© Fredik Harkort
DIGITALE BILDUNG

Deutschland braucht dringend Nachhilfe in digitaler Bildung – Im Gespräch mit Cleverly-Gründer Fredrik Harkort

von Pauline Brinkmann

Fredrik Harkort ist nicht nur Sprecher der Gemeinsamen Initiative der deutschen digitalen Bildungsanbieter“ („iddb), sondern er hat auch im Dezember 2020 gemeinsam mit seiner Frau Julia Harkort die Online-Lernplattform Cleverly gegründet. Cleverly ist eine One-on-One Nachhilfe- und Mentoring-Angebot. Das Besondere an der dahinterstehenden Vision ist der ganzheitliche Ansatz, den sie verfolgen. Denn bei Cleverly steht abseits guter Noten, vor allem die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder im Fokus. Wir sprachen mit Fredrik Harkort darüber, was in deutschen Schulen im Hinblick auf digitale Bildung fehlt, was Cleverly so besonders macht und wo er gemeinsam mit der iddb“ derzeit politisch ansetzt.

Sie haben gemeinsam mit Ihrer Frau „Cleverly“ gegründet, was genau machen sie dort?

Da muss ich ein bisschen weiter ausholen, denn das, was ich mache, hängt sehr viel damit zusammen, warum ich das mache. Ich bin Papa von zwei schulpflichtigen Kindern. Ich selbst habe 1999 Abitur gemacht, meine Tochter wurde 2019 eingeschult, also genau 20 Jahre später. Dann haben meine Frau Julia und ich uns mal angeschaut, was sich eigentlich in 20 Jahren an der Schule alles verändert hat. Wir mussten feststellen, dass während sich in der Welt ganz schön viel getan hat, sich an der Schule doch sehr wenig getan hat.

Wir sind durch eine ausführliche Analyse zu dem Schluss gekommen, dass die Schule unsere Kinder nicht mehr wirklich gut auf das Berufsleben vorbereitet. Denn ganz viele Themen, die im Berufsleben im Grunde wichtig sind, finden in der Schule gar nicht statt. Das hat uns dazu veranlasst zu sagen: „Lass uns doch Cleverly gründen“. Bei Cleverly handelt es sich also um eine Firma, die die Eltern dabei unterstützt, dass ihre Kinder besser auf das Berufsleben vorbereitet werden. Wir machen das so, dass wir sowohl in der klassischen Online-Nachhilfe unterstützen, weil Noten nun mal Teil unseres Systems sind. Aber darüber hinaus, und das finden wir noch viel wichtiger, unterstützen wir die Kids im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung.

Das heißt, wir haben solche Angebote, wie „Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein“, „Konzentration und Aufmerksamkeit“, „Lernen lernen“, oder „Was will ich mal werden?“. Also ganz viele spannende und wichtige Themen, die Schulkinder eigentlich brauchen, die aber in der Schule und im Elternhaus oftmals leider viel zu kurz kommen. Wir arbeiten also an Themen rund um die Persönlichkeit und unterrichten Themen, die es auch an der Schule geben sollte, aber leider nicht gibt.

Sehen aie Ihr Portal als notgedrungenen Ersatz, weil die Schulen Ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr richtig nachkommen?

Idealerweise müsste es Cleverly natürlich gar nicht geben, wenn es diese Angebote in der Schule gäbe. Die letzten zwei Jahre haben uns aber gezeigt, dass Bildung und auch die Veränderungen in unserer Bildungs- und Schulsystemlandschaft eine unglaublich träge ist. Das liegt vor allem daran, dass Bildung Ländersache ist und jeder da sein eigenes Ding macht. Deswegen ist unsere Hoffnung nicht sehr groß, dass sich da in absehbarer Zeit genug ändern wird, dass es das, was wir machen, nicht mehr braucht.

Ich glaube tatsächlich, dass wir da als Ergänzung ganz wichtig sind. Insbesondere natürlich, wenn wir dann auch über das digitale Lernen sprechen. Und das wird leider Gottes wahrscheinlich auch eine ganze Weile noch so bleiben, weil Veränderung in den Schulen viel zu langsam vorangeht.

Ein Portal wie das Ihre, könnte zu einer Spaltung in puncto Bildungsgerechtigkeit beitragen, da es Eltern sehr leicht gemacht wird, mal eben ihren Kindern noch ein bisschen mehr Bildung von Zuhause aus mitzugeben. Wo setzen sie hier an?

Tatsächlich war das ein ganz wichtiges Thema für uns, als wir gegründet haben. Wir haben uns gesagt, wenn wir eine Lösung bauen, die wir für so wichtig und richtig halten, dann kann es nicht sein, dass das nur für Hockey-Eltern ist und eben nicht für die Kids, die es am nötigsten haben.

Deshalb ermöglichen wir, dass unser Angebot auch über einen sozialstaatlichen Topf, der „Bildung und Teilhabe“ heißt, abgerechnet werden kann. Auf Geld aus diesem Topf haben alle Familien und Kinder, die auch sonst Sozialleistungen empfangen können, einen Anspruch. Das heißt, sie können über „Bildung und Teilhabe“ die Leistungen, die sie von Cleverly erhalten, abrechnen, wenn seitens der Schule ein zusätzlicher Lern- und Förderbedarf festgestellt wird.

In der Theorie machen wir das auch, in der Praxis stellen wir jedoch fest, dass den meisten Familien gar nicht bekannt ist, dass es dieses Unterstützungsangebot gibt. Denjenigen, die es wissen, denen wird es sehr schwer gemacht, das Fördergeld zu beantragen, weil es bürokratisch sehr komplex ist.

Es gab bereits vor Ihrer Gründung eine Klaviatur an Angeboten zum Thema „Digitales Lernen“. Warum wollten sie Cleverly trotzdem gründen? Was unterscheidet sie von den anderen?

Ich denke, es sind zwei Sachen, die wir neu angegangen sind: Das eine ist das “Wie“ und das andere ist das “Was“.
Die etablierten digitalen Bildungsanbieter fokussieren sich im Kern darauf, bereits existierende schulische Inhalte digital in Form einer App zu vermitteln. Diese digitalen Lernhelfer geben dem Kind also die Möglichkeit, den Stoff aus der Schule im Nachgang nochmal besser zu verstehen.

Wir haben versucht, inhaltlich erstmals neue Themen zu setzen. Also Themen, die im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung liegen, zu unserem Angebot zu machen, denn diese fanden bis dato nirgendwo statt. Zudem – und das war mir besonders wichtig, denn wenn ich zurückschaue in meine Jugend, dann gab es dort zwei Menschen in meinem Leben, die genau das für mich waren –, haben wir ein Mentorenangebot.

Das sind echte Menschen, die sich mit den Kindern individuell auseinandersetzen, also die Stärken des Kindes identifizieren und daran mit ihm gemeinsam arbeiten. Außerdem sprechen diese Menschen jede Woche 30 Minuten lang mit dem Kind über die Themen, die es bedrückt.
Das heißt, wir haben zum einen andere Themen als andere Anbieter im Angebot, aber wir haben zum anderen auch eine andere Form der Vermittlung.

Ich kann mir vorstellen, dass es gerade für Kinder schwieriger ist, zu einer Person Zugang zu finden, gar Vertrauen zu schaffen, die sie nur am Computer sehen? Wie liegen da Ihre Erfahrungswerte?

Das war zu Beginn auch ein ganz großes Fragezeichen für uns, wie das wohl funktionieren wird. Wir haben allerdings festgestellt, dass die Tatsache, dass das digital stattfindet, sogar ein großer Vorteil ist. Weil die Kinder ihre eigenen vertrauten vier Wände nicht verlassen müssen und sich der Person, die dann quasi in ihrem Zimmer ist, dadurch viel leichter öffnen können.

Sehen sie langfristig eine Gefahr der Überdigitalisierung der Kinder? Sodass man hier eventuell gerade im Bereich Schule vorsichtiger sein müsste?

Ich habe bei meinen eigenen Kindern die Erfahrung gemacht, dass es nichts bringt, den Kindern bei der Nutzung digitaler Angebote einen riesigen Riegel vorzuschieben. Heute haben wir ja eigentlich das ganze Wissen der Welt auf den digitalen Geräten, aber gleichzeitig auch so viel mehr, auch Schädliches. Insofern glaube ich, dass eines der ganz wichtigen Themen für uns alle das Thema der Medienkompetenz ist. Wir müssen unseren Kindern zeigen, wie der richtige Umgang mit digitalen Endgeräten funktioniert. Wie sie etwa Fake News erkennen und auf was sie online vertrauen können.

In ihrer Rolle als Sprecher der „iddb“ setzen sie sich auch politisch für das Thema digitale Bildung ein. Welche Themen stehen hier ganz oben auf Ihrer Agenda?

Wir merken beim Thema Bildungspolitik leider sowohl vom Bund als auch von den Ländern eine sehr starke Frontenbildung. Das heißt, wir als digitale Anbieter würden uns vor allem wünschen, dass digitale Lehrinhalte einfacher integriert werden in die klassischen Lerninhalte. Wir sollten deswegen zusammenarbeiten und den Schulen die Möglichkeit geben, dass sie, sofern sie es für richtig halten, Lerninhalte von digitalen Anbietern in ihren Unterricht integrieren können. Unsere erste Forderung ist es also, das Analoge und das Digitale stärker zusammenzuführen.

Wir bräuchten im Grunde eine Plattform, auf der zertifizierte digitale Bildungsanbieter stattfinden dürfen, auf der sich Schulen und Lehrer informieren können und diese Lerninhalte dann auch beziehen können. Das zweite Thema, das uns enorm wichtig ist, dreht sich rund um den „Digitalpakt 2“. Hier müssen wir zuerst Transparenz schaffen, welche guten digitalen Lerninhalten es gibt. Im Anschluss müssen wir schauen, dass wir im „Digitalpakt 2“ die Schulen auch dazu befähigen, diese zu finanzieren und Planbarkeit zu schaffen.

Denn wenn wir uns den „Digitalpakt 1“ anschauen, dann wurden dort zum Teil Endgeräte angeschafft, zum Teil aber auch nicht aus der Angst davor, dass die Finanzierung ausläuft. Das heißt, wir müssen im „Digitalpakt 2“ auch die Finanzierung zukünftiger digitaler Lerninhalte gewährleisten. Der letzte Punkt, der uns extrem am Herzen liegt, ist das Thema „Bildung und Teilhabe“. Denn wir haben in der Theorie Bildungsgerechtigkeit und die Chance auf Bildungsgerechtigkeit. Aber hier müssen wir unbedingt schauen, dass die Bürokratie abgebaut wird. Und uns dringend fragen, ob es gewollt ist, dass zuletzt nur rund 13,4 Prozent des Gesamtbudgets abgerufen werden, das sollte es nämlich nicht sein.

Legt ihnen das föderalistisch ausgerichtete Bildungssystem im Hinblick auf digitale Bildung viele Hindernisse in den Weg?

Die Bundesbildungsministerin sagt immer, was sie sich wünscht und dass sie das toll findet, was wir als „iddb“ vorantreiben. Trotzdem verweist uns das Bildungsministerium immer darauf, dass es keine Entscheidungshoheit hat und wir doch bitte mit der Kultusministerkonferenz, beziehungsweise mit den einzelnen Kultusministern der Länder sprechen sollen. Und wenn wir dann direkt auf die Länder zugehen, sagen diese uns häufig, dass dafür das Geld fehle, was sie wiederum vom Bund erhalten. Wir kommen quasi immer wieder in ein Argumentationsdilemma. Beide Seiten sagen uns also: „Wir würden gerne, aber wir können nicht“. Vor allem aber sind die digitalen Lerninhalte auch von Bundesland zu Bundesland verschieden.

Haben sie das Gefühl, dass das Thema Bildung in der Politik omnipräsent ist, oder muss man Weiterentwicklung in diesem Bereich immer wieder einfordern?

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass unser Bildungssystem noch nicht bereit für viele Herausforderungen der Zukunft ist und wir hatten gehofft, dass nach dieser Erkenntnis auch etwas passiert.Aber leider ist das seit circa einem dreiviertel Jahr wieder vorbei. Alles ist gerade wieder wichtiger, also das Thema, ob unsere Kinder gut auf das Leben vorbereitet werden. Das traurige ist, dass Menschen immer dann in Bewegung kommen, wenn es sehr akut ist und Bildung ist immer latent akut, aber eigentlich auch nie absolut akut. Es braucht zwingend ein Umdenken, um Bildung fairer, digitaler und zukunftsfähiger zu machen.

ein Artikel von
Pauline Brinkmann
Pauline studiert in Potsdam und Lausanne Rechtswissenschaften. Ihr besonderes Interesse gilt jedoch nicht Mietverträgen, sondern politischen und gesellschaftlichen Prozessen.