© Christian Wiediger / Unsplash
ZUKUNFT DEUTSCHLAND

„Die Fortschrittskoalition“: Das sind die Pläne der künftigen Regierung

von Pauline Brinkmann

In himmlischer Einigkeit präsentierte das Dreiergespann aus SPD, Grüne und FDP am gestrigen Nachmittag (24.11.2021) seine Pläne für die nächsten vier Jahre.

„Die Ampel steht.“ Mit diesen Worten leitete Olaf Scholz, sichtlich stolz die Verkündung des Koalitionsprogramms der zukünftigen, von ihm geführten Regierung ein.

Doch was steht drin im guten Stück?

Olaf Scholz hatte eine lange To-Do Liste im Gepäck, nicht selten kam ihm dabei das Wort Investition über die Lippen. So machte er auch keinen Hehl daraus, dass er zu Erreichung der neu gesteckten Ziele nicht nur einmal etwas tiefer in die Staatskasse greifen müsste. In diesem Zuge betonte er in aller Deutlichkeit: „Die Modernisierung unseres Landes gibt es nicht zum Nulltarif.“ Er möchte massiv investieren, um Deutschland an der Weltspitze zu halten. 

Es scheint, als wolle die künftige Regierung den in Deutschland seit Jahren herrschenden Investitionsstau nun – um es im „scholzschen“ Jargon zu sagen – mit einer „Investitions-Bazooka“ auflösen. 

Doch was wäre Herr Scholz, ohne seine heiß geliebte Schuldenbremse? Diese, so versicherte er, bleibe natürlich auch bei der künftigen Regierung bestehen. So wolle man ab 2023, wenn man die Schlaglöcher der Coronapandemie gestopft hat, wieder zu diesem grundgesetzlich garantierten Schutzschild zurückkehren. So heißt es im Koalitionsvertrag unter anderem: „Finanzielle Solidität und der sparsame Umgang mit Steuergeld sind Grundsätze unserer Haushalts- und Finanzpolitik.“

Doch welche Veränderungen bringt die neue Koalition für den Arbeitsmarkt mit sich?

Die SPD beharrte im Rahmen der Koalitionsverhandlungen offensichtlich nach wie vor auf der von ihrer geforderten Erhöhung des Mindestlohns. So kam es, dass unser zukünftiger Kanzler am gestrigen Nachmittag mal eben eine Gehaltserhöhung für zehn Millionen Bürgerinnen und Bürger verkündete. Dafür wird der Mindestlohn in Zukunft von 9,60 Euro auf 12 Euro (!) pro Stunde angehoben. Dass Christian Lindner in diesem Punkt mal zu solch großen Zugeständnissen bereit wäre, nur um nicht mit der CDU regieren zu müssen, hätte sich wahrscheinlich selbst Herr Scholz in seinen kühnsten Träumen, nicht vorstellen können.

Rente

Doch was ist aus dem Thema geworden, dass zumindest vor der Wahl die Mehrheit der Deutschen umtrieb? Wie steht es um unsere Altersvorsorge? Ein Satz, der sich diesbezüglich in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eingebrannt hat, ist: „Die Rente ist sicher“. Mit ähnlich besänftigten Worten versuchte es gestern, knapp 24 Jahre nach Norbert Blüm, auch Herr Scholz. Er versprach: „ein stabiles Rentenniveau“. Was in diesem Falle Hoffnung macht und den Worten etwas mehr Glaubhaftigkeit verleiht, ist die Tatsache, dass die künftige Regierung im Kampf gegen die Folgen des demographischen Wandels eine staatlich organisierte Aktienrente plant. Dieses Novum kennen wir bereits von unseren skandinavischen Nachbarn, wo es in der Tat eine erhebliche Erleichterung für das Rentensystem zur Konsequenz hatte.

Klima

In puncto Klima setzt die neue Regierung auf einen Ausbau der erneuerbaren Energien auf 80% und eine Untergrenze für den Preis der Co2-Zertifikate, welche nicht unter 60 Euro pro Stück fallen sollen. Darüber hinaus sind zum Zwecke des Klimaschutzes in jeglichen anderen Bereichen förderliche Regelungen getroffen wurden.

Landwirtschaft

Auch in der Landwirtschaftspolitik „schreit es nach einem neuen Denken, das nicht nur Wachse oder Weiche kennt“ so Habeck. Zur Erreichung dessen, setzt die Ampel künftig auf mehr Ökolandbau, sowie der Förderung der bäuerlichen Betriebe beim Umbau der Tierhaltung.

Bausektor 

Desgleichen werden in der Baubranche die Uhren künftig anders ticken. So verkündete Scholz den Bau von 400.000 neue Wohnungen pro Jahr, wovon ganze 100.000 öffentlich gefördert werden sollen. Damit begeben sich die Koalitionäre, so Scholz: „in den Kampf gegen hohe Mieten“. Doch auch für Haus- und Wohnungsbesitzer bringt der Koalitionsvertrag einige finanzielle Mehrbelastungen mit sich.

So muss jeder, der ein neues Haus baut ab Januar 2025 den ambitionierten KfW-Effizienzhausstandard 40 erfüllen. Dafür bedarf es des Einbaus umfassender Dämmschichten, Lüftungsanlagen und Wärmerückgewinnungssystemen. Diese nicht gerade kostengünstigen Anlagen, werden, so sieht es das Papier vor, zumindest in Teilen staatlich subventioniert. Des Weiteren, müssen diejenigen, die ab Januar 2024 ein Gebäude umfassend sanieren möchten, den heute für Neubauten geltenden KfW-Effizienzhausstandard 70 erreichen. Last but not least, wünscht sich das Ampeltrio, dass ab 1. Januar 2025 jede neu eingebaute Heizung auf Basis von 65 Prozent erneuerbarer Energien betrieben werden soll.

Bürgergeld

Das im Jahre 2005 unter dem Kabinett Schröder eingeführte Hartz IV wird künftig durch das sogenannte Bürgergeld ersetzt. Dies wird im Koalitionsvertrag mit den folgenden Worten verbrieft: „Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezuges die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung“. Zudem soll das Schonvermögen erhöht werden.  

Verkehr

Doch auch in der Automobilindustrie möchte die neue Regierung einige verpasste Umstrukturierungen anstoßen. Die Ampel forciert, dass Deutschland in Zukunft der Leitmarkt für Elektromobilität wird. Ziel seien mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw im Jahr 2030.

Gesundheit

Für das Maßnahmenpaket im Gesundheitssektor stand gestern Abend sicherlich der ein oder andere Pfleger klatschend auf seinem Balkon. So versprachen die Koalitionäre einen sogenannte Pflegebonus, für den sie eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen möchten. Darüber hinaus soll die Steuerfreiheit des Pflegebonus auf 3000 Euro angehoben werden. Zudem ist im Vertrag vorgesehen, dass das Pflegegeld für die Pflege zu Hause von 2022 an regelmäßig erhöht werden soll. Demnach sollen pflegende Angehörige künftig praktikablere Entlastungsangebote bekommen. Weiterhin kündigte das Dreigespann auch eine Lohnersatzleistung im Falle pflegebedingter Auszeiten für berufstätige pflegende Angehörige an.

Kinder

Die wahrscheinlich schönste Nachricht des gestrigen Tages durfte wohl Herr Scholz verkünden. So erkläre dieser gegenüber den anwesenden Medienvertretern, dass die von ihm geführte Koalition eine Kindergrundsicherung einführen wird. Hier wolle man einen einkommensunabhängigen Garantiebetrag, der für alle Kinder und Jugendlichen gleich hoch ist in Kombination mit einem vom Elterneinkommen abhängigen, gestaffelten Zusatzbetrag bereitstellen. Darüber hinaus sollen die Kinderrechte endlich im Grundgesetz verankert werden. Damit wolle man Armut verhindern und bessere Chancen für Kinder und Jugendliche schaffen. Diese Chancen- und Bildungsgerechtigkeit war auch ein wichtiges Anliegen seitens der FDP im Wahlkampf.

Wie finanziert sich das Ganze?

Abgesehen von den zig Investitionsversprechen, gab die künftige Koalition, mehr oder weniger direkt auch ein saftiges Einnahmeversprechen ab. Denn durch die nun visierte Legalisierung von Cannabis könnten laut Berechnung des „Düsseldorfer Institutes für Competition Economics (DICE)“ auf Grund zusätzlicher Steuereinnahmen, sowie Einsparungen bei der Strafverfolgung und Justiz, jedes Jahr 4,7 Milliarden Euro eingenommen werden. Klar ist jedoch auch: Hier sind nicht die daraus folgenden Mehrkosten im Gesundheitsbereich einkalkuliert.

Wie stand es um die allgemeine Stimmung?

Robert Habeck wirkte sichtlich nervös. Sind es etwa die großen Ziele, die ihn da einschüchtern, oder ist es schlichtweg der Respekt vor seinem neuen Amt als Vizekanzler? Dies wird sich erst in den kommenden vier Jahren zeigen. Feststeht jedoch auch und das machte vor allem Habeck in seiner Rede deutlich: Die neue Regierung möchte kein Kabinett stellen, welches sich in ewigen Debatten verliert. Hier herrscht das Credo: Erreichbare Ziele stecken und diese stringent verfolgen. Diese „Hands on-Einstellung“ lässt auf Großes hoffen.

Lindners Aversion gegenüber der CDU, zeigte sich vor allem durch seine umgarnende Art gegenüber dem künftigen Kanzler Olaf Scholz. So hofierte er diesen mit Lobeshymnen über sein Durchsetzungsvermögen und Bezeichnungen wie „starker Kanzler“ durch die Pressekonferenz.  Und Scholz selbst? Dieser punktete wie immer mit seiner euphorisch zurückhaltenden Art. Wichtig scheint ihm vor allem eine zukunftsgerichtete Politik, so betonte er immer wieder: „Uns eint der Glaube an den Fortschritt.“ 

Es scheint ganz so als sei es den drei Koalitionspartnern besonders wichtig gewesen zu zeigen, dass sie nicht nur eine Regierung der großen Worte sind, wie es häufig der von der CDU geführten GroKo vorgeworfen wurde, sondern vielmehr eine Regierung der großen Taten. Was in vier Jahren von den Versprechen und Plänen übrigbleibt, das wird sich allerdings noch zeigen.

ein Artikel von
Pauline Brinkmann
Pauline studiert in Potsdam und Lausanne Rechtswissenschaften. Ihr besonderes Interesse gilt jedoch nicht Mietverträgen, sondern politischen und gesellschaftlichen Prozessen.