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Der Blick aus Zürich

Öl als Vorbote neuen Wachstums?

von Mikey Fritz

Energie rückt in den Mittelpunkt. Die Rallye beim Öl straft die Pessimisten Lügen und verspricht, dass 2024 mehr Wachstum für die Börse bereithält als bisher angenommen.

Feiert Öl ein Comeback? Die Spekulanten positionieren sich zumindest dafür und beginnen nicht nur die Notierungen für das schwarze Gold, sondern auch von Erdölprodukten wie Benzin und Diesel nach oben zu treiben. Am Terminmarkt wird amerikanische WTI Öl bereits wieder über 86 US-Dollar und europäisches Brent-Öl über 90 US-Dollar je Barrel gehandelt. Tendenz steigend. In beiden Fällen stehen als nächste wichtige psychologische Marke die 100 US-Dollar je Barrel im Visier. 

Der Run auf Öl überrascht viele, die nur auf die deutsche Konjunktur schauen. Hierzulande schrumpft die Industrieproduktion und die Wirtschaftsleistung stagniert. Die Nachfrage nach Energie fällt entsprechend schwach aus. Doch die Lage der deutschen Volkswirtschaft ist eine Anomalie im globalen Kontext. Die größten Energieverbraucher – Amerika und China – erleben dagegen eine sehr solide und gesunde Phase des Wirtschaftswachstums. Damit einher geht auch eine steigende Nachfrage.  

Steigende Nachfrage trifft auf zu wenig Angebot

Vielen Beobachtern verborgen bleibt auch der Bull-Whip-Effekt. Viele Produzenten litten im vergangenen Jahr noch unter Auftragseinbrüchen, da die Kunden die Läger bis zum Rand gefüllt hatten und dann die Nachfrage ausblieb. Dieser Überhang ist inzwischen weitgehend abgebaut, sodass die Produktion in vielen Branchen sich wieder normalisiert. Dazu gehört insbesondere die globale Chemie. Diese Normalisierung der Nachfrage stößt jedoch auf ein zu geringes Angebot.  

Die OPEC+ Länder sehen die Schieflage, wollen aber nichts daran ändern. Das Öl-Kartell hat noch einmal im März bestätigt, dass man die seit 2023 geltenden Produktionskürzungen um 2,2 Millionen Barrel Öl pro Tag bis Ende des Jahres beibehalten wird. Und das obwohl die Nachfrage sichtbar steigt. Der Effekt auf die Ölpreise ist selbstverständlich gewollt und die OPEC+ Länder werden so lange den Deckel auf dem Angebot halten, bis die Margen sich wieder auf ein komfortables Niveau ausgeweitet haben. Das liegt im Zweifel oberhalb von 110 US-Dollar je Barrel. 

Öl-Aktien haussieren

Neben dem Ölpreis profitieren auch die Aktien der großen Ölkonzerne. Allen voran die amerikanischen Namen wie ExxonMobil, Chevron oder ConocoPhillips. Aber auch in Europa sind die Papiere von BP und Shell stark gefragt. Der Unterschied liegt vor allem im Gewinn. Die Amerikaner sind deutlich weniger reguliert und haben mehr Freiheiten in den unternehmerischen Entscheidungen, weswegen deren Margen teilweise beim Doppelten dessen liegen, was die Briten verdienen. Ganz zu schweigen von dem, wie wenig die anderen europäischen Konkurrenten verdienen. 

Der Run auf Öl-Aktien ist auch deswegen so scharf, da die Erwartungen im Vorfeld sehr niedrig waren. Im Kern hatte die Börse zum Jahresbeginn auf eine Stagnation im laufenden Jahr für die Ölkonzerne gesetzt. Nach zwei Ausnahmejahren aufgrund der Sanktionen gegen Russland hatten die Anleger für 2024 in der Regel mit einer Stagnation und teilweise auch mit einem Umsatzrückgang bei den Ölkonzernen gerechnet. Diese pessimistische Haltung wird aktuell revidiert. 

Bringt Öl einen neuen Inflationsimpuls?

Eine Gefahr stellt diese neue Spekulation allerdings für die Notenbanken da. Diese scharren bekanntlich mit den Hufen und wollen die Zinsen so schnell wie möglich senken. Im Umfeld der Europäischen Zentralbank gilt inzwischen eine Zinssenkung im Juni bereits als sicher. Diskutiert wird stattdessen nun, ob die zweite Zinssenkung gleich im Juli kommt oder erst im September. Doch Energiepreise fließen in alle Preise in einer Volkswirtschaft ein, weswegen ihre Wirkung so omnipotent und schnell ist. Setzt sich die aktuelle Spekulation auf Öl also fort, können wir im Zweifel schon in den Inflationsdaten Ende des 2. Quartals die ersten Auswirkungen sehen. Vom Timing her käme das ausgesprochen ungünstig für die Notenbanken. 

Im Ergebnis: Wenn Sie sich an der Tankstelle wieder einmal über die steigenden Spritpreise ärgern, werfen Sie doch einen Blick auf die Aktien der großen Ölgesellschaften. Eventuell bietet sich hier die Gelegenheit für eine teilweise Kompensation der gestiegenen Energiekosten an.   

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Seit mehr als 25 Jahren arbeitet Mikey Fritz an der Börse. Seine Karriere begann er als Wirtschaftsredakteur für die n-tv „Telebörse“. Es folgte die Gründung der FM Research in Berlin, welche Privatkunden und institutionelle Kunden mit eigenem Kapitalmarkt-Research beriet. Vor 15 Jahren setzte er einen neuen Schwerpunkt auf das Portfoliomanagement bei großen Vermögensverwaltern in der Schweiz und Deutschland sowie auf die Beratung von Finanzinstituten. Die Redaktion des Zürcher Finanzbriefes ist und bleibt aber sein Steckenpferd.