Die Jahrhundertbetrüger

Der „prominenteste Schurkentrader“

von Anton Kleihues

Die größten Finanzbetrüger aller Zeiten haben Milliarden und Abermilliarden veruntreut. In unserer Serie beleuchten wir ihre Geschichten, ihre Masche und ihre Opfer.

Singapur. Hastig warf er die wichtigsten Sachen in den Koffer. Schweißperlen tropften von seiner Stirn. Er hörte das Blut durch seine Adern pochen. Bevor er aus dem Haus stürzte, schrieb er noch schnell „Es tut mir leid“ auf einen Zettel, dann verschwand Nick Leeson. Seit Jahren hatte ein in Saus und Braus gelebt. Er war keiner, der sich mit dem Mittelmaß zufrieden gab. In den Köpfen seiner Kollegen war der Brite ein Genie. Als ehrgeizigster, fleißigster Star-Trader war er ihnen zwar nicht immer sympathisch, Respekt hatten sie aber immer vor dem Glatzkopf. Er war einer, der das Spiel verstand und so das Unmögliche möglich machte. Auf diesem Bild hatte er einen unerschütterlichen Narzissmus aufgebaut. Was niemand wusste: Leeson machte nicht das Unmögliche möglich; er verschleierte einfach nur recht plump, dass seine Erfolge unmöglich waren. Alles war eigentlich zu schön, um wahr zu sein. Und wenn etwas zu schön ist um wahr zu sein, dann ist es meisten eben auch nicht wahr.

Seine erste Station auf der Flucht ist Malaysia. Von dort geht es weiter nach Brunei und Thailand. In den letzten Jahren hat sich Leeson in Südostasien ein großes Netzwerk an Freunden und Geschäftspartnern aufgebaut. Aber auch in Bangkok kann er nicht bleiben. Über Abu Dhabi flieht er nach Frankfurt am Main. Dort wird der junge Trader weniger Tage später, am 2. März 1995 gefasst. Für das damals älteste Bankhaus Großbritanniens kommt seine Verhaftung längst zu spät. Die Barings Bank ist bankrott. Leeson hat sich in Singapur so sehr verspekuliert, dass das altehrwürdige Finanzhaus mit mehr als dreihundertjähriger Tradition zerfällt. Im Alleingang hat er der Bank mehr als 2 Milliarden Euro Schulden eingebrockt. Der Eklat macht ihn zum prominentesten Schurkentrader in der modernen Finanzgeschichte. 1995 wird er an Singapur ausgeliefert und sitzt dort vier Jahre ein. Dann wird er aufgrund einer Krebsdiagnose vorzeitig entlassen. Doch wie kam es zu dem ganzen Schlamassel? Wie konnte es passieren, dass ein Mann im Alleingang eine uralte Bank in den Abgrund stürzt?

Der Trickser begann 1993, unautorisiert zu spekulieren. Er feierte zügig große Erfolge. Aber auch Fehler unterliefen ihm immer wieder. Anders als andere Trader konnte er dies aber nicht offenlegen, weil diese Trades unautorisiert waren. Seine Lösung: Er versteckte die resultierenden Verluste einfach auf einem bis dahin ungenutzten Konto. Es wurde unter der Nummer 88888 später weltberühmt. Anfangs geling es Leeson noch, die Verluste durch verbotenen Eigenhandel wieder zurückführen. Gleichzeitig erwirtschaftete er hohe Überschüsse und stieg schnell zum Star-Trader auf. Leeson brachte der Handelsbank gleich im ersten Jahr 10 Prozent des Gewinns ein, erhielt einen dicken Bonus. Seine Position innerhalb der Bank wurde unangreifbar. Bei Nachfragen aus der Zentrale in Großbritannien lieferte der Betrüger teilweise aufwändige Fälschungen und Ausreden. Im Gegenzug häuften sich die Verluste auf dem benannten Konto immer weiter an. Anfang 1994 waren Verluste von 50 Millionen Pfund angesammelt. Zur gleichen Zeit wurde er als aufgehender Stern am Finanzhimmel Londons gefeiert.

Leeson versuchte die aufgelaufenen Verluste durch immer waghalsigere Spekulationen auszugleichen. Abseits des Büros fiel er zunehmend durch maßlosen Alkoholkonsum und durch Pöbeleien auf. So verbrachte er eine Nacht in der Ausnüchterungszelle, nachdem er mehreren Stewardessen sein nacktes Hinterteil gezeigt hatte. Nach dem Erdbeben von Kōbe im Jahr 1995 erhöhte sich der Fehlbetrag auf umgerechnet mehr als 500 Millionen Euro. Allein an diesem Tag verlor er mehr als 60 Millionen Euro. Der Lösungsansatz des Narzissten-Zockers: Er setzte alles auf eine Karte und versuchte durch risikoreiche Spekulationen das Ruder herumzureißen. Vergeblich, die Verluste stiegen innerhalb weniger Wochen dramatisch an. Wenig später brach die traditionsreiche Barings Bank wie ein Kartenhaus zusammen.

Es gab diverse Schurkenhändler vor und nach mir. Keiner hat aber so große Schlagzeilen gemacht wie ich.
Nick Leeson

Detailliert erzählt der 51-Jährige seine Geschichte im Buch „Rogue Trader“, das seine Anwaltskosten finanziert hat. Später wurde es mit Ewan McGregor in der Hauptrolle verfilmt. Kapital schlägt er auch aus seinen damaligen Jacketts als Barings-Händler, von denen er die letzten drei Exemplare im Oktober zum Verkauf gestellt hat. Das Eingeständnis, ein Unrecht begangen zu haben, sei der Schlüssel zur Rehabilitation gewesen, sagte er letzte Woche in einem Bloomberg-Interview.

ein Artikel von
Anton Kleihues
Anton studiert Politik in Berlin und liebt es, zu schreiben. Als ZASTER-Redakteur versucht er dabei immer neue, aktuelle und relevante Themen zu behandeln. Am liebsten berichtet er über Politik und Sport.