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ÜBER DEN TELLERRAND

Holland: Mehr als Käse und Tulpen

von Isabella Müller-Reinhardt

Klimakrise, Digitalisierung, Tempolimit, Cannabis-Legalisierung… Während die neue Regierung in Deutschland noch nach Lösungen sucht, habe ich mal einen Blick zu unseren Nachbarn gewagt.

Ich war gerade drei Tage in Holland, genauer gesagt in Den Haag und Rotterdam. Und ich kann Euch sagen, eine leere, frisch geteerte, vierspurige Autobahn auf der ich über zwei Stunden nur 100 km/h fahren darf, ist ganz schön deprimierend. Von der eigentlichen Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h war nichts zu sehen. Unter diesen Umständen, macht Auto fahren wirklich wenig Spaß und genauso wenig Sinn. Da ist jede Bummelbahn schneller und das Schöne ist, hier fahren die Straßenbahnen nicht nur durch die Innenstadt, sondern auch raus aufs Land. Der öffentliche Nahverkehr funktioniert schon alleine deswegen besser als bei uns, weil er unkompliziert geregelt ist.

Alles was Du brauchst, ist eine Chipkarte. Mit dieser aufladbaren Plastikkarte kannst Du jeden Bus, Zug, die Metro oder die Straßenbahn im ganzen Land nutzen. Ein flächendeckender Nahverkehr in ganz Deutschland? Hallo Bürokratie, kriegen wir das auch hin? Apropos Nahverkehr, die Innenstadt von Den Haag ist komplett autofrei. In Rotterdam dagegen suchst du locker ne halbe Stunde einen Parkplatz, der dann gute fünf Euro die Stunde kostet. Die logische Konsequenz: jeder fährt Fahrrad.

Und während sich bei uns in Deutschland viele Menschen noch über Lastenräder lustig machen, gehören sie in den niederländischen Großstädten zum Alltag. Und nein, da sitzen nicht nur Kinder und Muttis drin. Auch die Wocheneinkäufe werden somit klimaneutral nach Hause transportiert. Und genauso stressfrei ist in den Niederlanden auch das Einkaufen selbst. In den Supermärkten gibt es keine normalen Kassen mehr, keine Kassierer, kein Bargeld. Hier gehört die Digitalisierung genauso zum Alltag wie das Fahrradfahren. An sogenannte scan&go Terminals übernimmt der Kunde selbst die Arbeit. Bezahlt wird ausschließlich mit Handy oder Karte. Damit das alles auch technisch funktioniert, ist im Supermarkt natürlich auch ein schnelles W-Lan verfügbar.

Keine Warteschlangen, kein im Stau stehen, entspannte Menschen. Die Zukunft? Zur Entspannung gehört für immerhin knapp 160 Millionen Menschen weltweit übrigens auch der Genuss von Cannabis und der ist in Holland legal. In insgesamt 580 Coffee-Shops wird der Verkauf von sogenannten weichen Drogen geduldet. Der Preis für ein Gramm Gras (Cannabis sativa oder Cannabis indica) liegt hier bei 10 bis 20 Euro. Ist vielleicht etwas teurer als im Görlitzer Park in Berlin, aber dafür 100 % biologischer Anbau und ohne chemische Zusätze. Und: Der Staat verdient mit. Seit 2017 ist die Abgabe von medizinischen Cannabis in Deutschland legal und bringt unserem Fiskus im Jahr 50 Millionen Euro.

Laut einer Studie für den Deutschen Hanfverband würde der deutsche Staat bei einer Cannabis-Legalisierung wie in den Niederlanden aber rund 2,39 Milliarden Euro jährlich einnehmen. (Umsatzsteuern, Cannabissteuer, gesparte Polizeikosten etc.) Und 20000 neue Arbeitsplätze würden ebenfalls entstehen, die wiederum 280 Millionen Euro in unsere Renten- Kranken- und gesetzliche Pflegeversicherungen spülen. 

Ihr seht, neben all den Kontras, gibt es rein finanziell gesehen ziemlich viele Pros für eine Legalisierung von Cannabis.

Und mit den 2,39 Milliarden Euro Steuereinnahmen könnte die neue Regierung mal anfangen neue Fahrradwege zu bauen. Oder den öffentlichen Nahverkehr zu modernisieren. Oder das Glasfasernetz für schnelles Internet ausbauen.

Geld wäre ja da…

ein Artikel von
Isabella Müller-Reinhardt
Isabella Müller-Reinhardt

Die in Madrid aufgewachsene Münchnerin arbeitet seit mittlerweile mehr als zwanzig Jahren als Sportmoderatorin für verschiedene deutsche und englische Fernsehsender. Zu den Stationen Müller-Reinhardts zählen unter anderem ARD, ITV, Sport1, Sky und Arena. Zudem plaudert sie in einem Podcast über „Weiberkram“, schreibt diverse Sportkolumnen und hat mit "Mensch Trainer" im Sommer 2020 ihr erstes Buch veröffentlicht.