Auf den ersten Blick sieht es trübe am Bau aus. Wer aber hinter die negativen Schlagzeilen schaut, findet viele positive Entwicklungen und viel Resilienz. Das Baugewerbe in Deutschland klagt zwar, aber der Rest der Welt kommt gut mit den gestiegenen Zinsniveaus zurecht. In der Euro-Zone sind die Hypotheken im Neugeschäft im Hoch bis über die Marke von 4 % geklettert. Belastet wird daher in erster Linie das Neugeschäft im Wohnungsbau. Insbesondere die privaten Haushalte haben sich zurückgezogen, aber auch die Wohnungsunternehmen haben reihenweise Projekte abgebrochen und planen, weitere im laufenden und kommenden Jahr zu stoppen. Zwei Drittel der Wohnungsunternehmen, so der Bundesverband, haben für 2024 sogar einen kompletten Baustopp verhangen.
Doch wer baut dann noch?
Der Staat, die Kommunen, staatsnahe und stark staatlich regulierte Unternehmen. Oder anders gesagt: Alle, bei denen das Geld fließt, unabhängig von der Konjunktur. Während das Neugeschäft im Wohnungsbau eingebrochen ist, kann sich der Tiefbau kaum vor Aufträgen retten. Insbesondere die Deutsche Bahn und die Versorger treiben das Baugeschäft voran. In die deutsche Infrastruktur fließen auch in diesem Jahr Milliarden, um das Schienennetz zu erhalten und auszubauen sowie die Kapazitäten im Stromnetz zu vergrößern.
Bau-Wirtschaft: Aussichten besser als die Stimmung
Schaut man über den Tellerrand hinaus, sieht es sogar noch rosiger aus. Die Wirtschaft im Süden Europas zeigt sehr positive Konjunkturimpulse, Asien zeigt sich freundlich, wenngleich die Krise im chinesischen Immobiliensektor belastet, und die USA laufen allen anderen Volkswirtschaften davon. Gerade für international aufgestellte Bauunternehmen ist das ein Umfeld, mit dem sie sehr gut arbeiten können. Und die Börse honoriert das auch.
Die Aktien der Zementhersteller haben es bereits vorgemacht. HeidelbergCement (aka Heidelberg Materials) und Holcim litten seit dem 2. Quartal 2021 unter harten Abgaben, die die Aktien in eine tiefe Baisse führten. Am Ende, im 4. Quartal 2022, notierten die Papiere sogar in der Nähe ihrer Tiefpunkte der letzten Dekade, wenngleich weder die HeidelbergCement- noch die Holcim-Aktien die Crashtiefs vom März 2020 wiedererreichten.
Die Börse hatte frühzeitig ein Ende des Immobilienbooms antizipiert. Lange bevor die Europäische Zentralbank überhaupt bereit war, das Problem steigender Inflationsraten zu akzeptieren. Wir erinnern uns: Transitiv sei die steigende Inflation, hieß es lange aus Frankfurt. Der Aktienmarkt tat im Gegensatz dazu das einzig Richtige und antizipierte auf Basis der Daten, dass die Zementhersteller mit Gegenwind rechnen müssen.
Rallye bei den Zement-Aktien hat es vorgemacht
Die Wende für die Zement-Aktien kam bereits auf halbem Weg der Zinserhöhungen. Ende 2022 deckten die Short-Seller ihre Positionen bei HeidelbergCement und Holcim ein und seit diesem Zeitpunkt haben beide Aktien nicht wieder zurückgeschaut. Die Rallye hält bis heute an und überschneidet sich damit in weiten Teilen sogar mit der Zinserhöhungsphase in der Euro-Zone und im US-Dollar Raum, da sich die Nachfrage als resilienter erwiesen hat als erwartet.
Besser als befürchtet entwickeln sich auch Bauzulieferer wie Sto. Eingepreist hat die Börse hier seit Anfang 2022 eine tiefe Kontraktion im Geschäft, weswegen die Bewertung der Aktien sich nicht nur normalisierte, sondern tief in den Keller geschickt wurde. Die Sto-Aktien verloren beispielsweise rund die Hälfte ihrer Marktkapitalisierung. Am Ende stellte sich nun heraus, dass der Umsatz im Geschäftsjahr nur um -3,9 % sank und der Vorsteuergewinn gerade einmal -0,7 % unter dem Geschäftsjahr 2022 lag. Und für 2024 stellt die Geschäftsführung bereits wieder neues Umsatzwachstum in Aussicht. Die Frage ist nun, was die Börse daraus macht und ob sie die deutschen Bauzulieferer in eine ähnliche Rallye-Phase schickt wie zuvor die international agierenden Zementhersteller. Der Frage gehen wir im Zürcher Finanzbrief aktuell nach.
Hält sich die EZB an ihre Ankündigungen, dann folgt ab Juni zudem ein weiterer Schub für die Baubranche. Mit einer Zinswende im Euro wird unweigerlich auch das Neugeschäft im Wohnungsbau stimuliert. Erst langsam zu Beginn, aber je stärker der Kapitalmarkt sinkende Zinsen vorwegnimmt, umso stärker wird auch das Interesse der privaten Haushalte und Wohnungsunternehmen wieder zurückkehren. Der Fokus in Frankfurt hat sich daher auf die Gesellschaften gerichtet, zu deren Hauptgeschäft die Finanzierung des Neugeschäfts zählen: Die kleine MLP und die deutlich größere Hypoport beginnen wieder das Interesse der Anleger auf sich zu ziehen. Erste „grüne Triebe“ sind in den Zahlen und Prognosen der beiden Gesellschaften ohne Zweifel auszumachen, was der Börse reicht. Getreu dem Motto: Buy the rumor, sell the news.