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Wie glücklich macht Geld?

Mehr Chance als Risiko: Quereinsteiger:innen gesucht wie nie

von Frank Behrendt

„Schuster, bleib bei Deinen Leisten“, habe ich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn mal gehört, als ich einen erfahrenen Personalberater fragte, ob ich als ausgebildeter Redakteur und junger Agenturtexter in die für mich völlig fremde Verkaufsförderungsbranche wechseln könnte. Ich habe nicht auf ihn gehört und bei der Agentur Stein Promotions viele Jahre ebenso begeistert wie erfolgreich gearbeitet.

Inzwischen sind Quereinsteiger:innen alles andere als exotische Wesen, die ihre Karriere aufs Spiel setzen, weil sie in eine eher unbekannte Branche wechseln. Im Zeitalter des Fachkräftemangels in nahezu allen Bereichen sind „Leute gefragt, die bereits sind zu lernen und flexibel sind“, erklärte mir eine Personalberaterin.

Übrigens klagt nicht nur die Wirtschaft über fehlende qualifizierte Arbeitskräfte: Laut einer Erhebung von PwC könnten im Jahr 2030 über eine Million Fachkräfte im öffentlichen Dienst fehlen. Quereinsteiger sind demnach gefragter denn je. Attraktiv ist ein Job beim Bund ohne Frage: Jobs sind sicher, nach Tarifvertrag bezahlt und locken mit zahlreichen weiteren Benefits wie familienfreundlichen Arbeitszeiten. Der Bund schreibt derzeit mehr als 13.000 neue Stellen aus. Immer noch zu wenige, wenn es nach dem Deutschen Beamtenbund (DBB) geht.

So sagte der DBB-Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass an die 360.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst fehlten. Was den Staat unter Druck setzt, ist eine echte Chance für Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger. Ein Hoffnungsschimmer für Bund und Unternehmen: Die Wechselwilligkeit ist bei vielen Menschen so hoch wie nie. Nach Erhebungen des „Jobwechsel Kompass“, einer quartalsweisen Umfrage der Königsteiner Gruppe und stellenanzeigen.de, sind beinahe ein Drittel der Beschäftigten bei ihrem aktuellen Arbeitgeber auf dem Sprung.

Bei den jüngeren Arbeitnehmer:innen zwischen 18 und 29 Jahren haben sogar erstaunliche 42 Prozent (!) einen klaren Wechselwunsch und streben unbedingt eine neue berufliche Herausforderung an. Spannend zudem: Immer mehr Menschen wollen nicht nur ihren Job, sondern gern gleich die ganze Branche oder den Beruf wechseln. „Das wäre früher undenkbar gewesen“, sagte mir der Leiter eines Jobcenters in Köln.

„Die Bewerber:innen hatten regelrecht Angst, etwas außerhalb ihres angestammten Erfahrungsfeldes zu machen.“ Das scheint sich gelegt zu haben, die jüngere Generation entdeckt die Experimentierfreude neu. Die bekannte Job-Plattform Stepstone.de hat festgestellt, dass auf ihrer Karriereseite im vergangenen Jahr doppelt so viele Personen nach den Begriffen „Quereinsteiger“ und „Quereinstieg“ gesucht haben wie im Vorjahr. Und in diesem Jahr steigen die Zahlen weiter. Stepstone-Arbeitsmarktexperte Tobias Zimmermann, der sich mit seinem Team tief in die Daten rund um das Thema eingetaucht ist sagt dazu: „Der Quereinstieg ist ein absolutes Trend- und Zukunftsthema.

Aufgrund des enormen Tempos der Transformation von Arbeit und Arbeitsmarkt ist genau diese Flexibilität der Schlüssel für den zukünftigen Erfolg des Wirtschaftsstandorts Deutschland und der hiesigen Unternehmen.“ Mich wundert in diesem Zusammenhang, dass dieses Thema erst jetzt, im Zusammenhang mit der Fachkräftemangel-Dramatik so an Fahrt aufnimmt. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, dass wir im Führungsteam von besagter Verkaufsförderungsagentur Stein Promotions schon in den 80er Jahren immer sehr gerne Quereinsteiger:innen eingestellt haben. Nicht weil wir sonst niemanden qualifizierten gefunden hätten, sondern weil wir Leute aus anderen Branchen inspirierend fanden. „Die bringen frischen Wind und neue Ideen in den Laden, das bringt uns weiter“, höre ich unseren damaligen Chef Dieter noch leidenschaftlich reden, wenn er wieder mal Bewerber:innen direkt im Vorstellungsgespräch „verhaftet“ hatte, weil sie so „sensationell“ waren.

Zeugnisse interessierten ihn nicht, es ging um Personality. Ich habe es ebenso gehandhabt. Ich erinnere mich noch, dass ich einmal einen Typen einstellte, der von unserem Business überhaupt keine Ahnung hatte. Egon versicherte allerdings glaubwürdig, dass er „alles gelötet“ bekäme und Herausforderungen lieben würde. Er bekam den Job. Kurz danach fiel die Mauer und wir wurden mit der Wiedervereinigung konfrontiert. Ein Eldorado für die Promotion-Branche. Plötzlich mussten Millionen neue Mitbürger:innen über die tollen Produkte aus dem ehemaligen Westen live vor Ort informiert werden, eine Verkaufsförderungsaktion folgte der anderen. Für den Kaffeeröster Tchibo mieteten wir 120 Wohnmobile an, um die 2er-Teams zwecks Verkostung von feinstem Kaffee aus Hamburg vor die Bäckereien in Gera, Jena oder Bautzen zu bringen. Wohl dem, der für diese Himmelfahrtkommandos Projektleiter:innen hatte, die vor nichts Angst hatten und alles immer irgendwie hinbekamen. So wie Egon. Er hielt sein Wort und bekam „alles gelötet“. In den neuen Bundesländern ebenso wie später in Tschechien. Er ist für mich immer noch der beste Beweis, dass Quereinstieg ein echtes Erfolgsmodell ist – für alle Beteiligten.

ein Artikel von
Frank Behrendt
Frank Behrendt

Frank Behrendt hat mit seinen „10 ernsthaften Ratschlägen, wie man locker durchs (Berufs)Leben kommt“ die Arbeitswelt aufgeschreckt. Sein Buch „Liebe dein Leben und NICHT deinen Job“ wurde direkt ein Bestseller. In seinem zweiten Buch „Die Winnetou-Strategie - Werde zum Häuptling deines Lebens“ erklärt er, wie ein moderner Leader agieren sollte. Frank lebt mit seiner Frau, drei Kindern und einer französischen Bulldogge mit Namen „Fee“ in Köln und hat eine wöchentliche Kolumne auf „Stern.de“. Er arbeitet als Senior Advisor für Deutschlands größte Inhabergeführte Agenturgruppe Serviceplan.