© © Foto: Pexels
Der Schein meines Lebens

Wertvolle Notizen

von Roland Roedermund

Durch einen Scheck bekam ich als junges Mädchen eine dunkle Ahnung, was die Ehe bedeuten könnte…

Jeden Tag gehen dutzende, hunderte Euro durch unsere Finger. Geld ist wichtig, klar. Aber im Laufe unseres Lebens bekommen wir diesen einen Schein, diesen bestimmten Betrag. Den uns jemand schenkt, den wir finden, gewinnen oder den wir jemandem abluchsen – und: an an den wir uns für immer erinnern, weil er uns gerettet, berührt oder beschämt hat. Hier erzählen regelmäßig Menschen die Geschichte vom Schein ihres Lebens.

Es war während meiner Ausbildung bei der Bank, lange vor Euro und Cent, in den Tiefen prä-digitaler Zeiten. Mein Chef war, was man einen Kommiskopp nennt, aber er hatte ein Herz und nahm seine Aufgabe gegenüber uns Lehrlingen ernst. In unsere Filiale kam regelmäßig ein großer, etwas unbeholfen wirkender Mann; kein Mensch vieler Worte, aber mit seiner Teddybär-Ausstrahlung genoss er beim weiblichen Personal viele Sympathien. Eines Tages verschwand er gleich nach dem Betreten der Filiale sorgenvoll im Büro des Chefs und die eine und andere Angestellte machte sich Gedanken, dass ihm finanziell hoffentlich nichts zugestoßen wäre… Nachdem der große und an diesem Tag traurige Mann die Filiale wieder verlassen hatte, kam unser Chef in der Mittagspause in unsere Lehrlingsecke auf dem Hof, wo wir um einen schwächlich blühenden Rosenstrauch standen, heimlich rauchten und gemeinsam versuchten, uns in unserem neuen Lebensabschnitt nach der Schule „einzurichten.“

Gitti, Susi und ich (und der Scheck)

Horst und Klaus, die beiden männlichen Lehrlinge waren zur Bundeswehr-Musterung, Gitti, Susi und ich besprachen gerade die Qualitäten des neuen Abteilungsleiters „Kredit“, als unser Chef kam. Er schickte uns in den Keller, wo wir im Archiv nach einem Scheck suchen sollten, den der sympathische Teddybär-Mann vor einigen Wochen ausgestellt hatte. Näheres war nicht zu erfahren. Die Katakomben des Archivs in den Kellerräumen des Bankhauses aus dem 19. Jahrhundert waren eine willkommene Abwechslung und wir fühlten uns geehrt, uns ohne „Aufsicht“ zwischen wuchtigen Tresoren und den finanziellen Schicksalen der halben Stadt bewegen zu dürfen. Wir fanden nach ausführlicher Suche, die wir gerne als Verlängerung unserer Mittagspause ausdehnten, die passende Mappe und brachten sie im Geleitzug zum Filialleiter-Büro. Der Chef war jetzt sichtlich unter Stress, ständig ging das Telefon. Er schickte „die beiden Kleinen“, Susi und Gitti, raus, nahm den Scheck aus der Mappe, gab ihn mir: „ Kopier den! Bring ihn mir wieder. Mach eine Notiz im Protokollbuch.“ Damit händigte er mir einen eingelösten Scheck des Teddybär-Mannes an seine Frau Elfriede über 2000 DM aus.

„Bestätigst Du den Beischlaf?“

Als ich den Scheck auf den Kopierer legte, stutzte ich. Ausführliche Notizen auf der Rückseite? Zu lesen war: „Bestätigst Du, dass Du nach dem 23.7.1969 mit mir den ehelichen Beischlaf ausgeübt hast?“ Die Frage war mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten, indem an die entsprechende Stelle in ein vorgezeichnetes Kästchen ein Kreuz zu machen war. Es war das JA angekreuzt. Über intimste Dinge wurde in den 60ern eher nicht geredet. Schon gar nicht mit mir – in meinem Alter. Es kam eine Ahnung in mir auf, was Ehe bedeuten konnte – abseits meiner romantischen Schwärmereien. Mir wurde klar, dass es um Scheidung ging, damals noch keine Zeiterscheinung und auch kein Thema für die Öffentlichkeit. Was hatte der sympathische TeddybärMann sich mit dem Geld bei seiner Frau erkaufen müssen? Verwirrt brachte ich den Scheck ins Chef-Büro zurück: „Kein Wort“ – Er sah mich dabei nicht unfreundlich, aber sehr bestimmt an und ich nickte.

Teddy-Charme, Jahre später.

Mich machte die Geschichte einige Tage schweigsam. Meine Schwärmerei für den braun gelockten Jürgen verlor deutlich an Wucht. Ich zog eine Weile Unternehmungen mit meinen alten Schulfreundinnen vor, bis ich meinen jetzigen Mann traf… Gitti und Susi habe ich erst bei einem Ehemaligen-Treffen der Bank nach Jahrzehnten davon erzählt. Da hatte ich in der Zeitung ein Bild unseres damaligen Lieblingskunden mit seiner Frau Monika gesehen, die ihre Silberhochzeit bekannt gaben. Von seinem Teddy-Charme hatte er auch mit schlohweißen Haaren nichts verloren.

Elvira P., Rentnerin, Kassel

ein Artikel von
Roland Roedermund
Roland Rödermund kann schlecht mit Geld umgehen. Auch deshalb schreibt er als freier Autor für Zaster. Ansonsten über Zeitgeist und Gesellschaftsthemen – und am liebsten übers Draußensein.