© Dr. Cyrus de la Rubia
KRYPTOWÄHRUNGEN

Ist Ether Geld? Ein Gastbeitrag von Volkswirt Dr. Cyrus de la Rubia

von Zaster Redaktion

Bitcoin wurde 2009 mit dem Anspruch eingeführt, eine Alternative zum staatlichen Geld zu sein. Bei Ether, der nativen Währung auf der Ethereum-Blockchain, ist dieser Anspruch nie in dieser Weise erhoben worden. Jedoch ist Ether heute die Kryptowährung, die Zentralbankwährungen in Zukunft am ehesten Konkurrenz machen könnte.

Diese These dürfte bei eingefleischten Bitcoinanhängern für Entrüstung sorgen, die teilweise die Meinung vertreten, nur Bitcoin sei Geld und deren Argumentation sich kurz gefasst so skizzieren lässt: Die Staaten drucken seit eh und je inflationär viel Geld, während Bitcoin die härteste Währung der Welt ist, da sie aufgrund des nicht manipulierbaren Softwarecodes auf 21 Millionen Bitcoin begrenzt sein wird und durch ihren maximalen Grad an Dezentralität vor politischer Einflussnahme geschützt ist. Ether dagegen – so das Credo vieler Bitcoiner – ist viel zentralisierter und dadurch manipulierbar. 

Abgesehen davon, dass die hier aufgestellten Behauptungen zu diskutieren wären, ist das Problem mit dieser Sicht, dass sie die gestellte Frage, ob Ether oder Bitcoin Geld darstellen, nicht beantwortet. Um das zu klären, sollte vielmehr die geläufige Definition von Geld herangezogen werden. Sie besagt, dass Geld drei Funktionen erfüllen muss, um als Solches zu gelten: die Funktion als Zahlungsmittel, als Recheneinheit und als Wertaufbewahrungsmittel.

Ether als Zahlungsmittel? Durchgefallen, werden Sie spontan vielleicht sagen, wird diese Kryptowährung doch so gut wie gar nicht in den normalen Zahlungen des Alltags eingesetzt, was für Bitcoin ebenfalls gilt. Das ist jedoch zu kurz gegriffen. Denn Ether wird sehr wohl als Zahlungsmittel benötigt, um bestimmte digitalisierte Dienste auf der Ethereum-Blockchain – codifiziert als Smart Contracts – anzubieten und zu erwerben, die in Zukunft zunehmend Eingang in unseren Alltag finden dürften. Schon heute können beispielsweise Kryptowährungen auf der Kryptobörse Uniswap nur gehandelt werden, wenn man die entsprechenden Transaktionsgebühren in Ether entrichtet. Ohne Ether kann diese Dienstleistung schlicht nicht in Anspruch genommen werden.

Abgesehen von zahlreichen Geschäftsmodelle aus dem Decentralized Finance-Bereich (z.B. Kreditgeber und Vermögensverwalter) ist auch die Tokenisierung von Vermögenswerten – also die blockchainbasierte Aufteilung von Vermögenswerten in viele kleine digitale Einheiten – zu betonen, die zum größten Teil auf der Ethereum-Blockchain geschieht. Ethereum wird auch genutzt, um manipulationssichere Datenbanken zur Dokumentation von Kundendaten oder der Herkunft von Vorleistungen bei komplexen Lieferketten aufzubauen. Möchte man all diese Dienstleistungen verwenden, müssen Ether eingesetzt werden. Mit anderen Worten: Es gibt bereits ein globales Ökosystem, in dem bestimmte Dienstleistungen nur mit Ether bezahlt werden können. Auch auf der Bitcoin-Blockchain können Smart Contracts installiert werden, aber die Ethereum-Blockchain hat in dieser Beziehung einen vermutlich nicht mehr einholbaren Vorsprung. 

Diesen Vorsprung dürfte die Ethereum-Blockchain am 15. September diesen Jahres erneut deutlich ausgebaut haben. Denn an diesem Tag ist es gelungen, das extrem energieintensive Verfahren, mit dem bislang sämtliche Bewegungen auf der Blockchain digital überprüft und dokumentiert wurden, grundlegend zu reformieren, so dass dafür heute nur noch ein Bruchteil der Rechenleistung eingesetzt werden muss. Dass dieser hochgradig komplexe Schritt gelungen ist, spricht für die These, dass es die Ethereum-Entwicklercommunity in den kommenden zwei oder drei Jahren auch schaffen wird, den Transaktionsdurchsatz pro Sekunde zu vervielfachen und die Kosten pro Transaktion auf ein Minimum zu reduzieren.

Blockchainbasierte Geschäftsmodelle werden dann wahrscheinlich einen regelrechten Schub erfahren und einen breiteren Raum in unserem Alltag einnehmen. Damit aber wird Ether als Währung eine immer wichtiger werdende Rolle einnehmen. Angesichts dieser Dynamik dürften dann auch Firmen aus traditionellen Sektoren wie etwa Lebensmitteleinzelhandel beginnen, Ether als Zahlungsmittel zu akzeptieren.

Damit nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass Ether auch die zweite Funktion des Geldes, die Funktion der Recheneinheit erfüllen wird. Schon heute werden beispielsweise die Preise auf der Tokenisierungsplattform Opensea, einem Marktplatz für digitale Sammlerstücke, standardmäßig in Ether ausgezeichnet, da die Sammlerstücke, bekannt als Non Fungible Tokens, auch in dieser Währung erworben werden. Bekanntermaßen ist es ein zäher Prozess, bis Menschen in einer neuen Geldeinheit denken. Auch Jahre nach der Umstellung der DM auf den Euro haben viele Personen imme noch in DM gerechnet.

Mit Ether könnte es zu einer besonderen Situation eines Parallelwährungssystems kommen. Bekannt ist dieses Phänomen in einem komplett anderen Zusammenhang, wo eine Frendwährung wie der US-Dollar und die heimische Währung in einem Land parallel existieren, weil der heimischen Währung infolge häufiger Inflationserfahrung und/oder Bankenkrisen misstraut wird. Argentinien ist ein solches Beispiel. Im Fall von Ether wäre das anders. Hier geht es nicht um eine Negativerfahrung mit der staatlichen Währung, sondern um die Erfahrung, dass in der Folge einer technologischen Neuerung bestimmte Leistungen nur mit Ether erworben werden können.

Unter diesen Umständen wird Ether quasi automatisch als Wertaufbewahrungsmittel an Bedeutung gewinnen, der dritten Definitionseigenschaft von Geld. Denn je mehr Dienstleistungen eine Person mit Ether erwerben kann, desto eher lohnt es sich heute Ether zu sparen, um eben in Zukunft diese Dienstleistungen zu konsumieren. 

Euro, US-Dollar und andere staatliche Währungen werden also nicht vollständig verdrängt, sondern werden parallel zu Ether existieren. Warum eigentlich? Die Staaten haben als Gesetzgeber ein mächtiges Werkzeug in der Hand, um sicherzustellen, dass eine Basisnachfrage nach ihrer Währung fortbesteht: Dies ist die übliche gesetzliche Vorgabe, dass Steuern in der staatlichen Währung gezahlt werden müssen. Kaum ein Staat wird freiwillig darauf verzichten, da eine eigene Währung sicherstellt, dass eine Regierung souverän über ihre Ausgabenpolitik verfügen kann.

Im Ergebnis wird der Anteil der staatlichen Währungen an den Gesamttransaktionen zwar bedeutend bleiben, aber sinken, und Ether sollte spiegelbildlich an Gewicht gewinnen. Die Antwort auf die Frage „Ist Ether Geld?“ lautet daher: noch nicht, aber vermutlich sehr bald. 

Ein Gastbeitrag von Dr. Cyrus de la Rubia. Er ist Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank und deckt dort von der Konjunkturanalyse über Zins- und Währungsmärkte bis zur Tokenökonomie ein breites Spektrum an Themen ab. Modernes Geld und Zentralbanken gehören zu den Schwerpunkten des promovierten Volkswirts, außerdem ist er in der wirtschaftspolitischen Beratung für Schwellenländer tätig und ist Dozent an der Frankfurt School of Finance and Management. Im September ist sein Buch „Die neue Vielfalt des Geldes“ erschienen, in dem es um Kryptowährungen und die Zukunft des Geldes geht.

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Zaster Redaktion
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