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DER BLICK AUS ZÜRICH

Stehen wir vor einem neuen „Massaker“ am Bondmarkt?

von Mikey Fritz

Bärenmärkte sind nie eine schöne Angelegenheit. Am Bondmarkt können sie jedoch fatal sein und nicht nur Unternehmen, sondern auch ganze Regierungen zu Fall bringen. Aus diesem Grund sind die aktuellen Ereignisse am Markt für japanische Staatsanleihen von höchster Bedeutung für Japan, aber auch für den globalen Kapitalmarkt.

Die Rate der Veränderung ist bei einem Bärenmarkt der wichtigste Katalysator. Eine Baisse, die sich langsam und über einen langen Zeitraum hinzieht, ist für den Kapitalmarkt selten ein Problem. Den Schuldnern weht dann zwar der Wind von vorne ins Gesicht, was nicht angenehm ist, aber handhabbar. Denn ist die Rate der Veränderung gering, können die Schuldner peu à peu ihre ausstehenden Papiere durch neue mit höheren Kupons ersetzen, um liquide zu bleiben. Ist ein Trend absehbar, können sich die Schuldner zudem relativ einfach mit Derivaten gegen einen weiteren Zinsanstieg absichern. 

Anders ist es, wenn der Anleihemarkt stark und schnell steigende Zinsniveaus durchläuft. Dann fehlt die Anpassungsphase und die Schuldner müssen, wenn sie Pech haben, die Kupons nehmen, die sie noch bekommen. Im ungünstigsten Fall explodiert dann der jährliche Schuldendienst und wird auf hohem Niveau für einen langen Zeitraum zementiert. Das kann insbesondere die margenschwächeren Geschäftsmodelle torpedieren. Zumal hinzu kommt, dass der Anleihemarkt auf dem Tiefpunkt des Bärenmarktes am wählerischsten ist. Dann wird nur noch den besten Bonitäten Fremdkapital geliehen und die schwachen Bonitäten bekommen noch nicht einmal die Möglichkeit für eine Emission, egal zu welchen Kupons. Das ist eine Zuspitzung, die sich ein bis zwei Mal in einer Dekade ergibt. Selten, aber nicht so selten, dass man sie in der Unternehmensführung oder im Finanzministerium eines bonitätsschwachen Landes ignorieren kann. 

Lehren aus dem „Great Bond Massacre“ vom 1994

Ein bekanntes Beispiel ist das „Great Bond Massacre“. Es begann in Japan und schwappte auf die USA über. Später auch auf Europa. Auslöser für das Massaker bei den amerikanischen T-Notes war letztlich eine Zinserhöhung der Federal Reserve am 04. Februar 1994 um lediglich 25 Basispunkte von 3,00 % auf 3,25 %. Also ein typischer Zinsschritt, wie wir in den letzten Dekaden Dutzende Male gesehen haben. Entscheidend war, dass sich die Marktzinsen im Vorfeld halbiert hatten. Wobei „Vorfeld“ eine Periode von rund sechs Jahren umfasst. 

Die dann folgende Anleihenkrise erschütterte den Kapitalmarkt so sehr, dass die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sogar eine finanzforensische Analyse vornahm, die zu einem Bericht mit 24 Seiten Umfang führte. Mit einem vagen Schlusswort, das mehr oder weniger den ausländischen Investoren, die sich stark zurückzogen, und den neuartigen Hebelprodukten die Schuld gab. Insgesamt erlitten die Gläubiger Verluste in Höhe von 1,5 Billionen US-Dollar. Damals wurde die Anleihekrise als die größte für Gläubiger seit 1927 dargestellt. 

Schaut man sich den Chart der Jahre 1993 / 94 an, dann fällt es schwer, die Krise zu finden. Insgesamt ergab sich ein Anstieg des langen Endes um weniger als 300 Basispunkte. Ein harter Schlag für alle Gläubiger, denn steigende Zinsen führen zu fallenden Kursen. Dennoch war es keine Bewegung, die man nicht zuvor schon gesehen hatte. Ausschlaggebend für das „Massaker“ war, dass die Anleger im Herbst 1993 in der Breite für weiter fallende Renditen positioniert waren und dann eine überraschende Wende folgte, die innerhalb von sechs Monaten zu hohen und innerhalb von 12 Monaten zu sehr hohen Kursverlusten führte. 

2025 ist die Ausgangsposition eine andere

Überraschend ist der aktuelle Bärenmarkt am japanischen Anleihemarkt aber nicht. Die Bank of Japan hatte lange und ausführlich angekündigt, dass man das Marktzinsniveau bei japanischen Staatsanleihen normalisieren will. Sprich auf ein Niveau bringen will, wo Chancen und Risiken wieder korrekt über das Zinsniveau abgebildet werden. Das ging nur, indem man die Sicherungsmaßnahmen langsam auflöst und die Renditen auf ein Niveau steigen lässt, wo Angebot und Nachfrage wieder ein Gleichgewicht finden. Auf diesen Punkt warten wir inzwischen nun schon seit fünf Jahren und die Eskalation des Anstiegs der Renditen hat zuletzt nur noch zugenommen. 

Kann der Bärenmarkt auf den amerikanischen und europäischen Anleihemarkt überspringen? Theoretisch ja, aber die heutige Ausgangssituation ist eine andere. Man muss bedenken, dass die japanische Volkswirtschaft in den 80er Jahren einen für das Land noch nie dagewesenen Boom erlebt hatte. Die Erfolge im Export waren so sensationell, dass alle anderen Länder auf Japan neidisch waren und versuchten, das Geschäftsmodell zu kopieren. Mit dem Erfolg kam jedoch auch die Hybris und eine massive Überbewertung aller japanischen Assets. 1994 waren erst vier Jahre seit dem Bewertungspeak vorübergegangen und weitere 16 Jahre lagen noch vor dem Land, um den Heilungsprozess abzuschließen. Die Bedeutung des japanischen Anleihemarktes für die Welt war entsprechend vor 31 Jahren wesentlich größer als heute. 

Der japanische Kapitalmarkt war dennoch viele Jahre lang der Ausgangspunkt zahlloser Carry-Trades. Institutionelle Investoren liehen sich billig im Yen Kredite, wechselten in Euro und US-Dollar und investierten dort in risikoreichere Assets mit einer höheren zu erwartenden Rendite. War das Investment erfolgreich beendet, wurde zurück in Yen getauscht, die wenigen Zinsen beglichen und der Kredit zurückgezahlt. Die Differenz war der Gewinn. Ein Trade, der sich vergleichsweise leicht skalieren ließ und somit für einige hochprofitabel war. Im aktuellen Szenario funktioniert der Trade allerdings nicht, weswegen es ein nennenswertes Deleveraging gegeben hat, was Volumen aus der Geldseite des globalen Kapitalmarktes herausgezogen hat. 

Nicht Japan, sondern die USA sind der Wackelkandidat

Die heutige Konstellation stellt eher den US-Anleihemarkt als Epizentrum in den Mittelpunkt. Die Top-Bonität hat man endgültig verloren und das aus guten Gründen. Die Verschuldung des Staates eskaliert und das Wirtschaftswachstum kommt nicht hinterher. Die USA stehen inzwischen bei einem Verschuldungsgrad von rund 120 %, was am Anleihemarkt der sogenannte „Point of no return“ ist. Denn bei einer so hohen Verschuldung – 120 % der jährlichen Wirtschaftsleistung – beginnt der Schuldner bei einem normalen Marktzinsniveau, wie wir es derzeit haben, fast ausschließlich nur noch die Zinsen zu zahlen, während der Tilgungsteil immer kleiner wird. 

Noch problematischer ist jedoch die Entwicklung der Gläubigerbasis. Denn zur Zahlungsbilanz der Amerikaner trägt traditionell eine starke Kapitalbilanz bei. Die wird insbesondere durch Investitionen aus dem Ausland getragen. Die Käufe von amerikanischen Staatsanleihen haben eine hohe positive Korrelation mit der Entwicklung des Handels, da Überschüsse gerne in amerikanischen Staatsanleihen geparkt werden. Die Attacken der Trump-Administration strapazieren allerdings die Geduld der ausländischen Gläubiger, womit die amerikanische Kapitalbilanz in dieser Amtsperiode zur Achillesferse der Wall Street werden kann. Ein neues Bond-Massaker zu prognostizieren, ist kühn. Die Möglichkeit eines solchen zu ignorieren, ist jedoch töricht.  

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Seit mehr als 25 Jahren arbeitet Mikey Fritz an der Börse. Seine Karriere begann er als Wirtschaftsredakteur für die n-tv „Telebörse“. Es folgte die Gründung der FM Research in Berlin, welche Privatkunden und institutionelle Kunden mit eigenem Kapitalmarkt-Research beriet. Vor 15 Jahren setzte er einen neuen Schwerpunkt auf das Portfoliomanagement bei großen Vermögensverwaltern in der Schweiz und Deutschland sowie auf die Beratung von Finanzinstituten. Die Redaktion des Zürcher Finanzbriefes ist und bleibt aber sein Steckenpferd.