"Charging Bull" gegen "Fearless Girl"

Ein Streit um Eitelkeiten, Symbolik und Macht

von Anton Kleihues

An der Wall Street ist Anfang des Jahres ein Streit entbrannt, der sich bis in die höchsten Kreise der New Yorker Politik zog. Wie wurde er eigentlich gelöst? ZASTER fasst zusammen!

19. Oktober 1987

Der „schwarze Montag“ markiert den ersten Börsencrash nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Dow Jones fiel innerhalb eines Tages um 22,6 % – der größte prozentuale Rückgang innerhalb eines Tages in der Geschichte. Über den Tag und die darauffolgende Nacht breitet sich der Sturz wie ein Lauffeuer auf alle wichtigen internationalen Börsen aus. Bis Ende Oktober fielen die Börsenkurse in Australien um 41,8 %, in Kanada um 22,5 %, in Hongkong um 45,8 % und in Großbritannien um 26,4 %. Der Sizilianer Arturo Di Modica erlebte diesen Tag sehr niederschmetternd. Das Land, das ihn mit offenen Armen empfangen hatte und in dem er ein neues Zuhause gefunden hatte, lag am Boden. Als Künstler gab es nicht viel, was er tun konnte um den Finanzproblemen entgegenzutreten und so machte er sich auf, den Menschen New Yorks eine Skulptur zu schenken, die sie immer an die Widerstandskraft ihrer Gesellschaft erinnern sollte.

Zwei Jahre und mehr als 360.000 US-Dollar
, die der Künstler selbst bezahlte, später hatte er einen 3 Tonnen schweren, 5 Meter langen, 3,5 Meter großen Bronzestier geformt. In den frühen Morgenstunden des 15. Dezember 1989 stellten Di Modica und ein paar Freunde den Charging Bull auf der Broad Street direkt vor dem New York Stock Exchange ab. Nur ein paar hundert Meter entfernt steht der Charging Bull, der als ein Talisman für die Wall-Street-Händler und eine Quelle des Stolzes für alle Bewohner New York Citys gilt, bis heute und wurde schon von Millionen Touristen besucht. Fast 30 Jahre stand nun dieser Stier recht einsam herum. Immer wieder wurde er von Touristen umarmt und reifte auf Titelgeschichten zum Wahrzeichen der Wall Street. Doch er war ansonsten weitestgehend allein auf weiter Flur.

8. März 2017

Der Kalender zeigt den 8. März – Weltfrauentag. Die amerikanische Bildhauerin Kristen Visbal hat in einer Nacht- und Nebelaktion eine weitere Bronzestatue gegenüber dem Bullen platziert. Sie zeigt ein kleines Mädchen, das sich uneingeschüchtert, ohne Angst dem viel größeren Bullen entgegenstellt: breitbeinig, die Hände in die Hüften gestemmt steht sie in einem wehenden Kleid da und blickt dem „Charging Bull“ direkt in die Augen. Anders als der anmutige Stier soll das mutige Mädchen kein Symbol des Trostes und des Widerstandes sein sondern auf den Missstand hinweisen, dass in den Vorständen der Wall-Street-Firmen nach wie vor der Anteil an Frauen in Führungspositionen sehr gering ist. Dahinter versteckt sich allerdings eine weniger idealistische Idee als sich auf ersten Blick vermuten ließe.

So ist der Auftraggeber der kleinen Bronzestatue Street Global Advisors, der drittgrößte Vermögensverwalter der Welt. In Zusammenarbeit mit der Werbeagentur McCann in New York entwickelten sie die Idee für das kleine, starke Mädchen. Das perfide: Hinter der Kampagne steckt nicht wie zuerst suggeriert ein Wachrütteln für die Männerwelt an der Wall Street sondern einfach clevere PR für einen Index, den State Street Global Advisors seit Jahren herausgibt. Dieser Index heißt „SHE“ und untersucht, wie hoch der Anteil weiblicher Vorständen in einem Unternehmen ist und wie sich das auf die Bilanzen der Unternehmen niederschlägt.

Der Streit

Arturo Di Modica, der Schöpfer des „Charging Bull“ sah seinem gewaltigen Stier nun ein kleines, freches Mädchen ausgesetzt. Das konnte er nicht hinnehmen. Sein Anwalt argumentierte, dass die „künstlerische Dynamik“ der Skulptur seines Mandanten durch das „Fearless Girl“ verändert würde. Der italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ sagte Di Modica: „Mein Stier ist ein Zeichen des Optimismus und der Stärke. Ich bin nicht damit einverstanden zu sehen, wie er in ein negatives Symbol umgewandelt wird.“ Seine Statue sei zu einer Repräsentation der männlichen Dominanz über die Frauen gemacht worden. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio sah sich auf einmal in einer Zwickmühle: Eine Petition mit Zehntausenden Unterschriften brachte den Demokraten schließlich zu der Entscheidung, dass das „Fearless Girl“ bleiben dürfe.

Um alle Seiten zu besänftigen, wurde aber schlussendlich entschieden, die kleine Bronzestatue ein paar hundert Meter weiter weg zu positionieren. Ob die das „Fearless Girl“ ihre „künstlerische Dynamik“ dadurch verloren hat, lassen wir mal dahingestellt. Am Ende verlieren wir zwei Statuen, die besonders in ihrem Zusammenspiel so interessant waren und deren geschichtlicher Hintergrund vieles zu erklären weiß. Gewinnen tun nur Arturo Di Modica, der seinen Stier wieder in Alleinherrschaft weiß und vor allem State Street Global Advisors mit der Werbefirma McCann…

ein Artikel von
Anton Kleihues
Anton studiert Politik in Berlin und liebt es, zu schreiben. Als ZASTER-Redakteur versucht er dabei immer neue, aktuelle und relevante Themen zu behandeln. Am liebsten berichtet er über Politik und Sport.