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Wie glücklich macht Geld?

Challenge accepted: Raus aus der Komfortzone

von Frank Behrendt

„Mir geht die ganze Transformation langsam auf die Nerven, ich habe echt keinen Bock mehr auf die dauernden Veränderungen.“

Der Mann, der das sagte, ist ein früherer Kollege von mir: Anfang 50, Haus, Familie, schickes Auto, erfolgreich. Als wir kürzlich quatschten, brach es aus ihm raus. Keine Frage, Change ist anstrengend. Vertrautes hinter sich zu lassen, sich in neue Prozesse und Technologien reinzufuchsen kostet nicht nur Zeit, sondern auch Nerven. Daher konnte ich meinen alten Spezi durchaus verstehen, wir alle neigen dazu, auch mal ganz gerne in den Bequemlichkeitsmodus zu schalten.

Von „Routine“ sprach man früher, wenn jemand seine Aufgaben in jahrelang gelernter Wiederholung immer gleich gut erledigte. „Zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk“ war die Lieblingsformulierung eines meiner früheren Chefs für diesen Typus MitarbeiterIn. Aber die präzise Zuverlässigkeit erledigen künftig noch öfter Maschinen. Sie werden nicht krank, brauchen keinen Urlaub, streiken und mosern nicht. Nicht mal Feedbackgespräche brauchen sie, nur ab und zu eine Wartung. Der populäre Philosoph Richard David Precht sagte mal, dass Hightech und KI in Zukunft dafür sorgen würden, dass Menschen von „blöder, langweiliger Büroarbeit“ befreit werden würden. Klingt eigentlich gut. Aber im Umkehrschluss müssen sich die Arbeitenden dann neu justieren.

Wer in der Arbeitsweit von morgen erfolgreich sein möchte, so Precht, müsse „Selbstbefähigungsfähigkeiten“ haben und für Skills stehen, die ein Computer nicht hat. Da sind wir dann wieder bei kindlicher Neugier, dem Ausprobieren, dem Tüfteln und Entdecken. Interessanterweise haben wir das alle in uns, denn als Kinder wussten und konnten wir anfangs wenig, alles andere haben wir erforscht, erfahren und gelernt. Irgendwann kommt vielen dieser Drang offenbar abhanden, obwohl er in der DNA des Menschen angelegt ist. Schon 1943 hat der Verhaltensforscher Konrad Lorenz dieses angeborene „Neugierverhalten“ innerhalb der Evolutionsforschung als grundlegend für die Anpassung an neue Umweltbedingungen und als die Basis für Lernen beschrieben. Ein anstehender Change-Prozess ist demnach perfekt dazu geeignet, diese Reize zu aktivieren.

Wenn ich an meine eigene Jugend zurückdenke, dann waren meine Eltern Großmeister darin, mir in den Ferien Changeprozesse zu kredenzen. Als Teenager wurde ich ins schottische Hochland geschickt. Im „Outward Bound Camp“ in Eskdale“ sollte ich lernen, mich in der Natur zurecht zu finden. Dazu wurden wir von den Instruktoren auf Expeditionen geschickt, bei denen wir uns ohne technische Hilfsmittel und Lunchpakete durchschlagen mussten. Seitdem weiß ich, wie man die Sonne als Kompass nutzt und welche Früchte am Wegesrand essbar sind. Als wir nach einer einsamen Nacht auf einem Berg das Lagerfeuer löschten und am Morgen vom Ranger im Landrover aufgepickt wurden, erlebten wir das erhebende Gefühl es geschafft zu haben. Das anschließende üppige englische Frühstück und die herrlich warme Dusche waren allerdings auch nicht zu verachten.

Mich hat vor ein paar Jahren der damalige Chef des Handelskonzerns REWE, Alain Caparros, beeindruckt. Er schickte seine ManagerInnen immer wieder „raus aus der Komfortzone“. Nicht in einsame Wälder, aber an die Kassen der Supermärkte, in die Lager und auf die Beifahrersitze der LKW-Flotte. Die Damen und Herren in ihren Business-Outfits sollten den Kontakt zur Basis nicht verlieren, ein Gefühl für die Dinge behalten, über die sie im Tagesgeschäft am Konferenztisch zu entscheiden hatten. Der kluge Chef, den ich bei einem Abendessen als Tischnachbar fasziniert lauschte, erklärte mir wortgewaltig, dass die notwendigen top-down-getriebenen Change-Prozesse allesamt verpuffen würden, wenn die Menschen den Sinn nicht verstehen und deren Umsetzung nicht persönlich erleben und begleiten würden.

Für mich war das absolut einleuchtend und wenn ich an meine diversen beruflichen Stationen zurückdachte, war es mir auch immer wichtig, trotz Management-Verantwortung immer wieder „an die Front“ zu gehen, wie es mein früherer Chef bei meiner ersten Agenturstation bezeichnete. Und so stand ich mit dem Mikro in der Hand auf einer Bühne und moderierte die „1. Deutsche Spülmeisterschaft von Pril & Somat“ für Henkel. Oder organisierte den Einlassansturm einer Messeveranstaltung für die METRO Group. Ich empfand es immer als herrlich abwechslungsreich, anstatt endlose Zahlenreports zu studieren, selbst zu agieren. Angst vor neuen Challenges hatte und habe ich nie, ich bleibe neugierig und lasse mich nach wie vor gerne auf Neues ein. So wie eine meiner Lieblings-Kindheitsheldinnen, Pippi Langstrumpf. Die sagte voller Überzeugung in ihrer typischen Art zu ihren Freunden Tommy und Annika: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“

ein Artikel von
Frank Behrendt
Frank Behrendt

Frank Behrendt hat mit seinen „10 ernsthaften Ratschlägen, wie man locker durchs (Berufs)Leben kommt“ die Arbeitswelt aufgeschreckt. Sein Buch „Liebe dein Leben und NICHT deinen Job“ wurde direkt ein Bestseller. In seinem zweiten Buch „Die Winnetou-Strategie - Werde zum Häuptling deines Lebens“ erklärt er, wie ein moderner Leader agieren sollte. Frank lebt mit seiner Frau, drei Kindern und einer französischen Bulldogge mit Namen „Fee“ in Köln und hat eine wöchentliche Kolumne auf „Stern.de“. Er arbeitet als Senior Advisor für Deutschlands größte Inhabergeführte Agenturgruppe Serviceplan.