Kaum ein anderes Genre hat so viele Klischees wie der Horrorfilm. Immer steht da irgendwo ein gruseliges Haus in einem einsamen Nest mit Gestalten, um die sich schaurige Erzählungen ranken. So wie in dem unbekannten Ort Washington D.C., wo sich Mitglieder der Notenbank regelmäßig zusammenfinden. Der Inflations-Exorzist mit dem unscheinbaren Namen Jerome Powell versammelt dort seine Jünger, um im Anschluss mysteriöse Protokolle zu hinterlassen. Diese wurden im Wochenverlauf von Unbedarften gefunden und gedeutet, um ihren Inhalt zu orakeln. Ist es eine unheilvolle Prophezeiung, die den Tanz der Teufel in den Tempeln der Börsen beeinflussen? ES wurden Zinssenkungen erwartet, aber der Poltergeist von Zinserhöhungen scheint nicht ausgetrieben. Die Börsenkurse für unschuldige Anleger gehen daher erst einmal in den Keller, in dem gerade urplötzlich das Licht ausgefallen ist. Ein unheimliches Geräusch dort ist aber kein nahendes Omen eines Crashs, sondern vielmehr das berühmte Kätzchen, welches im crescendo der gruseligen Hintergrundmusik unter dem Schrank hervorspringt. Aber vielleicht ist genau dort der Friedhof der Kuscheltiere versteckt:
Der Friedhof wird stets nachts besucht und im Idealfall bei Vollmond. Nachdem diese Woche das Pendel des Todes dort neben dem Antichristen Irans Ebrahim Raisi, auch der Kirch-Jäger Van Helsing der Deutschen Bank Rolf Breuer Einzug hielt, konnte auch ein unbekannter Passagier auf einem unheilvollen Flug nach Singapur nicht mehr gerettet werden. Auch im richtigen Leben kommt der Tod oft unerwartet. Stören wir nicht weiter die Totenruhe und verscheuchen den Nebel des Grauens. Bevor das Unheil seinen Lauf nimmt, ist im Horrorgewerbe stets die Ausgelassenheit am Werk. So wie beim Shining des Edelmetalls Gold mit neuen Höchstständen. Oder The Crypt Ethereum, der aus der Gruft des Grauens emporspringt. Doch das derzeit fruchtbarste Baby stammt nicht von Rosemary, sondern von Jen-Hsun Huang, dem Chef von Nvidia, der diese Woche erneut Rekordzahlen vermeldete. Ähnlich wie bei der Filmreihe SAW ist kein Ende in Sicht. Die Börsen feiern, während die Skeptiker Die Heimsuchung vermuten. Guter Psychoterror gehört eben zur Spannung. Apropos:
Als Kenner der Materie weiß man, dass geweihtes Silber jeden American Werwolf töten kann. Aber bis heute ist unklar, ob die aktuell starken Wertschwankungen von Kupfer & Co diese Woche wirklich übernatürlicher Natur sind. Es sei denn, Sie glauben daran, dass ein „Short Squeeze“ ein mittelalterliches Folterinstrument à la Eiserner Jungfrau sei oder Sie lesen sich dazu einmal das Drehbuch vom Rohstoffexperten Fabian Erismann durch, welches Ihnen hilft, sich weniger zu gruseln: Ein Short Squeeze im Kupfersektor erschüttert die Metallmärkte. Wahrscheinlich müssten wir an dieser Stelle noch darüber sprechen, warum im Horrorfilm stets die Schlüssel herunterfallen, wenn man sein Auto auf der Flucht nutzen möchte oder der Motor dann nicht anspringt, wenn um einen herum der World War Z tobt. Aber egal, ob Sie Alfred Hitchcocks Die Vögel oder David Cronbenbergs Die Fliege lieber mögen – Horror zielt immer auf die Psycho-logie des Menschen ab. Auf seine Urängste, auf die maximale Stimulation seiner Amygdala. Das ist fast so wie an der Börse. Oder wie Horror-Altmeister André Kostolany es einmal so schön formulierte: „Der Teufel hat die Börse erfunden, um die Menschen dafür zu bestrafen, dass sie glauben, wie Gott aus dem Nichts etwas schöpfen zu können.“ Ich schöpfe für Sie wieder nächste Woche an gleicher Stelle.
Ihr Volker Schilling