Der Schein meines Lebens

Von 1000 Reichsmark und einer Leberwurst

von Jonas Rüffer

Im Laufe unseres Lebens bekommen wir diesen einen Schein, diesen bestimmten Betrag. Den uns jemand schenkt, den wir finden, gewinnen oder den wir jemandem abluchsen – und: an den wir uns für immer erinnern, weil er uns gerettet, berührt oder beschämt hat. Hier erzählen regelmäßig Menschen die Geschichte vom Schein ihres Lebens.
Heute: Wie ZASTER-Redakteur Jonas Rüffer plötzlich reich wurde, sich aber zu früh freute.

Mein Großvater war gut damit ausgelastet, uns Enkel zu verschaukeln, immerhin waren wir zu siebt – und seine Scherze waren nicht immer pc oder kindgerecht. Mal scheuchte er uns mit den Hühnern durch den Stall, deren Eier wir sammeln sollten, obwohl ich riesige Angst vor Federvieh hatte. Ein anderes Mal erzählte er vom großen Unbekannten, der angeblich im Wald wohnte, der an den Garten meines Opas grenzte.

Eine Geschichte aber ist mir bis heute besonders in Erinnerung geblieben. Es ging um Geld, viel Geld. Eines Nachmittags rief er mich in sein Arbeitszimmer, ein gemütlicher Raum, voll gepackt mit alten Musikinstrumenten, Zigarren, Uhren, Briefmarkensammlungen und all den Dingen, die Opas so lieben. Ich war damals sechs Jahre alt. Mein Großvater öffnete ein Buch seiner umfangreichen Briefmarkensammlung und nestelte einen wunderschön verzierten Geldschein hervor. Genauer gesagt, 1000 Reichsmark. Und ich? Ich hatte nur noch Augen für die DREI Nullen hinter der Eins!

Als Kind hatte ich natürlich schon einige D-Mark-Noten gesehen. Denn mit denen bezahlte mein Vater immer an der örtlichen Tankstelle. Mehr als 50 Mark kannte ich aber nicht. In alter Manier versicherte mein Großvater mir nun glaubhaft, dieser wundersame Schein sei ein gängiges Zahlungsmittel. Im Nullkommanichts hatte ich mir ausgemalt, was ich damit alles kaufen würde.

Mit 1000 Reichsmark könnte ich bestimmt kistenweise Lego kaufen, freute sich mein kindliches Ich. Gut eine halbe Stunde später schickte mich meine Großmutter zum Metzger, Leberwurst kaufen und: „Bitte nicht die Knochen für den Hund vergessen.“

Im Wissen des dicken Scheins in meiner Tasche, machte ich mich umgehend auf zum Metzger, ohne meine Großeltern um Geld für den Einkauf zu bitten. Ich war ja jetzt reich, und die paar Mark würden den Braten schon nicht fett machen. Dementsprechend staunte die freundliche Dame an der Kasse nicht schlecht, als ich ihr stolz die 1000 Reichsmark unter die Nase hielt.

Glück im Unglück. Die Metzgersfrau kannte mich – meine Großeltern wohnten in einer dörflichen Gegend. Ich bekam also die Lebensmittel, meine Oma einen Anruf, diese am kommenden Tag direkt zu bezahlen, und mein Opa eine ordentliche Strafpredigt von meiner Oma. Den Humor hatte mein Opa glücklicherweise behalten und ich den Schein. Bis heute hüte ich ihn – als eine der schönsten Erinnerungen an einen tollen Großvater.

ein Artikel von
Jonas Rüffer
Jonas Rüffer (Jahrgang 1991), ist seit Februar Teammitglied der Zasterredaktion. Vorher hat er seinen Master in Politik abgeschlossen. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Servicethemen wie Kryptowährungen oder Geld- und Finanzpolitik.