Auf der Spuren einer deutschen Tugend

Sieben Gründe, warum wir Deutsche im Sparen Weltmeister sind

von Jonas Rüffer

Weißkohl einlegen, damit man im Winter was zu essen hat, Heu lagern, damit das Vieh gefüttert werden kann – und die wenigen verdienten Groschen für schlechte Zeiten unter die Matratze stecken. Der Mensch hat sich schon immer etwas für schlechte Zeiten zurücklegen wollen. Doch kaum eine Nation ist auch heute noch so engagiert beim Sparen wie wir Deutschen, egal ob aus Stuttgart oder Stuckenborstel. Und wieso? ZASTER suchte historische Erklärungen in der Geschichte – und der spannenden Ausstellung „Sparen – Geschichte einer deutschen Tugend“ im Deutschen Historischen Museum in Berlin (bis zum 26. August).

#1 Lass‘ sparen, Kumpel!

Das Berufsleben früher war eindeutig härter als heute – ohne Schutzkleidung, Betriebsrat, Lunchyoga oder gescheite Kaffeemaschine.

Und der Kraftakt überhaupt war der Job unter Tage! Betrug die durchschnittliche Lebenserwartung im Mittelalter 33 Jahre, konnte sich ein Bergmann schon steinalt schätzen, wenn er die 25 erreicht hatte.

Wundert uns also nicht, dass ausgerechnet in diesem Berufszweig das erste soziale Sparmodell entstand: die Knappschaft. Im 13. Jahrhundert – erstmals offiziell am 28. Dezember 1260 in Rammelsberg bei Goslar beurkundet – schlossen sich Bergarbeiter zu Organisationen zusammen, die heute als als erstes Fürsorge-Modell gelten.

Da ihr Beruf viele Tote und Verletze forderte, mussten überdurchschnittlich oft Hinterbliebene oder Versehrte, die nicht mehr arbeitsfähig waren, durchgebracht werden. Durch den miserablen Lohn fiel es den Arbeitern schwer, etwas fürs Alter anzusparen, weshalb sie fortan einen Teil ihres Lohns an die Knappschaft abgaben, um solidarisch anderen Bergarbeiterfamilien in Not auszuhelfen und im Ernstfall selbst erste Hilfe zu erhalten.

Die Knappschaften hatten übrigens eine große Büchse mit einem Schlitz, in die jeder Arbeiter den erforderlichen „Büchsenpfennig“ warf – und die erste Sozialversicherung war geboren!

#2 Spar‘ dich hoch!

Vom 18. zum 19. Jahrhundert nahm der deutsche Sparkurs richtig Fahrt auf.

Erste Vorläufer der Sparkasse öffneten ab 1738. Bis dahin hatten die Menschen nur Sparstrümpfe, die „hohe Kante“, die Matratze und andere Verstecke für ihr Geld. Nun gab es Konten.

Im Gegensatz zum bloßen Horten zuhause wurde das Ersparte erstmals im Geldkreislauf verwendet, die Banken fingen an, wie heute mit Geld zu „arbeiten“, Gewinne zu erzielen und dann Zinsen zu zahlen.

Das Grundprinzip war: Jeder darf sparen – egal, wie hoch dein Betrag ist. Wenn du lange sparst, hast du irgendwann ein kleines Vermögen, und die Sparkasse gibt dir sogar noch Zinsen oben drauf! Das Problem war allerdings, dass die allgemeine Armut im 19. Jahrhundert immens war. Die Industrialisierung machte die Arbeit zu günstig, hinzu kamen Billigimporte aus anderen Ländern, und die Bevölkerung wuchs rasant. Der „kleine Mann“ musste damals 90 Prozent seines Lohns für den Lebensunterhalt ausgeben. Trotzdem versuchten gerade junge Menschen, vom Pferdeknecht bis zum Dienstmädchen, ihr Geld anzulegen. Die geheime Hoffnung dahinter: Damit ließe sich eventuell ein sozialer Aufstieg realisieren!

#3 Kleine Sparfüchse

„Will man fleißige Sparer seh‘n, muss man zu den Kindern geh‘n.“

An den Schulen wurden die preußischen Tugenden wie Sparsamkeit nicht nur in der Theorie gelehrt, sondern gleich umgesetzt: Für jede Elementarschule sollte ab 1867 eine Sparkasse eingeführt werden. Der Lehrer legte für die Schülerinnen und Schüler ein Sparbuch an, die Kinder gaben ihm ihr Taschengeld und kleine Geldgeschenke, der trug den Betrag ins Klassenbuch ein und stellte sogar eine Quittung aus. Eine gleichsam schräge wie gewiefte Erfindung aus dieser Zeit: Der Schulsparautomat! Man steckte eine Zehn-Pfennig-Münze durch den Schlitz und bekam ein Quittung. Damit konnten die Schüler zur Sparkasse gehen, und der Groschen wurde dem Konto gutgeschrieben. Sparen wurde mit einem Erfolgserlebnis verbunden, um schon den Jüngsten einen vernünftigen Umgang mit Geld beizubringen.

#4 Neue Banken braucht das Land

So, weiter in der Geschichte des Sparfimmels!

Zur Zeit der Hochindustrialisierung, der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mussten Fabriken ausgebaut werden, man brauchte Maschinen und ständig neue Gebäude.

Die Sparkassen hatten zu strenge Regeln, um die neuen Mega-Kredite zu vergeben, es mussten ganz neue Kreditinstitute entwickelt werden, es entstand eine „Drei-Säulen-Struktur“:

  1. Sparkassen waren weiterhin für die „kleinen Leute“. Hier konnte man Schuldscheine und kleinere Personalkredite bekommen, und vor allem konnten Tagelöhner und Arbeiter sparen.
  2. Es gab Genossenschaften, die Kredite für den gewerblichen Mittelstand anboten. Landwirte und Handwerksmeister brauchten simplere Kreditsysteme als die der Sparkassen.
  3. Kreditbanken finanzierten mit großen Hypotheken die Industrie.

Diese Aufteilung trieb die Industrialisierung vorwärts. Auch wenn der Großteil des Kapitals aus dem Mittelstand kam, wurde das Sparen auch den Armen schmackhaft gemacht.

Sehr beliebt wurden Heimsparbüchsen, die verteilten die Sparkassen an ihre Kunden – mit eingravierten Mottos wie zum Beispiel „Ohne Sparen leere Kasten, ohne Ordnung nichts als Lasten“. Zu Hause wurden die Groschen in die Sparbüchse geworfen. Damit man der Versuchung widerstand, das Geld herauszunehmen, hatte nur die Sparkasse den Schlüssel für die Büchse und buchte den Betrag direkt vor Ort aufs Sparbuch, wenn sie voll war.

#5 Geld als Kanonenfutter

Das Deutsche Reich benötigte Unsummen, um den Krieg zu finanzieren.

Die Reichsbank gewährte der Regierung dafür Kredite. Der gesamte Krieg wurde von 1914 bis 1919 zu 86 Prozent durch Kredite finanziert! Und woher kamen die? Vom fleißigen Sparen des deutschen Bürgers, der Gesellschaft, der Vereine und der Unternehmen. Sie alle hatten in den Jahren zuvor viel gespart und es gab in großen Mengen Sparbücher im Reich.

Jetzt musste der Sparer nur noch überredet werden, sein Geld auch in den Krieg zu investieren. Die fleißigen Sparkassenbeamten boten deshalb Kriegsanleihen an: Menschen sollten ihr Sparbuch auflösen und in Kriegsanleihen investieren, fünf Prozent Verzinsung lockten. Der Krieg wurde, klar, aber immer teurer, und die Reichsbank musste immer mehr Kredite an die Regierung vergeben. Dazu sollten nicht nur die Sparbücher liquidiert werden: Die Heimsparbüchsen wurden mit deutschem Fliegergruß versehen. Der Spruch appellierte an den Patriotismus der Bürger, damit das zu Hause gehortete Geld flugs zur Sparkasse und damit an die Front getragen wurde.

Nach Ende des Krieges hatten fast alle ihr Vermögen verloren, die Inflation war in den Kriegsjahren um 234 Prozent in die Höhe getrieben, ab 1923 war die Mark dann komplett wertlos – eine harte Probe für die deutsche Tugend Sparsamkeit. Der New Yorker Börsencrash 1929 führte auch in Deutschland zu größter Unsicherheit und zum Konkurs von Banken, was wiederum dem Nationalsozialismus zu Stärke verhalf.

#6 „Deutsche Art bewahrt, wer arbeitet und spart“

Durch die Nationalsozialisten veränderte sich die Auffassung zum Sparen wieder: Es war nicht mehr nur eine private Methode, um Geld in der Not zu haben, sondern ein Dienst an der Nation.

Sparerziehung der Kids war nun Pflicht in Familien, auch die Schulsparkassen wurden gezielt gefördert. Es gab Sonderspartage, Olympiasparen, Hitlerjungendsparen …

Doch mit dem Zweiten Weltkrieg benötigte das Deutsche Reich wieder massenhaft Kredite. Die Spar-Propaganda zusammengefasst: Wer es nicht tat, war des Führers Feind! Das eiserne Sparen wurde 1941 eingeführt. Nach dem Verlust des Krieges gab es sieben Mal so viel Geld, schon wieder war die Mark praktisch wertlos – hallo Währungsreform! Aus 100 Reichsmark wurden 6,50 DM.

Im geteilten Deutschland war das Vertrauen in die Sparkassen und Banken nach dem zweiten Verlust des gesamten Vermögens vollends zerstört. Vor allem aber mussten Kredite gewährt werden, um den Aufbau zu fördern. Dazu wurde die Soziale Marktwirtschaft eingeführt, damit die neuen Kredite nicht nur an die Bessergestellten gingen, sondern zum Beispiel in den sozialen Wohnungsbau.

In den ersten Nachkriegsjahren also war an Sparen erstmal nur zu denken.

#7 Rückbesinnung auf eine deutsche Tugend?

Man muss auch gönnen können – am meisten sich selbst was. Endlich ging es wieder aufwärts, auch mit der Kaufkraft. Mit dem Wirtschaftswunder ab den 1950er Jahren änderte sich der Zweck des Sparens: Man tat es neuerdings, um sich etwas Schönes leisten zu können – Mode, Reisen, Technik. Die Industrie produzierte neue Autos, Fernseher, Kameras, Kleider am laufenden Band.

Klar, dass die Politik versuchte, ihr Volk mit Plakaten, Werbung, Bausparverträgen, Volksaktien und Sparbriefen zu animieren, das Sparen nicht zu vergessen. Mit den „Knax“-Heften für junge Sparkassenkunden (erscheint seit 1974) und Geschenken zum Weltspartag am 30. Oktober sollten auch die Jüngsten überzeugt werden.

Viele setzen Sparsamkeit mit Geiz und Spießertum fest, dann schon lieber „arm, aber sexy“ und gut angezogen. Glaubt jemand unter 40 noch ernsthaft, dass er später eine Rente bekommt? Dann lieber auf dem Vulkan tanzen und im Jetzt leben. Die Regierung hält trotzdem an der schwarzen Null fest – bloß nicht mehr ausgeben als einnehmen!

Da aber im Moment die Zeit der Niedrigzinsen ist, wird Deutschland immer wieder ermahnt, bitteschön mehr zu investieren, vor allem in die Europäische Union, schließlich sind Konditionen zum Schulden machen nie besser gewesen. Aber alles in allem mögen die Deutschen „ihre“ Tugend.

image_print
ein Artikel von
Jonas Rüffer
Jonas Rüffer (Jahrgang 1991), ist seit Februar Teammitglied der Zasterredaktion. Vorher hat er seinen Master in Politik abgeschlossen. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Servicethemen wie Kryptowährungen oder Geld- und Finanzpolitik.