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Aktien

Warum geht es an der Börse wieder aufwärts?

von Nils Matthiesen

Jeden Tag schlechte Wirtschaftsnachrichten und steigende Börsenkurse: Wie passt das zusammen?

Der Shut-Down in vielen Ländern dieser Erde schwächt nicht nur das Coronavirus, sondern auch die Wirtschaft. Entsprechend korrigieren immer mehr Ökonomen ihre Prognosen nach unten. Auch die Bundesregierung rechnet mit einer schweren Rezession in Deutschland. Sie erwartet in ihrer Frühjahrsprojektion, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 6,3 Prozent sinkt. In China ist die Wirtschaftsleistung bereits im ersten Quartal um 6,8 Prozent geschrumpft, übrigens erstmals seit der Kulturrevolution im Jahre 1972. Und der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses, Kevin Hassett, geht in Folge der Coronavirus-Pandemie von einem „Schock historischen Ausmaßes“ für die US-Wirtschaft aus. Konkret sagte er in einem TV-Interview: „Dies ist der größte negative Schock, den unsere Wirtschaft meiner Meinung nach je erlebt hat. Wir werden uns mit einer Arbeitslosenquote befassen müssen, die wir während der Großen Depression gesehen haben“. Er erwartet eine Quote von 16 Prozent oder mehr im April. Kurzum: Der Wirtschaft rund um den Globus geht es schlecht, um es milde auszudrücken.

Börse zeigt sich gut erholt

An der Börse spiegelt sich das allerdings kaum wieder – ganz im Gegenteil: Der deutsche Leitindex DAX kletterte in den vergangenen Wochen um sportliche 15 Prozent, in gleiche Richtung ging es bei den US-amerikanischen Indizes Dow Jones (plus 11 Prozent) und NASDAQ (plus 15 Prozent). Wie passt das angesichts steigender Arbeitslosenzahlen, sinkender Produktivität und fallenden Konsumausgaben zusammen? Warum erholen sich Aktienmärkte angesichts der schlechtesten Wirtschaftsdaten der letzten Jahrzehnte allerorten? Einfache Antwort: Dafür gibt es keine logische Erklärung. Die Börsen dieser Welt reagieren schlichtweg auf den ersten Blick schlicht irrational.

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Kurse contra Wirtschaftswachstum

Das Phänomen ist nicht neu: Es gab schon oft Zeiten, in denen der Aktienmarkt sich scheinbar von der realen Wirtschaft komplett entkoppelte. So gab es beispielsweise während des Ersten und auch während des Zweiten Weltkriegs Phasen steigender Kurse, obwohl es höchstwahrscheinlich um die unsicherste Zeit der jüngsten Menschheitsgeschichte handelte. Anderes Beispiel: Seit den 1930er Jahren war die Wirtschaftsentwicklung in 30 Jahren negativ. Die Aktienmärkte kümmerte das offenbar herzlich wenig, denn sie stiegen in 23 dieser Jahre. Das Gewinnwachstum verlangsamte sich in 16 dieser 30 Jahre sogar zweistellig. Auch kein Problem, trotzdem kletterten die Börsen in 11 dieser 16 Jahre, in der Hälfte dieser Fälle sogar um mehr als 10 Prozent.

Der Grund dafür ist ziemlich einfach – die Wirtschaftsdaten sind rückwärtsgerichtet und der Aktienmarkt ist zukunftsgerichtet. Das ist leicht zu verstehen, aber die gegenwärtige Situation passt ins Bild dennoch nicht richtig ins Bild. Denn aktuell wissen wir mit an hundert Prozent grenzender Sicherheit, dass die Wirtschaftsdaten der Zukunft katastrophal ausfallen. Eine schmerzhafte Rezession gilt als ausgemachte Sache.

Aktien: Alles ist möglich

Zugegeben, der Aktienmarkt hat natürlich zwischen Februar und März schon kräftig Federn gelassen und ist um über 30 Prozent eingebrochen – einer der heftigsten Crashs der Geschichte. Anschließend folgte allerdings ein stabiler Aufschwung. Wie es nun weitergeht? Alles scheint möglich:

  • Die Aktienmärkte könnten wieder auf breiter Front fallen, wenn es zu einem zweiten Shutdown kommt.
  • Die Aktienmärkte könnten weiter steigen, falls es gute Nachrichten von der Impfungsfront gibt.
  • Die Aktienmärkte könnten seitwärts tendieren.

Aber genauso ist jeweils das absolute Gegenteil denkbar! Nichts ist angesichts der Einmaligkeit der aktuellen Krise unmöglich. Irrationale Übertreibungen nach oben oder unten sind nicht auszuschließen. Das Schlimmste, was du daher aktuell machen kannst ist anzunehmen, dass die Märkte in eine bestimmte Richtung tendieren. Und das Zweitschlimmste, dass du denkst, genau zu wissen, wo die Reise hingeht. Die Wahrheit ist: Du musst mit allem rechnen!

ein Artikel von
Nils Matthiesen
Nils ist Journalist, Texter und einer der ersten Digital Natives. Er beschäftigt sich schon seit über 20 Jahren mit den Themen Vorsorge, Geldanlage und Börse. Persönlich setzt er inzwischen mehr auf Fonds-Sparpläne als aktives Aktien-Picking.