Wie viel ist Körperkult wert?

Mit Privattrainer & Ernährungsberater kannst du dir deinen Body kaufen

von Steven Plöger

Shakespeare kommt nicht auf das „VOGUE“-Cover. Körperkult kostet – wer es sich leisten kann, kauft sich den Traumkörper

Als ich sehr jung war, war ich extrem dünn. So dünn, dass meine Eltern mich in den Ferien regelmäßig an Hotelbuffets und in Urlaubs-Restaurants quasi mästeten. Wenn die Ferien vorbei waren und ich wieder bei meiner Modelagentur vorstellig wurde, gab es dafür regelmäßig die Quittung. Die Kilos sollte ich aber mal besser ganz schnell wieder los werden. Und die Haut, so braun von der Sonne, was soll das? Und weil man mit 15, 16 Jahren nicht in allen Lebensbereichen schon komplett erwachsen denkt und handelt, habe ich immer brav gehorcht. Ich wollte lieber Model sein, als meine Mutter die Angst vor latenter Magersüchtigkeit bei ihrer Tochter zu nehmen. Ich probierte alles aus, um die vermeintlich überflüssigen Kilos los zu werden. Dabei gingen Freundschaften oftmals schneller dahin als die Kilos. Man wird nicht von allen Mitschülerinnen als extrem symphytisch wahrgenommen, wenn man mit 1,70 Metern und 51 Kilo ständig lamentiert, man müsste dringend abnehmen. Ich machte Kohlsuppen-Diät, ich probierte zahllose Sportarten und Fitness-Clubs und kaufte jedes Frauen-Magazin, das auf dem Titel ein Geheimrezept zum Abnehmen anpries. Also alle.

Heidi Klum hat mir David Kirsch vorgestellt. Quasi.

In einem von diesen Heften entdeckte ich eine außergewöhnlich glückliche Heidi Klum, wie sie stolz ihren makellosen Körper stählte. Sie sah gut aus im Bikini, sie sah gut aus im Abendkleid, sie sah gut aus in engen Röcken, vermutlich hätte sie sogar gut ausgesehen in diesen bescheuerten Hüftjeans, die ich mir über die Hüften quälte. Denn ich sah – da unterschied ich mich nicht vom durchschnittlichen Teenager-Mädchen – dick im Bikini aus, dick im Abendkleid und dick in Jeans. Jedenfalls dachte ich das. Mit dieser Problematik blieb ich natürlich alleine, denn wann immer ich mit jemandem darüber sprechen wollte, kassierte ich einen veritablen Shitstorm, lange bevor ich überhaupt wusste, was Twitter war. So hielt ich mich also an Heidi. Neben Heidi stand in diesen Tagen um das Jahr 2005 immer öfter ein drahtiger Mann in Leggings, der ihr zeigte, wie man eine Sportübung machte. Er sah aus wie H.P. Baxxter ohne Haare, war aber dünner. Nach der Lektüre aller Artikel, die sich um Heidi und den Mann in Leggings drehten, wusste ich: Es handelt sich um David Kirsch. Kirsch wurde abwechselnd als Fitness-Guru oder Trainer der Stars bezeichnet und schien Wunder zu vollbringen, denn aus dem Werbefernsehen wusste ich: Heidi Klum ernährt sich in erster Linie von Hamburgern und Weingummi, während ich mich mit drei Äpfeln und Kohlsuppe durchschleppte. Der Mann musste ein Genie sein!

David Kirsch für Hamburger Schülerinnen

Ich begann also, mich intensiver mit David Kirsch zu beschäftigen. Man konnte ihn als Privattrainer anheuern. Das fiel für mich aber aus unterschiedlichen Gründen flach. Ich pendelte hauptsächlich zwischen dem Haus meiner Eltern und meinem Gymnasium in Hamburg, er jettete zwischen New York und Los Angeles hin und her, um seine prominenten Klienten dünn, fit und hübsch zu machen. Außerdem ließ meine Taschengeldsituation vermutlich maximal eine Trainings-Minute bei ihm zu. Ich versuchte also, so viel wie möglich von David Kirsch zu adaptieren, ohne dafür ein Vermögen auszugeben. Das gelang vor allem über Magazine und auch über seine Bücher. Das Geschäft mit der Schönheit boomte. Dafür, sich besser zu fühlen, geben die Menschen immer noch das meiste Geld aus. Statussymbole, Schönheits-OPs und vor allem Fitness. Damals, als Yoga noch recht exotisch war und ich noch dachte, Pilates sei ein griechischer Philosoph, ging es vor allem um knallharte Workouts und Diäten. Die von Kirsch waren unendlich anstrengend und alleine mit einem seiner Bücher konnte vermutlich niemand sie durchhalten. Ich zumindest nicht.

Wahrscheinlich war das auch sein Erfolgsrezept. Seine Übungseinheiten waren so intensiv, dass man sie allerhöchstens schaffen konnte, wenn er persönlich neben einem stand und einem alle drei Sekunden „GO! GO! GO!“ und „DO IT!“ ins Ohr brüllte. Ich konzentrierte mich also schnell auf seine Anweisungen, die nichts mit Workouts zu tun hatten. David Kirsch gab auch Ernährungs-Tipps. Wie schwer sollte es also sein, abzunehmen, wenn man den David-Kirsch-Speiseplan einhielt? Endlich eine Diät, die funktionierte. Bye, bye, Jolie-Abo. Kirschs Wohlfühl-Menu zum fit und dünn werden bestand aus einem Proteinshake, 90 Gramm Thunfisch, 170 Gramm Hähnchenbrust und sieben Mandeln. Pro Tag, nicht etwa pro Stunde. Dass jemand mit seinem Nachnamen nicht den Verzehr von Früchten als besonders geeignet für eine Diät hält, ist mir bis heute ein Rätsel, machte mich aber weder damals noch heute dünner.

Das Prinzip Personal Trainer

Das alles ist mehr als 10 Jahre her. Ich stand in der Zeit schon kurz davor, Vegetarierin zu werden, aß aber noch Fleisch. Lediglich Thunfisch bekam ich damals schon nicht runter. Aber selbst der Versuch, die 90 Gramm Fisch durch 90 Gramm Schokolade zu ersetzen, machte mich nicht glücklich. David Kirsch und ich – wir passten irgendwie nicht richtig zusammen. Ich machte Schluss. Es lag nicht an ihm, es lag an mir.

Das Prinzip Personal-Trainer wurde damals durch Gurus wie Kirsch populär, die sich geschickt mit ihren prominenten Klienten in Szene setzten. Plötzlich waren einige von ihnen selber Stars, verkauften Millionen von Büchern und reisten von Talkshow zu Talkshow. Es wurde zu einem Zeichen eines privilegierten, elitären Lebensstils, zwei bis drei mal die Woche seinen Privattrainer kommen zu lassen. Nur das proletarische Volk kaufte weiterhin Jogging-Schuhe und teilte sich mit 20 anderen eine versiffte Duschwand im Fitness-Studio. Die Frau von Welt (und übrigens auch der Mann von Welt) trainierte zu Hause gemeinsam mit einem der aus dem Boden schießenden Kirsch-Klons und beschränkte seinen Small-Talk bei jeder Gelegenheit fortan auf das Thema „mir tut alles weh, der Sergej hat mich gestern wieder so hart ran genommen. Also, am Ergometer, hihi“. Wer keinen eigenen David Kirsch hatte, konnte nicht mitreden. Je größer das Budget war, desto detaillierter wurde der Tagesablauf durchgeplant. Zu bestimmten Uhrzeiten mussten Shakes getrunken werden, Brot und Kekse waren verschmäht. Beim Gala-Dinner verzichtete man wortreich lamentierend auf die Seezunge oder das Kobe-Rind und lies sich statt dessen ein wenig gedünsteten Brokkoli kommen. Gedünsteter Brokkoli im Sterne-Restaurant. Das ist ja auch ein bisschen wie in einem 5D-Dolby-Surround-Kinotempel zu sitzen und dann Dschungelcamp zu gucken. Ohne Ton.

Hallo, ich bin jetzt Personal Trainer

Die Sergejs und Tanjas, die statt Parkplatzwächter, Tennistrainer oder Zahnarzthelferin plötzlich Personal Coach waren, weil sie bei „Telekolleg Aerobic“ mal den Unterschied zwischen anaerobem und aerobem Training gelernt hatten und viele Nahrungsergänzungsmittel kannten, wurden reich. Sie ließen sich von gelangweilten Unternehmer-Gattinnen, Töchtern aus reichem Hause oder Erfolgs-Frauen oder gestressten CEOs anheuern, um sie gegen fürstliche Entlohnung zu erniedrigen. Jeder fand seinen Platz. Eine ganz neue Industrie entstand. Selbst Bastian Yotta soll ja mit Fitness-Produkten ein Vermögen gemacht haben. Oder er hat sich die ganze Kohle nur bei der Otto-Familie geliehen, so genau weiß man das nicht.

Fakt ist aber: Deutschland wurde fitter, Sport wurde Teil des Alltags und zog meditative Aktivitäten wie Yoga nach sich. Das gesamte Well-Being-Thema wurde zum Luxus-Segment. Wer viel Geld hat, kauft sich seinen Wunschkörper. Klar, Trainieren kann jeder. Dafür braucht man nicht viel mehr als ein paar Minuten Zeit für Liegestütze oder ein Paar Laufschuhe. Aber die Disziplin ist es, gepaart mit der richtigen, unterstützenden Ernährung. Beides ist schwer über einen längeren Zeitraum durchzuhalten, wenn man nicht jemanden an der Seite hat, der immer wieder gnadenlos motiviert.

Hallo, ich bin Fitness-Influencer

Ich habe David Kirsch nie getroffen. Ich weiß nicht mal, ob Heidi Klum noch bei ihm trainiert. En Vogue ist es aber mehr denn je, selbst heute, wo es durch das Internet und die vielen Instagram-Fitness-Trullas keine echten Personal Trainer Stars wie David Kirsch mehr gibt. Heute bringt jedes Mädchen mit mehr als 500 Followern, das halbwegs sexy in bauchfreien Puma-Sport-Tops aussieht, ein eigenes Fitness-Programm raus. Dazu gibt es Fitness-Tracker und Nutrition-Apps. Die Ära der David Kirschs ist vorbei. Nicht aber die der Personal Trainer. Die Wartezimmer der Ernährungsberater sind voll, die Terminkalender der Privattrainer auch. Wer es sich leisten kann, kauft sich jemanden, der das Know-How und vor allem die Disziplin mitbringt, den legendären inneren Schweinehund zu besiegen. Das wollen alle. Nach wie vor gibt es für die meisten Menschen kein schöneres Kompliment, als „Du hast aber krass abgenommen!“ Das mag oberflächlich klingen und auch ich würde es interessanter finden, wenn man sich statt für seinen Körper eher für seine Gedichte bewundern würde, aber so ist eben die Realität. Shakespeare kommt nicht auf das Cover der „Vogue“.

Und so wie sich aktuell die Dinge entwickeln, ist kaum davon auszugehen, dass sich das so schnell ändert. Die Menschen wollen lieber besonders hübsch als besonders schlau sein. Darum gibt es auch „Germanys Next Topmodel“ und nicht „Germanys Next Nobelpreisträger“. Was schade ist, aber nicht so leicht zu ändern. Und eigentlich ist es auch okay. Dünn sein, fit sein, schön sein – das macht Menschen glücklicher und zufriedener und damit auch entspannter. Weniger Frust bedeutet weniger Ventile, die gesucht werden müssen, um ihn abzubauen. Und weniger Ventile bedeutet weniger Streit. Insofern haben David Kirsch und seine Klone uns nicht nur dünner, sondern auch sympathischer gemacht. Jedenfalls die, die sich David Kirsch leisten konnten. Auch wenn er aussah wie H.P. Baxxter.

ein Artikel von
Steven Plöger