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FACHKRÄFTEMANGEL

42-Stunden-Woche gegen Fachkräftemangel?

von Pauline Brinkmann

Dass Deutschland dringend mehr qualifizierte Fachkräfte braucht, ist längst kein Geheimnis mehr. Immer mehr Industrievertreter fordern von der Politik eine entsprechende Strategie. Befürchtet wird eine stagnierende Wirtschaft, ein mangelhaftes Gesundheitswesen, sowie eine nicht funktionierende Infrastruktur.

Dieses Horroszenario von gespenstisch leeren Flughafenhallen und geschlossenen Pflegeheimen wird in Amerika als „Big Quit“ bezeichnet. Damit uns diese endzeitähnlichen Situationen nicht in näherer Zukunft ereilen werden, ist es wichtig auf politischer Ebene die richtigen Weichenstellungen zu treffen. Dahingehende Lösungsansätze blieben bislang allerdings aus.

Der Industriepräsident Siegfried Russwurm schlug nun eine 42-Stunden-Woche vor. Der dahinter stehende Gedanke mag einleuchtend klingen: Da eine längere Lebensarbeitszeit, sprich die Rente mit 70, mit der Ampelkoalition aus SPD, FDP und den Grünen voraussichtlich nicht wirklich umsetzbar sein wird, soll diese Beschäftigungslücke nun durch eine längere Wochenarbeitszeit geschlossen werden.

Allerdings soll diese Modell, so die Befürworter, keine Ausbeutung der Arbeitnehmer zur Konsequenz haben. Vielmehr ist die Arbeitszeitverlängerung optional und geht mit einem entsprechenden Lohnzuschuss einher.

Doch wie lange arbeiten wir hierzulande überhaupt?

Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit verkündete kürzlich, dass Vollbeschäftigte in Deutschland im Jahre 2021 durchschnittlich 38,2 Stunden pro Woche arbeiteten. Bei Teilzeitkräften waren es im Schnitt 17,8 Stunden. Diese Zahlen hielten sich in den vergangen Jahren recht konstant, etwas anderes konnten wir lediglich im Jahre 2020 auf Grund der Coronapandemie beobachten.

Damit liegen die Deutschen sowohl inner- als auch außereuropäisch im unteren Bereich was Arbeitszeiten angeht.

Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Wir sehen nach wie vor eine hohe Quote an Teilzeitbeschäftigten hierzulande und gleichwohl ist die Produktivität auf die Stunde betrachtet bei uns höher, als in anderen Ländern.  

Doch wie würde sich ein solches Modell auf unsere Gesundheit auswirken?

Arbeitsmediziner, Kardiologen und Psychologen schlagen bereits jetzt Alarm: Zu viel Arbeit macht krank. Auch die WHO warnt: Zu viele Überstunden gefährden die Gesundheit. So steigt das Risiko von lebensbedrohlichen Herz, – und Kreislauferkrankungen stark an, wenn Menschen mehr als 55 Stunden (!) in der Woche arbeiten. Die 42-Stunden-Woche würde mit 13 Stunden zwar noch deutlich darunter liegen, dennoch sehen Ärzte die Gefahr einer Arbeitsstandardverschiebung, wodurch ein immer größeres Einfallstor für arbeitnehmerunfreundliche Arbeitsbedingungen geschaffen werden würde. Doch abseits der gesundheitlichen Risiken stellt sich die Frage: Ist das Modell rechtlich überhaupt umsetzbar?

Wichtig ist an dieser Stelle eine Vereinbarkeit mit geltendem Recht aus Tarifverträgen und Arbeitsgesetzen. Das Arbeitszeitgesetz erlaubt eine Arbeitszeit von maximal acht Stunden pro Werktag, sprich von Montag bis Samstag. Hier sind die gesetzlich vorgegebenen Pause noch nicht mit eingerechnet. Demnach wäre wöchentlich eine Gesamtarbeitszeit von 48 Stunden möglich. Hinzukommen gewisse Ausnahmen mit entsprechenden Ausgleichspausen. Doch was im Gesetz normiert wurde, gilt nicht automatisch für jeden Arbeitnehmer. Vielmehr wurden durch Tarifverträge für gewisse Branchen kürzere Wochenarbeitszeiten ausgehandelt.

In der Metall- und Elektroindustrie beispielsweise, gilt die 35-Stunden-Woche. In den verschiedenen Dienstleistungsbranchen sind es in der Regel zwischen 38 und 39 Stunden pro Woche. Einige Beamte liegen sogar darüber. Demnach müsste das Modell als erstes an der harten Tür der Gewerkschaften vorbei, was sicherlich mit das größte Hindernis im gesamten Prozess sein wird.

Fazit

Festhalten lässt sich also: Eine Umsetzbarkeit dieses Modells ist noch lange nicht garantiert. Förderlich könnte es im Hinblick auf ein unterbesetztes Gesundheitswesen und eine schlecht funktionierende Infrastruktur allerdings in jedem Fall sein.

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ein Artikel von
Pauline Brinkmann
Pauline studiert in Potsdam und Lausanne Rechtswissenschaften. Ihr besonderes Interesse gilt jedoch nicht Mietverträgen, sondern politischen und gesellschaftlichen Prozessen.