Marie von den Benken

Reich, ledig, jung sucht: Steuerberater!

von Marcus Schwarze

Neureichtum gilt oft als schwierig: Plötzlich hast Du viel Geld, aber keinen Plan. Aber was ist mit Frühreichtum? Du kommst zu Geld, hast auch keinen Plan – und dazu kaum Lebenserfahrung. Über den Traum, jung und reich zu sein – und die Tücken der Realität vermeintlicher Jungmillionäre.

Schon als ich sehr jung war, liebte ich Kleidung. In der Unterstufe eines Hamburger Gymnasiums ging es zwar weniger um Haute Couture, aber immerhin um Levi’s. Wer keine 501 trug, dem wurde der Zugang zu bestimmten Cliquen und damit auch zu den vermeintlich coolsten Parties verwehrt. In der sechsten Klasse war eine Party natürlich keine wilde Tanznacht in schummrigen Clubs, sondern es gab Nachmittage im Garten mit einem Haufen Kuchen und einem Haufen Vorfreude darauf, möglichst ganz bald den ersten Freund zu haben. Schwärmen, lachen, die Hoffnung auf Knutschen.

Für diese Sommernachmittage qualifizierte man sich jedoch nicht durch besondere Loyalität zu seinen Freunden oder seinen Charakter. Die Eintrittskarte war damals, zur Jahrtausendwende, die richtige Klamotte. Dresscode für 11-Jährige.

Gut, für die meisten Mädchen war das kein Problem. Sie lebten in riesigen Villen mit Gärten, die direkt an einem Alsterfleet mündeten. Glänzende Oldtimer in den Garagen erzählten davon, wie das Leben der knapp 1,7 Millionen „normalen“ Hamburger nicht aussah. Das wussten wir damals aber nicht. Wir waren einfach froh, dass es an der richtigen Jeans nicht scheitern sollte. Meistens. Ich wohnte nicht an einem Alsterfleet, nicht mal in Eppendorf. In meinem Elternhaus gab es für mich und meine Schwester kein Dauerabo auf Markenklamotten.

Für jede Levi’s Jeans musste ich einen harten Kampf mit meiner Mutter austragen. Sätze wie „für eine 501 bekommt man zwei Jeans von Lee“ haben sich eingebrannt. Die 501 wurde zum Benchmark. Eine 501 waren 24 Zootickets oder 90 Franzbrötchen. Oder eben zwei Lee Jeans. Schnell wurde beim gemeinsamen Shoppen klar: Meine Mutter hatte offensichtlich keine Ahnung von Mode und ich nicht von Geld – aber Mode war wichtiger und meine Mutter gab irgendwann auf.

Aus dem Überland-Bus in die Stretch-Limo

Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich davon träumte, einfach mal alleine in einem Levi’s Store zu sein und alles einpacken und mitnehmen zu dürfen, was mir gefällt. Abseits von Weltfrieden und lange vor Work-Life-Balance war das das Paradies. Geld war wichtig. Jeder wollte später viel verdienen. Je älter ich wurde, desto mehr junge Menschen begegneten mir, die das auch schafften. Reich quasi über Nacht. Auch nicht so einfach, wie man sich das mit 11 Jahren ausmalt. Meinen Weg pflastern junge Schauspieler, deren größtes Problem in ihrem Kuhdorf in Schwaben eben noch war, dass der Bus in die nächste Stadt mit Kino nur alle sechs Stunden fuhr. Jetzt stehen sie plötzlich bei „GZSZ“ vor der Kamera, leben in Berlin, werden stets von einer Horde Fans umlagert und haben fünfstellige Summen zur Verfügung. Aus dem Überland-Bus direkt in die Stretch-Limo.

Ich kenne junge Sängerinnen, die gerade noch für 7,50 € die Stunde bei Deichmann Schuhkartons sortiert hatten, dann durch TV-Casting-Formate oder eine Kooperation ihrer Plattenfirma mit „BRAVO“ in die Charts gespült wurden – und damit auch hohe Summen auf ihre Schüler-Girokonten. So wie auch Fußballprofis oder natürlich: erfolgreiche Models. Oftmals erst 16 Jahre alt, reisen sie plötzlich um die Welt, sitzen bei Dinnerparties in Pariser Luxus-Hotels neben Karl Lagerfeld. Selbst die, die nie in die Linda-Evangelista-Kategorie aufsteigen („Für weniger als 10.000 $ am Tag stehen wir gar nicht erst auf“) – und das sind die meisten – stoßen recht schnell in finanziell verlockende Kategorien vor.

Ich kenne niemanden, der nicht gerne viel Geld verdient. Klar, es gibt diese typischen Aussteiger. Von denen hat jeder welche im Freundes- oder Kollegenkreis. Die erkennen plötzlich das „wirklich Wichtige“ im Leben und machen Sabbaticals oder ziehen nach Bali. Da leben sie aber dann in weißen Traumvillen, schreiben den ganzen Tag beschissene Gedichte in ihre brandneuen MacBooks und nennen es Freiheit. Diese Freiheit kann sich aber kaum jemand leisten. Das geht eigentlich nur, wenn man 40 Jahre lang kräftig die Karriereleiter erklommen oder in der Stammbaum-Lotterie das große Erbschafts-Los gezogen hat.

Geld macht glücklich. Jedenfalls für kurze Zeit.

Junge Menschen, die unerwartet an viel Geld kommen, haben oft andere Probleme. Geld verführt zu Konsum. Die Quelle sprudelt, man tauscht den klapprigen Golf gegen ein Cabrio, kauft sich zum ersten Mal Möbel, die nicht von IKEA sind und zahlt den Deckel für alle, wenn man mit Freunden essen geht. An die berühmte „hohe Kante“ denkt kaum jemand. Warum auch. Man ist jung, erfolgreich, und das Leben auf der Überholspur hat ja gerade erst begonnen. Wie gnadenlos die Unterhaltungsbranche sein kann, ahnen sie da meistens nicht. So schnell, wie man der Liebling des Boulevards ist, kann man auch in der „Was macht eigentlich …“-Rubrik verenden. TV-Sender setzen Formate ab, Plattenfirmen wollen doch kein zweites Album. Vom Tellerwäscher zum Millionär – und wieder zurück.

Und selbst, wenn man im Geschäft bleibt, ist die Gefahr nicht gebannt. Damokles-Schwerter warten an jeder Ecke: Windige Berater mit grandiosen Immobilien oder einem Start-Up, das das neue PayPal werden wird, in der Hinterhand. Freunde, die auf einmal mit Dir ein Restaurant, eine Boutique oder einen Fitnessclub eröffnen möchten. Oder naja, eigentlich gar nicht so sehr mit Dir, sondern vor allem mit Deinem Geld. Am häufigsten aber trifft der finanzielle Gnadenschuss die Neo-Bourgeoisie in Form eines Steuerbescheids. Wer konnte ahnen, dass 10.000 Euro Honorar nicht 10.000 Euro zum Verprassen bedeuten?

Intellektuelle Champions League

Davon kann auch ich ein Lied singen. Stellt man mal 10.000 Euro in Rechnung, wächst das Verlangen nach Belohnung umgekehrt proportional zum rationalen Denken. Man redet sich ein, dass dieser einzigartige Mantel, ohne den man nicht mehr weiterleben kann, mit 2000 Euro geradezu ein Schnäppchen ist. Und 2000 Euro sind nur 20 Prozent vom gerade Erarbeiteten. Ein bisschen genießen muss man doch auch bei so viel Arbeit. Aber natürlich sind 2000 Euro nicht 20 Prozent. Die Agentur bekommt ihr Vermittlungshonorar, die Steuer plant am Jahresende zunächst mal knapp 50 Prozent ein. Und den Mantel kann man nicht mal als Betriebsausgabe absetzen.

Was eventuell im ersten Moment lustig, nach First-World-Problems oder einfach nur lebensunfähig klingt, ist ein echtes Dilemma. Es ist kein Zufall, dass ein nicht unbedeutender Teil ehemaliger Stars, vor allem Fußballer, nach ihrer Karriere finanziell nicht etwa ausgesorgt haben, sondern zu wirtschaftlichen Problemfällen werden, von denen nicht jeder durch Auftritte im Dschungelcamp kernsaniert werden kann. Gerade junge Sportler, von denen man landläufig zusätzlich geradezu erwartet, dass sie neben ihrem herausragenden Talent am Ball nicht auch noch in der intellektuellen Champions League spielen, leben ein gefährliches Spiel.

Money for Nothing

Gute Berater sind rar, die meisten setzen auf schnellstmögliche finanzielle Optimierung in jungen Jahren. Viele Wechsel, Handgelder, Provisionen. Was mit seinen Klienten passiert, wenn sie 40 sind, wird oft eher stiefmütterlich hinterfragt. Viele, für die es mit knapp 18 normal ist, für einen potthässlichen Off White Hoodie mehr Geld auszugeben, als die meisten ihrer Altersgenossen im Monat verdienen, kommen mit einem finanziellen Absturz nicht zurecht. Themen wie Finanzplanung, Altersvorsorge oder Steuerrücklagen sind nicht sexy und man bekommt dafür auch kaum Likes auf Instagram. Trotzdem ist es ein zentrales Thema, das womöglich Pflichtfach in den weiterführenden Schulen sein sollte.

Egal, ob der angebliche neue Justin Bieber oder Ryan Gosling oder angehender Busfahrer oder Herzchirurg: Man sollte einen Plan für seine finanzielle Zukunft haben, wenn man in die Welt der Erwachsenen entlassen wird. Unabhängig davon, ob das als Model, Sänger, Schauspieler oder Sportler vielleicht schon mit 14 Jahren, oder nach Abi, Studium und diversen Praktika erst mit 25 Jahren passiert. Für einen Lothar Matthäus ist bei Sky immer ein Platz als „Experte“ frei. Aber nicht jeder ist Lothar Matthäus. Und die seit einigen Monaten verstärkt durch die Medien geisternde Vokabel Altersarmut kein Märchen. Sie ist tragische Realität – kann aber vermieden werden. Als Großverdiener genauso wie als Normalsterblicher. Diese Lektion musste auch ich lernen. Öfter mal eine Lee-Jeans statt einer 501 ist da schon mal ein guter Anfang.

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Marcus Schwarze