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Wie glücklich macht Geld?

Schneller, höher, weiter – oder lieber zufriedener?

von Frank Behrendt

Zeit statt Geld. Oft gehört, doch meistens im Alltag wieder vergessen. ZASTER-Kolumnist Frank Behrendt bricht in seinem neuesten Text eine Lanze für mehr Zufriedenheit.

Kürzlich sah ich mit großem Interesse und ebenso viel Spaß auf YouTube die Film-Doku „30 Jahre unzufrieden – Die Jung von Matt Story“. Ein bemerkenswertes Werk, das der umtriebige Gründer der Online Marketing Rockstars (OMR), Philipp Westermeyer, mit seiner Crew grandios umgesetzt hat. Die Agentur Jung von Matt, die mit zahlreichen Kampagnen neue Maßstäbe für erfolgreiche Werbung gesetzt hat, machte von Beginn an vieles anders. Mit ihrem Credo „Wir bleiben unzufrieden“, dokumentierten die beiden charismatischen Gründer Holger Jung und Jean-Remy von Matt von der ersten Sekunde an, dass sie selbst und ihre Mitarbeitenden stets auf der Suche nach dem noch Besseren waren. Natürlich verstehe ich den provokanten Spruch und seinen antreibenden Sinn, der die Latte für die Qualität der Arbeiten hoch und immer höher hängt. Aber er verursacht bei mir auch ein zweifelndes Stirnrunzeln. Denn in ihm schwingt auch etwas Aggressives, Ruheloses mit. „Zufriedenheit ist Stillstand und Stillstand ist Rückschritt“, hatte ich mir als junger Agentur-Geschäftsführer mal von einem Controller unserer amerikanischen Holding-Mutter aus New York anhören müssen.

Der Zahlenjongleur von der Madison Avenue war nicht begeistert, dass wir in einem Krisenjahr unser Ergebnis „nur“ halten wollten und kein Wachstum in unsere Pläne schrieben. Wir haben uns dann ein kleines einstelliges Plus reinsingen lassen und das mit Hilfe so mancher Tricks auch hinbekommen. Druck macht eben bisweilen auch erfinderisch… Zurück zur Zufriedenheit: Mit Faulheit hat dieses Gefühl aus meiner Sicht nichts zu tun. Das Missverständnis liegt wohl darin, dass Zufriedenheit manchmal mit Selbstzufriedenheit verwechselt wird. Dazu kommt, dass oft nur ein Mehr an Geld und materiell messbarer Erfolg als Fortschritt angesehen werden. Doch kostbarer als jeder profitable Deal ist für mich die Zunahme an Lebensfreude. König Jigme Singye Wangchuck hat die Erkenntnis, dass Lebensglück mehr wert ist als materieller Wohlstand, bereits vor 50 Jahren umgesetzt. Seit 1972 ist in Bhutan nicht etwa die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, sondern die Steigerung des Nationalglücks vorrangige Aufgabe des Staates. Der König ist zufrieden, wenn die Menschen in seinem Land es auch sind. Wow! Woher kommt sie nun, die Unzufriedenheit vieler Menschen? Der Hauptgrund liegt wohl in der Sucht nach Perfektion.

Wenn das fortwährende Streben nach dem Besten in einen Perfektionismus umschlägt, der vorwiegend durch die Angst, Fehler zu machen, getrieben wird, dann kann er Menschen in eine ernste Krankheit treiben. Der berühmte österreichische Psychologe und Psychotherapeut Alfred Adler prägte in diesem Zusammenhang den treffenden Begriff vom „Lebensirrtum“. Gerade wir in Deutschland fremdeln nach wie vor oft mit einer gesunden Fehlerkultur. „In Amerika gehört es fast schon zum guten Ton, auch mal richtig abgeloost zu haben“, erklärte mir kürzlich ein Start-up-Unternehmer der viele Jahre im Silicon Valley tätig war. Bei uns bekommen oft schon die Jüngsten eingeflüstert, dass Fehler unbedingt zu vermeiden seien, ein „sehr gut“ – möglichst in allen Fächern – dagegen erstrebenswert wäre. Mein Vater, ein Lehrer, war immer der Ansicht, dass jedes Kind ganz unterschiedliche Talente hat. In den Lieblingsfächern fällt es ihnen leicht, eine gute Note zu erzielen. In anderen, die ihnen weniger Spaß machen, sollte ein „Befriedigend“ reichen, meinte mein alter Herr. Anstatt immer mehr zu lernen, um sich in den ungeliebten Fächern möglicherweise zu verbessern, empfahl mein Vater den Eltern, dass der Nachwuchs die Zeit lieber zum Entwickeln kreativer Ideen im Bereich ihrer Talente nutzen sollte. Diejenigen, die es getan haben, machten alle ihren Weg und bekleideten später oft Top-Jobs in Feldern, an denen sie schon früher besonderes Interesse hatten. Meinem Dad schickten sie zum Dank, dass er ihren Eltern die Zufriedenheit mit der Note Befriedigend für den Rest vermittelt hatte, rührende Briefe.

Ich habe meinen persönlichen Guru der Zufriedenheit auf Mauritius getroffen. Dort ging „Mr. Dave“ jeden Tag am Strand entlang und verkaufte seine selbst gemachten Armbänder an TouristInnen. Er ging aber nur so lange von Liege zu Liege, bis er sein selbst gestecktes Einnahmeziel erreicht hatte. Natürlich hätte er locker mehr verkaufen können, denn der Strand war voll und seine Werke außergewöhnlich. Aber er war zufrieden, freute sich, wenn er schon nach 200 Metern genug eingenommen hatte und zurück nach Hause zu Frau und Kindern gehen konnte. „Zeit mit ihnen zu verbringen, ist kostbarer als mehr Geld“, sagte er mir und lächelte. Er bleibt für mich ein Vorbild, weil er verstanden hat, worum es im Leben wirklich geht: Leben.

ein Artikel von
Frank Behrendt
Frank Behrendt

Frank Behrendt hat mit seinen „10 ernsthaften Ratschlägen, wie man locker durchs (Berufs)Leben kommt“ die Arbeitswelt aufgeschreckt. Sein Buch „Liebe dein Leben und NICHT deinen Job“ wurde direkt ein Bestseller. In seinem zweiten Buch „Die Winnetou-Strategie - Werde zum Häuptling deines Lebens“ erklärt er, wie ein moderner Leader agieren sollte. Frank lebt mit seiner Frau, drei Kindern und einer französischen Bulldogge mit Namen „Fee“ in Köln und hat eine wöchentliche Kolumne auf „Stern.de“. Er arbeitet als Senior Advisor für Deutschlands größte Inhabergeführte Agenturgruppe Serviceplan.