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Wie steht es um Deutschlands Gasversorgung?

von Pauline Brinkmann

Am gestrigen Tag haben sich die schlimmsten Befürchtungen der vergangenen Wochen bewahrheitet, der russische Präsident Putin hat vorsätzlich einen Krieg in der Ukraine begonnen. Bislang bleibt offen mit welchen Sanktionen der Westen auf dieses Verhalten reagieren wird.

Doch eine entscheidende Maßnahme hat Bundeskanzler Olaf Scholz bereits jetzt in die Wege geleitet: Den Stopp des Zertifizierungsverfahrens für die umstrittene Gaspipeline Nordstream 2. Vielerorts wurde dieses Projekt schon lange zuvor scharf kritisiert, gleichwohl sind wir, so einige Experten, auf das russische Gas angewiesen.

Doch wie steht es um unsere Gasversorgung? Brauchen wir Russland oder braucht Russland uns?

Feststeht: Ein Viertel des deutschen Primärenergiebedarfs wird mit Gas abgedeckt. Ein großer Teil davon sprich 55 Prozent (!) unseres Gases, beziehen wir derzeit aus Russland. Norwegen ist mit einer Liefermenge von 30 Prozent unsere zweitstärkste Bezugsquelle, allerdings wird hier laut Marktkennern bereits am Limit gefördert. Weitere 13 Prozent erhalten wir aktuell aus den Niederlanden, doch auch hier werden wir in Zukunft eher weniger als mehr beziehen können, so teilten die dort ansässigen Gasanbieter mit, dass sie sich nach Erdbeben im Umfeld der Gasregion Groningen künftig von der Förderung verabschieden werden.

Problematisch ist, dass das aus Russland bezogene Gas zumindest in Teilen durch Pipelines in der Ukraine zu uns gelangt. So besteht in zweierlei Hinsicht eine Versorgungsgefahr, denn zum einen könnten die Rohre durch Auseinandersetzungen beschädigt werden und zum anderen, so Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung, könnte Russland als Antwort auf westliche Sanktionen die Gaslieferung komplett einstellen.  

Zum aktuellen Zeitpunkt sind die Gasspeicher in Deutschland nur noch zu 31 Prozent gefüllt. So betonte Janis Kluge der sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin mit Russland und der Energieversorgung befasst: „Die Versorgung in diesem Winter ist aber nicht mehr gefährdet“. 

Ähnlich entspannte Töne gibt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von sich, welche kürzlich betonte: „Ich kann sagen, dass wir selbst bei einer völligen Lieferunterbrechung durch Russland für diesen Winter auf der sicheren Seite sind.“

Dieses Sicherheitsempfinden begründet sich wahrscheinlich aus der jüngsten Kontaktaufnahme der EU mit Ländern wie USA, Katar oder Australien, welche LNG, sprich Flüssigerdgas fördern. Allerdings weist das LNG-Gas auch einige Nachteile wie eine sehr energieaufwendige Herstellung oder höchste Sicherheitsanforderungen bei Lagerung und Transport mit Schiffen oder Lastkraftwagen auf.

Weiterhin gilt zu bedenken, dass bislang niemand eine Antwort auf die Frage hat, was im nächsten und übernächsten Winter passiere. Dabei ist es extrem wichtig sich bereits heute mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Das größte Problem in dieser Hinsicht ist allerdings die mangelnde Kapazität. So gibt es zum aktuellen Zeitpunkt auf dem Weltmarkt Kapazitäten von 500 Milliarden Kubikmetern, das ist knapp dreimal so viel wie die seitens Russlands gelieferte Menge von 170 Milliarden Kubikmeter, dennoch ist laut Andreas Goldthau, der an der Universität Erfurt zur Energiesicherheit forscht das meiste davon bereits in langfristigen Verträgen gebunden. 

Doch wie sieht es aus, ist Deutschland für den Fall der Fälle gewappnet?

In der Tat wurden bereits Notfallpläne ausgearbeitet, die bei einem plötzlichen Lieferausfall zur Anwendung kommen würden. Hierin wurden im Vorfeld mit diversen Unternehmen Vereinbarungen getroffen, dass diese im Notfall kurzfristig weniger Gas verbrauchen. Dies soll wahlweise durch einer Produktionsdrosselung oder durch das Ausweichen auf alternative Energiequellen geschehen. Ebenso wird in dem Notstandsplan eine Versorgungssicherheit für Krankenhäuser, Gefängnisse und Haushalte garantiert.

Doch mit der Versorgungssicherung allein ist es nicht getan, denn das nächste Problem lautet Preisschock.

Bereits heute sehen sich Verbraucher überteuerten Benzinpreisen und Gaspreise, die fast fünfmal so hoch sind wie in den USA, ausgesetzt und dies soll Experten zufolge noch nicht das Ende der Fahnenstange sein.

So befürchtet beispielsweise der Präsident des Ifo-Instituts Clemens Fuest, zudem einen zusätzlichen Preisschock und das, selbst wenn die Gaslieferungen nicht eingeschränkt werden. Weiterhin gibt er zu bedenken, dass die Gefahr eines weiteren Anstiegs der Inflationsrate durch einen Krieg erheblich erhöht wird. SWP-Forscher Kluge vergleicht einen etwaigen Lieferstopp mit der Ölkrise aus den Siebzigerjahren. So mahnt er, dass im Fall der Fälle sogar die Pläne zum Kohle- und Atomausstieg überprüft werden müssten.

Doch eins scheint klar und dies bringt der Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) Stefan Kooths treffend auf den Punkt: „Sollte Putin den Gashahn zudrehen, schadete er sich damit vor allem selbst“. Denn er benötigt die Einnahmen aus dem Gasgeschäft und sollte auch perspektivisch dafür sorgen, dass westeuropäische Länder sich nicht nach alternativen Energielieferanten umsehen. Clemens Fuest sieht auf Grund der gegenseitigen Abhängigkeit ebenso ein Nachteil für Putin, trotz der europäischen Abhängigkeit von russischem Gas hält er den Stopp der Gaspipeline Nord Stream 2 für richtig.

Die im Raume stehenden Behauptungen, dass Putin sein Gas künftig nach China verkaufen könnte sind ebenfalls nur bedingt stichhaltig, denn selbst wenn China daran interessiert wäre, würde der Bau entsprechender Pipelines Jahre in Anspruch nehmen. 

 

ein Artikel von
Pauline Brinkmann
Pauline studiert in Potsdam und Lausanne Rechtswissenschaften. Ihr besonderes Interesse gilt jedoch nicht Mietverträgen, sondern politischen und gesellschaftlichen Prozessen.