WIE GLÜCKLICH MACHT GELD?

Der Schatz vom Nachttisch meines Vaters

von Marcus Lucas

Ein geheimnisvoller asiatischer Duft und die Weisheiten eines griechischen Philosophen lassen unseren Kolumnisten sofort an die Vergangenheit denken – auch an seine eigene.

Zwei Dinge besetzten den Nachttisch meines Vaters: Ein Fläschchen des Naturarzneimittels „Olbas“ und ein sehr kleines Buch. Wenn heute das geheimnisvolle Gemisch aus Pfefferminzöl, Cajeputöl, Eukalyptusöl, Wachholderbeeröl und Wintergrünöl in meine Nase zieht, erscheint wie der Flaschengeist bei Aladdin mein Vater vor meinem geistigen Auge.

Gegen was er die Tropfen genau einnahm, habe ich nie erfahren. Offensichtlich taten sie ihm gut. Der Legende nach soll der Entdecker Marco Polo auf einer seiner Reisen im Jahr 1271 das Destillat aus ätherischen Ölen vom damaligen chinesischen Großkhan erhalten haben. Er nahm es mit nach Venedig, und dort diente es der Behandlung von Erkältungskrankheiten.

Neben dem grünen Fläschchen ruhte stets das „Handbüchlein der Moral“ unter einer kleinen Lampe neben dem Bett meines Vaters. Die Inhalte dieses Klassikers der griechischen Philosophie stammen vom einstigen Sklaven Epiktet. Freiheit wurde zum Schlüsselwort seines Lebens, zum Inhalt seiner Vorträge. Wie sein großes Vorbild Sokrates hat Epiktet selbst nichts geschrieben, sein Schüler Flavius Arrianus, der später als römischer Konsul und Historiker wirkte, hat die Gedanken seines Lehrmeisters festgehalten. Zum Glück für die Nachwelt. Denn das schmale Büchlein ist nach wie vor ein echter Schatz. Auch wenn die Zeit heute eine andere ist, lebt die Sehnsucht nach persönlicher Freiheit für immer fort. Der Sklave Epiktet wurde später freigelassen und philosophierte weiter, um den Menschen den Weg zu einem gelingenden Leben abseits der materiellen Errungenschaften zu weisen.

Als ich zu Hause auszog, schickte mir mein Vater das kleine Buch in mein angemietetes möbliertes Zimmer nach München-Trudering. In seiner unnachahmlichen Art hatte er, der Lehrer, wichtige Passagen unterstrichen. Kürzlich lauschte ich einem Podcast mit dem brillanten Ferdinand von Schirach. Er empfahl, mal wieder einen Blick in das Buch des griechischen Philosophen zu werfen. Ich habe es getan. Es tat gut.

ein Artikel von
Marcus Lucas