Erfahrungsbericht

Warum sich selber belohnen psychisch gesund hält

von Zaster Redaktion

Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich selber zu belohnen etwas sehr Seltenes ist. Denn Arbeit ist ja quasi Lohn genug. Und der nervige Rest (Hausarbeit, Papierkram, Freunden beim Umzug helfen) ist halt eben das harte Leben, da stellt man sich nicht an, Mäuschen.

Mit dieser Einstellung wurde auch ich erzogen und lebte damit viele, viele Jahre. Musste ich mich sehr anstrengen oder mich überwinden, war die Belohnung eben, dass ich es geschafft hatte, es also vorbei war. Ich fühlte mich dann nicht gut, nicht stolz – sondern höchstens mal kurz erleichtert.

Und ich war fest davon überzeugt, dass das eben das Leben ist: sich anstrengen, sich noch mehr anstrengen, sterben. Dass das eine ziemlich trostlose Vorstellung war, war mir irgendwie bewusst, aber da sie auch nicht so absonderlich oder selten war, dachte ich eben: Nicht anstellen, sondern anpacken.

Wie schädlich diese Einstellung tatsächlich ist, wurde mir erst klar, als ich das erste Mal unter totaler Erschöpfung litt und nach Monaten voller Schlaflosigkeit, Frustration und irgendwann auch Hoffnungslosigkeit einen Therapeuten aufsuchte. Ich beschrieb ihm meine Probleme und er fragte diese eine Frage, die bis heute eine der wichtigsten ist: Belohnen Sie sich eigentlich manchmal selber?

Ich lachte damals und dachte: Typisch Therapeut. Als wäre das Leben ein ewiges Candy Crush, bei dem man für jeden Scheiß belohnt wird. „Toll, dass du heute aufgestanden bist, Julia. Und angezogen hast du dich auch. Und gearbeitet, meine Güte, du hast sogar gearbeitet. Und dann sogar noch Wäsche gewaschen und gespült, tolle Leistung, ganz, ganz toll.“

Der Therapeut, er gab mir nach einigen Wochen aber genau das als Hausaufgabe mit. Er sagte: „Ich muss Ihnen wohl nicht die Studienlage erklären und dass Belohnung der Schlüssel zu Motivation ist. Also werden Sie sich diese Woche mindestens einmal selber belohnen.“

Ich musste definieren, wofür ich mich belohnen würde und wie genau das aussehen würde. Schlafen als Belohnung galt nicht, ebenso wenig wie „nichts tun“ oder essen, denn Essen als Belohnung verursacht ein essgestörtes Verhalten. Nein, ich musste konkret werden und ich entschied, mich dafür zu belohnen, wenn ich es schaffte, nach einem stressigen Tag noch eine Runde spazieren zu gehen. Als Motivation wählte ich die unfassbar teuren Theaterkarten, die ich schon ewig besorgen wollte.

Um es kurz zu machen: Ich schaffte es nicht. Und der Frust ging weiter. Nach einigen weiteren Wochen hatte ich endlich genug und fand eine Belohnung, die mich wirklich anspornte: Wenn ich es einen Monat lang dreimal die Woche zum Sport schaffen würde, durfte ich mir endlich das Fahrrad kaufen, auf das ich schon so lange scharf war.

Es war schwer, das durchzuhalten. Denn mein altes Ich sagte natürlich permanent, dass Sport ja wohl eine verdammte Selbstverständlichkeit war und es nun mal Belohnung genug war, dass ich nicht mehr ständige Rückenschmerzen hatte und so beweglich war wie ein Brot. Trotzdem hielt ich mich an die Vereinbarung und kaufte mir am Ende des Monats das Fahrrad.

Seitdem hat sich viel geändert. Ich bin nach wie vor nicht besonders gut darin, eine passende Belohnung zu finden. Immer wieder hadere ich mit mir, immer wieder ist da diese Stimme, die sagt: meine Güte, du hast nicht gerade die Welt gerettet, nur, weil du konsequent auf Pappbecher verzichtest, komm mal runter. Aber mittlerweile habe ich gelernt, die Stimme zu ignorieren und dass „hab ich erledigt, weiter geht‘s“ so viel demotivierender ist als die Julia, die (noch) leise sagt: „Gut gemacht, ich bin stolz auf dich.“

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Zaster Redaktion
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