stellte sich gestern Abend der Polizei und wurde nun gegen eine Millionenkaution wieder entlassen. Die Staatsanwaltschaft und die BaFin ermitteln. Diese Betrugsskandale sorgten in der Vergangenheit für ähnlichen Wirbel:

1
Comroad

Renate Daum, Journalistin bei „Börse Online“, hatte schon früh darauf aufmerksam gemacht, dass bei den Zahlen des Telematikanbieters etwas nicht stimmen könne. Sie fand heraus, dass einige der Geschäftspartner von Comroad in Asien nicht existierten. Das war 2001. Daum veröffentlichet ihre Ergebnisse. Der Staatsanwalt reichte das nicht. Doch die Journalistin ließ nicht locker, konkretisierte ihre Vorwürfe: So existierten zwar die Firmenadressen, jedoch die Geschäftspartner nicht. Sie wies darauf hin, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass nur 10 Prozent der Umsätze auch tatsächlich in Asien erwirtschaftet wurden. Auch das interessierte die Staatsanwaltschaft nicht.

Erst als 2002 die Wirtschaftsprüfer ihre Zusammenarbeit mit Comroad fristlos kündigten, folgte die Strafanzeige der hessische Börsenaufsicht wegen des Verdachts auf Kursbetrugs und unrichtige Darstellung der Unternehmensverhältnisse. Erst dann wachten die Juristen auf und ermittelten. Bilanzfälschung, gewerbsmäßiger Betrug und Insiderhandel lautete die Anklage. Unternehmensgründer Bodo Schnabel wurde zu sieben Jahren Haft verurteilt (Börse ARD).

2
Steinhoff

Einen der bisher größten Bilanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik lieferte der Möbelkonzern Steinhoff. Mehrere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften wollten die Bilanzen nicht testieren, sodass Steinhoff die Jahre 2015/ 2016 vollständig zurückziehen musste. Es fehlten 11 Milliarden Euro.

Wer hat den Skandal aufgedeckt? Im Juni 2017 berichtete ein Londoner Hedgefonds negativ über Steinhoff. Langsam begann der Kurs zu bröckeln. Zwei Monate später schrieb das Manager-Magazin über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Oldenburg gegen Konzernchef Marcus Joosten wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung.

Auch der umstrittene britische Leerverkäufer Fraser Perring zweifelt die Steinhoff-Bilanzen an und wettet auf den fallenden Kurs der Aktie. Erst dann nimmt die Öffentlichkeit Notiz, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften werden beauftragt. Ergebnis: Sie können die geprüften Bilanzen nicht testieren. Es fehlen 11 Milliarden Euro (Börse ARD).

3
Cobracrest

Um Worte war der Brausehersteller Cobracrest 2005 nicht verlegen. Da hieß es man habe „Trends des 21. Jahrhunderts aufgespürt“ und deshalb „weltweit hochgradig Marktpotenziale“ (Börse ARD). Der Prüfungsgesellschaft Ernst & Young unterstellte Cobracrest in einer Mitteilung, sie hätte das Unternehmen bis 2008 mit 500 Millionen Euro bewertet. Einen Tag später waren es dann nur noch 100 Millionen Euro. „Ein Schreibfehler“, hieß es bei Cobracrest. Ernst & Young kündigt daraufhin die Geschäftsbeziehungen.

Erste Kritik im Börsenforum wird laut. So fragt das „Wallstreet-Online“-Forum „Cobracrest – Alles nur Betrug???!!!“ Nach einigen Monaten wird auch endlich die BaFin aktiv. Sie ermittelt wegen des Verdachts auf Kursmanipulation. Heute existiert die Cobracrest längst nicht mehr.

4
Flowtex

Bohrsysteme für das Verlegen von Strom-, Wasser-, und Gasleitungen zu revolutionieren, war das Unternehmensziel der Flowtex GmbH & Co. KG. Aber dann entwickelten sich die Verkaufszahlen nicht so wie gewünscht. Also hübschte Flowtex unter der Leitung von Manfred Schmider die Verkaufs- und Produktionszahlen ein bisschen auf. Schließlich lautet die vielversprechende Zahl: 3.142 verkaufte Bohrmaschinen. Tatsächlich verkauft wurden aber nur 270 Stück.

Als Schmider sein Unternehmen 2002 an die Börse bringen will, lässt er sich von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG Treuhand kurzerhand die „transparente Rechnungslegungspraxis“ und den „konservativen Führungsstil“ bestätigen. Genau das wollen die Emissionsbanken (Dresdner Bank und Commerzbank) hören. Erst dann greifen die Behörden durch (Börse ARD). Nur einige Tage vor dem geplanten Börsengang nehmen die Ermittler Schmider fest.

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Sonja Baer