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Der Blick aus Zürich

Jetzt wird abgerechnet!

von Mikey Fritz

Mit dem Beginn jeder Berichtssaison treffen die Fiktionen auf die Fakten. Die Anleger haben vorgelegt und die Unternehmen richten mit Vorlage der Quartalsberichte und der Veröffentlichung der neuen Prognosen die Kurse und im Zweifel auch die Trends für die Zukunft. 

Wann sind eigentlich gute Nachrichten „gute“ Nachrichten und wann sind schlechte Nachrichten wirklich „schlechte“ Nachrichten? Jedem Neuling an der Börse fällt relativ schnell auf, dass die Reaktionen der Börse auf Nachrichten auf den ersten Blick meistens nicht nachzuvollziehen sind. Denn warum steigt ein Kurs, wenn ein Unternehmen die Entlassung von Hunderten von Mitarbeitern ankündigt, und warum fallen die Notierungen, obwohl die Analystenerwartungen geschlagen wurden und die Prognose angehoben wurde? 

Entscheidend für die Reaktion der Börse ist immer die Positionierung im Vorfeld. Denn bevor die Fakten veröffentlicht werden, gibt es immer Anleger, die bestimmte Erwartungen haben und diese durch Käufe oder Verkäufe der Aktien im Vorfeld ausdrücken. Wenn also beispielsweise ein Unternehmen operativ in der Krise steckt, zu viele Mitarbeiter beschäftigt und die Anleger das Ausbleiben der notwendigen Entlassungen mit Verkäufen der Aktie beantworten, dann kann die Ankündigung, dass das Management die Probleme aktiv angeht und mit den Entlassungen die Chance für eine Gesundung des Unternehmens schafft, eine positive Überraschung sein. 

Reine Fakten sind wertlos – der Kontext ist entscheidend

Genauso geht es auch andersherum. Wenn ein Unternehmen ein sehr starkes Geschäft erlebt, dann kann das Schlagen der Analystenerwartungen und die Anhebung der Prognose eine schlechte Nachricht sein, wenn die Anleger im Vorfeld dieses Wachstum deutlich überschätzt hatten. 

Die reinen Fakten sind also wertlos. Wer die bevorstehende Quartalssaison verstehen will, muss gleichzeitig auch wissen, was im Vorfeld erwartet wird. Und dabei reicht es nicht, dass man sich die Schätzungen der Analysten ansieht. Diese haben häufig einen sehr guten Einblick in die Unternehmen und liegen mit ihren Prognosen in der Regel dicht am Endergebnis. Das ist kein Zufall. Große börsennotierte Unternehmen nehmen die Steuerung der Analystenerwartungen sehr ernst und wenden viel Zeit und Arbeit dafür auf, dass die (wichtigsten) Analysten gut informiert sind. 

Der wichtigste Vergleichsmaßstab ist die Aktie selbst. Bedauerlicherweise gibt es keine einfache lineare Korrelation z. B. zwischen der Entwicklung des Aktienkurses und den Fakten. Es ist vielmehr eine komplexe Matrix, die sich während des Vergleichszeitraums aufbaut und neben dem Aktienkurs insbesondere auch das Handelsvolumen und das Exposure der Investoren beinhaltet. Das sind häufig private Informationen, die nur institutionelle Investoren haben oder im Zweifel niemand hat. Man muss daher als Privatanleger mit dem arbeiten, was man ableiten kann.

Eine einfache Konstellation ist beispielsweise ein Unternehmen, das am Beginn der Vergleichsperiode vor einem schwachen Geschäft warnt und die Börse darauf mit einer Verkaufsphase reagiert, die deutlich über das Ausmaß der Warnung hinausgeht. Geht der Aktienhandel mit dieser überverkauften Konstellation in die nächste Berichtssaison und das Unternehmen legt einen Bericht vor, der leicht besser als die ursprüngliche Warnung ist, dann kann sich bereits eine nennenswerte positive Überraschung im Kurs ergeben. 

US-Berichtssaison beginnt in dieser Woche

Gehen wir in medias res und werfen einen Blick auf die aktuelle Situation in New York. Der S&P 500 Index erreicht im Vorfeld des Beginns der Berichtssaison sein 35. Allzeithoch seit Jahresbeginn. Die amerikanische Benchmark hat in den vergangenen 12 Monaten mehr als 26 % zulegen können. Allein seit Jahresbeginn sind es knapp 17 %. Dem stand im 1. Quartal ein Wachstum der realen Wirtschaftsleistung von 1,3 % gegenüber. Die Diskrepanz ist offensichtlich. Der Vergleich hinkt allerdings insofern, dass der S&P 500 Index im vergangenen Herbst ein Tief erreichte und entsprechend zurückhaltend positioniert war. Ein Teil der Rallye am Aktienmarkt ist demnach eine reine Normalisierung der Verhältnisse. Der Rest ist die Prämie für zukünftiges Wachstum, die aber noch eingelöst werden muss. 

Konkret wird für den S&P 500 Index ein bereinigter Gewinn von knapp unter 59 US-Dollar für das 2. Quartal erwartet. Annualisiert man die Erwartung, dann reden wir über einen bereinigten Gewinn von knapp 236 US-Dollar. Bei einem aktuellen S&P 500 Indexstand von 5.572 Punkten reden wir also über ein erwartetes aktuelles Kurs- / Gewinn- Verhältnis von 23,6. Das ist mehr als ordentlich und signalisiert das hohe Vertrauen der Anleger in die Unternehmen und die Volkswirtschaft. Oder anders gesagt: Der S&P 500 Index ist für starkes Wirtschaftswachstum gepreist. Trotz erhöhter Inflation, dem höchsten Zinsniveau seit 2007 und einem sehr schwachen Wachstum im 1. Quartal. 

Der erste Eindruck täuscht

Der Teufel liegt aber im Detail. Denn für den Löwenanteil des Gewinns sind nur sehr wenige Unternehmen verantwortlich. Der S&P 500 Index beinhaltet in Bezug auf das KGV also ein sehr großes Klumpenrisiko. Liefern diese höchstprofitablen Unternehmen auch in Zukunft – wovon wir alle ausgehen – dann spielt dieses Risiko nur eine untergeordnete Rolle. Sollten diese Schlüsselunternehmen jedoch in Zukunft enttäuschen, dann sorgt ihr Gewicht dafür, dass der ganze Indextrend kippen kann. Diese ungleiche Verteilung spiegelt sich in der Performance der einzelnen Indexmitglieder seit Jahresbeginn wider. Die Kurse von mehr als 200 Indexmitgliedern liegen aktuell tiefer als zum Jahresbeginn. Nur die Aktien von einem Fünftel der 500 Indexmitglieder performen besser als der Gesamtindex. 

Der Aktienmarkt ist extrem bullish positioniert – was ist mit den Analysten? Auch dort herrscht eitel Sonnenschein. Typischerweise reduzieren die Analysten ihre Erwartungen für die Quartalsgewinne in den drei Monaten vor der Veröffentlichung der Unternehmenszahlen. Nicht dieses Mal. Insgesamt ergab sich lediglich eine Reduktion der erwarteten Unternehmensgewinne um -0,5 %. Von Zurückhaltung also keine Spur. Allerdings auch keine Euphorie, die sich in deutlichen Anhebungen der Gewinnerwartungen ausgedrückt hätte. 

Tech, Telekommunikation und Finanzen dominieren

Am 12. Juli, dem Freitag in dieser Woche, beginnt die Berichtssaison zum 2. Quartal offiziell mit den Zahlen der wichtigsten Wall Street Banken. Bei diesen Berichten steht insbesondere das Kapitalmarktgeschäft im Fokus, wo das meiste Wachstum bei den Banken gesehen wird. Noch bedeutender werden jedoch die Versicherungen sein, die im aktuellen Hochzinsumfeld ausgezeichnet performen. Erwartet wird von ihnen ein bereinigtes Gewinnwachstum von 31 % im Jahresvergleich. Die anderen beiden bedeutenden Industriezweige sind die Telekommunikation und die Informationstechnologie. Hier werden Gewinnwachstumsraten für das Gesamtjahr 2024 von 21 % und 19 % erwartet. Die geringsten Erwartungen herrschen gegenüber dem Energiesektor, bei dem eine leichte Gewinnkontraktion von -2 % im Vergleich zum Vorjahresquartal prognostiziert wird. 

Die Börse ist sehr bullisch positioniert, was von den Unternehmen verlangt, dass sie neue Wachstumsimpulse vorweisen können und für das zweite Halbjahr in Aussicht stellen. Gelingt dies, kann die Rallye weitergehen. Wer sich für die konkrete Bewertung und Einordnung der wichtigsten Unternehmensberichte in den kommenden Wochen interessiert, der liest den Zürcher Finanzbrief.

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Seit mehr als 25 Jahren arbeitet Mikey Fritz an der Börse. Seine Karriere begann er als Wirtschaftsredakteur für die n-tv „Telebörse“. Es folgte die Gründung der FM Research in Berlin, welche Privatkunden und institutionelle Kunden mit eigenem Kapitalmarkt-Research beriet. Vor 15 Jahren setzte er einen neuen Schwerpunkt auf das Portfoliomanagement bei großen Vermögensverwaltern in der Schweiz und Deutschland sowie auf die Beratung von Finanzinstituten. Die Redaktion des Zürcher Finanzbriefes ist und bleibt aber sein Steckenpferd.