STADT VON MORGEN

„Wir wollen die Arbeitsplätze dorthin bringen, wo die Arbeitnehmer wohnen“ – Unternehmer Christopher Weiß im Interview

von Philipp Grabowski

Als langjähriger Unternehmer, Architekt, Investor und Immobilien-Projektentwickler blickt Christopher Weiß von Glockenweiß auf einen tiefen Erfahrungsschatz im Bereich Immobilien und Stadtentwicklung zurück. Vor einigen Tagen eröffnete der Tausendsassa mit BEYDES einen innovativen Co-Working Place in Berlin und erzählt bei ZASTER von seinen dortigen Plänen, von den Großstädten der Zukunft und was er jungen Menschen mit Begeisterung für Architektur und Unternehmertum raten würde.

Guten Tag Herr Weiß, Sie eröffneten vor einigen Tagen einen Co-Working Place in Berlin. Wie sticht ihr Angebot aus der Vielzahl an Co-Working-Places in der Hauptstadt hervor?

Wir haben erst seit drei Tagen geöffnet, aber jetzt zeigen sich erstaunlicherweise schon Tendenzen. Insbesondere die Kreativwirtschaft hat auf einen Co-Working-Space mit einem Ambiente wie unserem regelrecht gewartet. Was uns sicherlich auch unterscheidet: Bisher ist ein Arbeitnehmer zu seinem Arbeitsplatz gefahren bzw. gependelt, was in Metropolen durchaus bis zu einer Stunde dauern kann. Wir wollen dagegen mit unserem Office-Konzept BEYDES die Arbeitsplätze dahin bringen, wo die Arbeitnehmer wohnen. Was aus unserer Sicht immer gefehlt hat, war ein Angebot zwischen einem WeWork in Mitte und einem CoConat in Bad Belzig – also nicht mehr im Zentrum und auch nicht im Ländlichen… in der  Draußenstadt! Bei der Gründung von BEYDES haben wir daher auch die große Brille aufgesetzt und die Marke nicht nur aus Betreiber-Sicht, sondern auch durch die Brille der Projektentwicklung und der Stadtentwicklung betrachtet. Welche Chancen bestehen, wenn ich nicht nur einen Space anbiete, sondern weiterdenke? Und wenn man jetzt weiterdenkt, kann man auch den leider viel zu oft in der Vergangenheit entwickelten „Schlafstädten“ wieder zu mehr Leben verhelfen. Früher gab es am Marktplatz das Rathaus, die Bank, die Post, den Einkaufsladen, ein Restaurant und die Schule. Das alles gibt es meistens nicht mehr. Wenn ein BEYEDES-Hub dann auch weitergehende Dienstleistungen und sogar Gastronomie anbieten könnte – umso besser.

Zunehmend ziehen die Arbeitnehmer in die Peripherie oder gleich in das Umland. Wie uns die Pandemie gezeigt hat, muss ich vielleicht gar nicht jeden Tag in die Hauptverwaltung ins Büro pendeln – manchmal reichen 1-2 Tage in der Woche aus. Was wir aber auch gelernt haben: Homeoffice ist auch nicht das Maß aller Dinge – zu oft wird man abgelenkt. Und da setzt BEYDES an: Wie ein Satellit gibt es für die Corporates kleinere (Zweig-) Niederlassungen um die Metropolen herum, die es den Mitarbeitern erlauben, in kurzer Entfernung – man spricht hier gerne von „Pantoffelentfernung“ in 5-10 Minuten Distanz – zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Man findet hier eine professionelle Infrastruktur und einen vollausgestatteten Arbeitsplatz. Kombiniert mit einer Community, die idealerweise auch Synergieeffekte erlaubt. Wir alle kennen die Gespräche beim Kaffee in der Teeküche oder in der Lounge. Was spricht dagegen, hier von benachbarten Corporates inspiriert zu werden?

Die Vorteile liegen auf der Hand: Ich habe weniger Stress im ÖPNV oder im täglichen Stau, ich gewinne mehr Lebenszeit, z. B. mit der Familie, und ich tue natürlich auch etwas für die Umwelt, wenn sich mein ökologischer Fußabdruck verkleinert.

Sie wählten mit Berlin-Tegel einen Standort, der etwas außerhalb des Zentrums liegt. Eine bewusste Entscheidung?

Wie wir nach einigen Tagen gesehen haben, wohnen natürlich Kreative, Programmierer, Founder von StartUps, etc. auch in Tegel und nicht nur in den vermeintlich hippen Bezirken. Einerseits sind hier die Mieten noch erschwinglicher, andererseits ist man schnell mit der U-Bahn in Berlin-Mitte oder in Kreuzberg. Erst gestern meinte ein neuer BEYDES-Nutzer, dass er sich schon seit langem gewundert hätte, warum bisher in Tegel kein CoWorking-Space eröffnet hat.

Wir haben das Gebäude 2018 erworben. Aus unserer Sicht wurde (und wird!) Berlin-Tegel immer noch sehr unterschätzt. Es ist perfekt angebunden mit U-Bahn und S-Bahn direkt vor der Tür, die Autobahn lärmschonend im Tunnel erlaubt es, schnell in die City-West aber auch nach Brandenburg Richtung Hamburg zu kommen. Nebenan entsteht in der Gorkistraße eine komplett neue Fußgängerzone mit sehr hochwertiger Architektur und vielen Geschäften. Direkt neben unserem Gebäude wird auch in diesem Jahr noch die neue Markthalle Tegel eröffen, die auf den Bildern ein sehr schönes Ambiente erwarten lässt. Und nicht zu vergessen: Auf dem (ehemaligen) Flughafen Tegel in 10 Minuten Entfernung entsteht in den nächsten Jahren DAS innovativste neue Stadtquartier in Berlin. Nicht zuletzt: Der Erholungsfaktor ist in Tegel durch die vielfältige Seenlandschaft sehr hoch – theoretisch kann ich auf dem Wasserweg bis nach Mecklenburg-Vorpommern fahren… Der Standort weist also alle Faktoren auf, die einen BEYDES-Standort ausmachen.

Die Corona-Pandemie veränderte die Art des Arbeitens. Hat das (Shared-) Office im Jahre 2021 nicht eigentlich ausgedient?

Auf gar keinen Fall! Es werden sich nur die Anforderungen ändern – vielleicht nicht so radikal, wie einige vermuten. Aber wir werden uns Gedanken machen müssen, welche Arten von Büroflächen wir denn noch brauchen werden in Zukunft. Ich denke auch, dass der Bedarf vielleicht sogar ansteigen wird. Die Abstände zwischen den Arbeitsplätzen werden größer, gleichzeitig werde ich als Corporate evtl. Flächen in einem BEYDES anmieten für meine Mitarbeiter. In Summe bedeutet dies keine Flächenreduzierung, im Gegenteil, sondern eine Verschiebung an andere Standorte. Gleichzeitig kann ich aber damit auch auf die geänderten Lebensgewohnheiten eingehen und etwas für meine Mitarbeiter tun. Und bestimmt spare ich als Coporate auch Geld, wenn ich preiswertere Flächen in Satelliten-Hubs in der Peripherie oder im Umland anmiete.

Sie sind als Architekt und Investor seit vielen Jahren im Geschäft und maßgeblicher Treiber von Stadtentwicklung. Was ist nach Ihrer Erfahrung gerade für Großstädte besonders wichtig, um zukünftig lebenswert zu werden oder zu bleiben?

Wir haben uns bereits 2016 Gedanken gemacht zum Stadtquartier der Zukunft und mit Freunden, Geschäftspartnern und sonstigen Partnern aus Politik und Verwaltung einen Think Thank gegründet: SYNCHRONICITY. Was uns vor fünf Jahren, lange Zeit vor den Enteignungsdebatten, schon beschäftigt hat: Wir benötigen eine neue Art von Kommunikations- und Kooperationskultur im Miteinander. Dies auch als Grundlage für das in vielen Metropolen vorherrschende Aktivierungsproblem! Wenn ich durch Berlin fahre, sehe ich so viele potentielle Flächen für Stadtentwicklungen, die aber aus den vielfältigsten Gründen nicht aktiviert werden können. Aus seiner Sicht hat jeder der Beteiligten vielleicht recht, aber in Summe bedeutet das auch, dass aufgrund der mangelhaften Kommunikationskultur und auch fehlenden Kompromissbereitschaft eine Entwicklung von Flächen im Keim erstickt wird.

Auch sind die Gesetzgebungen immer noch sehr starr – zukünftig wird es immer weniger eine „Entweder-Oder-Stadt“ geben müssen, die Nutzungsarten und Lebensgewohnheiten sind fluide und müssen flexibel händelbar sein – idealerweise finde ich als Bewohner alles in fußläufiger Entfernung von max. 15 min. Man spricht hier dann von der „Stadt der kurzen Wege“. Selbst bei den Lebensmodellen gibt es nicht nur die klassische Familie mit Mutter-Vater-Kind, sondern auch vielfältigste Unterschiede. Und zu guter letzt hat uns auch die Pandemie gezeigt, dass das Auto und der MIV nicht mehr das Maß aller Dinge sein müssen. Der Stadtplaner Jan Gehl hat bereits vor vielen Jahren das Konzept der „Walkable City“ entwickelt – eine Stadt wird also aus der Sicht von Fußgängern und nicht aus der Sicht eines Autofahrers entwickelt.

Auch die Diskussionen mit und über die Generation Z und Themen, wie das bedingungslose Grundeinkommen aber auch der starke Wunsch des „Raus aus der Stadt ins Grüne“ zeigen uns, was unsere Kinder und die nächsten Generationen bewegt, was sie vom Arbeitsleben erwarten. Was uns die Pandemie auch gezeigt hat: Es gibt immer noch einen wahnsinnigen Nachholbedarf in den Bereichen der Digitalisierung und damit der viel propagierten Smart City (oder sogar Smart Country, wenn wir den ländlichen Raum mitbetrachten). Aus meiner Sicht werden die Bereiche des Arbeitens, des Wohnens, aber auch des Erholens immer weiter fließend sein. Der Drang nach Individualität wird größer werden – auch um sich abzugrenzen von der täglichen Informationsflut aus den diversen Medien. Was sicherlich auch wichtiger wird: Nicht mehr unbedingt die extreme Spezialisierung jedes Einzelnen, sondern die Community, das Netzwerk, das Schwarmwissen. Das Miteinander wird ähnlich der früheren Dorfstrukturen eine Renaissance erfahren. Und auch hier setzen wir mit BEYDES an – der Community-Gedanke ist uns bei jedem Space sehr wichtig.

Kommen wir zu Ihren anderen Investments: In der Brandenburger Landeshauptstadt Potsdam entsteht Ihr derzeit größtes Projekt auf rund 25.000 Quadratmetern. Was planen Sie dort?

2019 konnten wir ein Konzeptverfahren der Stadt Potsdam für ein Kultur- und Kreativquartier im Herzen von Potsdam für uns entscheiden. Das bedeutet vereinfacht, dass bei der Vergabe des Grundstückes nicht mehr das Wirtschaftliche für die Stadt im Vordergrund steht – also platt gesagt, wer das meiste Geld zahlt, erhält den Zuschlag – sondern andere Faktoren eine Rolle spielen und die Vergabe zum Festpreis erfolgt. Dies bedeutet einerseits wirtschaftliche Sicherheit für einen Projektentwickler, andererseits entsteht natürlich der Mehrwert dadurch, dass allein das Konzept entscheidend ist – für die Stadt und damit alle Bewohner. Auf ingesamt 25.000 m² Nutzfläche werden wir rund 2/3, also 16.000 m², für die Kultur- und Kreativwirtschaft anbieten, dies umfasst alle kreativen Branchen, z. B. Print, Radio, Fernsehen, Architekturbüros, Werbeagenturen, Designer, Programmierer, aber auch Tanzschulen, Bildene Künstler, ein Museum, eine Musikschule.

Von diesen 16.000 m² wiederum werden wir sogar die Hälfte zu preisgedämpften Mieten anbieten, also für im Schnitt 9 EUR pro m². Dies bedeutet, dass neben großen, klassischen Coporates auch kleinere Agenturen, Künstler, Freelancer, Soloselbständige die Chance bekommen, Teil dieses Quartieres zu werden. Das restliche Drittel von rund 8.000 m² umfasst Nutzungen, die wir ebenso wichtig für die Qualität eines Quartieres ansehen: Wohnungen, Einzelhandel, aber auch natürlich auch Gastronomie und Eventflächen. Insgesamt 7 Gebäude gruppieren sich um einen Stadtplatz – und das ganze in der Innenstadt von Potsdam in Sichtweite von Schloss Sanssouci und Altem Markt mit Landtag und Museum Barberini.

Bei einem Blick auf Ihre Investments fällt auf, dass Sie bevorzugt in Brandenburg investieren. Was macht das Bundesland so attraktiv – und ist es vielleicht bei vielen Leuten noch zu unterschätzt?

Ich glaube, dass Brandenburg inzwischen nicht mehr ganz so unterschätzt wird. Es sind viele andere Projektentwickler unterwegs und investieren in alle möglichen Asset-Klassen, sei es Wohnen, Gewerbe, aber auch Logistik. Wir selbst kommen eigentlich aus dem klassischen Einzelvertrieb mit Eigentumswohnungen in Berlin. Bereits 2017 hat sich jedoch abgezeichnet, dass es für Entwickler immer schwieriger wird, in Berlin Grundstücke zu annehmbaren Preisen zu finden. 2018 haben wir dann entschlossen, unser Geschäftsfeld auch auf andere Asset-Klassen und auf Brandenburg zu erweitern. Was auffällt: Das Mindset in den Behörden und in der Politik ist in Brandenburg ein ganz anderes -und zwar in der Breite, nicht nur in Einzelfällen! Man kann auf Augenhöhe diskutieren und wird nicht als Bittsteller gesehen. Viel zu oft hat man in Berlin das Gefühl, nicht wirklich erwünscht zu sein. In Brandenburg ist das überwiegend ganz anders: Es gibt kurzfristige Gespräche mit den wesentlichen Behörden, die alle zielorientiert arbeiten. Und der Bürgermeister freut sich natürlich, wenn in seiner Gemeinde oder Stadt investiert wird. All das haben wir in Berlin vermisst. Zu guter letzt sind die Grundstückspreise in Brandenburg immer noch deutlich niedriger als in Berlin. Dies ermöglicht wiederum, im Wohnungsbau auch Mieten, die bei rund 10-12 EUR/m² liegen und damit noch erschwinglich sind für die Mittelschicht.

Mit all Ihrer Erfahrung: Was würden Sie jungen Menschen raten, die ebenfalls Ihre Passion für Architektur und Unternehmertum verbinden und verwirklichen wollen?

Was uns immer geholfen hat: Sei offen! Offen, was Gebäudearten, Grundstückszuschnitte, Zielgruppen oder Lagen von Projekten angeht. Es gibt keine „schlechten“ Grundstücke, es gibt nur die falschen Konzepte dafür. Wir waren von Anfang an in denjenigen Lagen unterwegs, in die sich vor Jahren noch keiner getraut hat: Neukölln, Lankwitz, Tegel. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Preise sind noch nicht verdorben, wenn eben noch kein anderer Projektentwickler dort tätig ist. Der Klassiker schlechthin ist ja das heruntergekommende Gewerbegebiet mit schönem Altbaubestand, der langsam von Künstlern und Kreativen entdeckt wird, bevor die Luxusappartements kommen und die Kreativen wieder in andere, heruntergekommende Lagen verdrängen…

Nicht zuletzt glaube ich auch, dass der sprichwörtliche Blick über den Tellerrand in ganz andere Tätigkeitsfelder von Vorteil sein wird. Sei es für den Aufbau eines Netzwerkes, von Synergieeffekten oder aber auch aus wirtschaftlichen Gründen. Wir selbst von Glockenweiß sind seit kurzem auch Unterstützer und Sponsor eines Internet Swing Radios und haben in einem Projekt ein Theater mitgegründet. All das ist auf jeden Fall immer wieder inspirierend – auch für unsere Projektentwicklungen!

ein Artikel von
Philipp Grabowski