© Joana Schlutter / frugalisten.de
FRUGALISMUS

„Halbzeit auf dem Weg zur Rente mit 40“ – Im Gespräch mit Frugalist Oliver Noelting

von Theresa v. Rehlingen-Prinz

ZASTER-Chefredakteur Michael André Ankermüller führte vor zwei Jahren mit Frugalist Florian Wagner ein Interview, für dessen Buch „Rente mit 40“, Oliver Noelting das Vorwort geschrieben hat. ZASTER-Autorin Theresa von Rehlingen-Prinz hat nun Oliver zum Interview getroffen, um zu erfahren, wie sich sein Leben als Frugalist gestaltet und was das für ihn eigentlich bedeutet.  

Was ist Frugalismus und warum hat es dich angesprochen?  

Frugalismus ist eine Lebensphilosophie bzw. Handlungsleitlinie. Das Ziel ist es, ein zufriedenes Leben zu führen und das Beste aus seiner Lebenssituation zu machen. Dazu gehört langfristige Zufriedenheit, Gesundheit und auch das Thema Geld spielt eine zentrale Rolle. Ein Baustein ist finanzielle Freiheit zu erlangen und immer unabhängiger von dem Zwang eines Erwerbskommen zu sein, um daraufhin die schönen Dinge des Lebens genießen zu können. Das muss aber nicht bedeuten, dass ein Frugalist unbedingt mit 40 die Rente erreichen möchte, so wie ich das plane.  

Wann hast du angefangen dich für diese Lebensphilosophie zu entscheiden? 

Im Oktober 2013 bin ich über Mr. Money Mustache gestolpert. Wenn man so will, ist er ein US-amerikanischer Frugalisten-Guru und der bekannteste Blogger in der Szene. Nach seinem Silicon Valley Job, ist er mit 30 in Rente gegangen und seitdem im Ruhestand oder besser gesagt im Unruhezustand. Erst dachte ich, dass es ein Scam ist oder einer dieser typischen amerikanisches Motivationscoaches wie zum Beispiel Tony Robins. Ich fand die Vorstellung mit 30 in Rente zu gehen, absolut absurd, aber dann hat mich meine Neugierde dazu gebracht, mich einzulesen und dabei bemerkte ich, dass es eigentlich genau das Richtige für mich ist.

Damals war ich gerade mit meinem Bachelor fertig und wusste noch nicht ganz genau, was ich mit meinem Leben danach machen wollte. Die Vorstellung, 40 Jahre lang in demselben Job zu verbringen, gefiel mir nicht. Mr. Money Mustache zufolge, muss man kein klassisches Erwachsenenleben führen, in dem man in einem Vollzeitjob arbeitet, um sein Geld dann in ein schönes Auto, tolles Haus und Urlaube zu investieren. Er zeigte mir eine Alternative, die viel besser zu mir passt, da ich eh ein genügsamer Mensch bin. Das hat dazu geführt, dass ich diesen Lebensstil noch viel stringenter verfolgt habe. 

Wie realistisch ist heute Rente mit 40 für dich?  

Tatsächlich schreibe ich gerade einen Artikel auf meinem Blog dazu, da im August ziemlich genau Halbzeit ist, seitdem ich meinen „Rente mit 40 Plan“ veröffentlich habe. Ich bin ziemlich genau im Plan, maximal 20% dahinter. Trotzdem muss ich sagen, dass ich mein Einkommen ziemlich überschätzt habe, weil ich damals davon ausgegangen bin, dass ich Vollzeit als Softwareentwickler arbeiten würde. Im Endeffekt habe ich aber schon nach zwei Jahren meinen Job auf Teilzeit reduziert, Elternzeit genommen und auch einen Teil meines Einkommens an meine Freundin abgegeben. Mein Einkommen hat sich zwar nicht wie geplant entwickelt, dafür sind meine Ausgaben aber auch nicht so stark gestiegen, wie erwartet. Außerdem haben sich aber die Aktienrenditen besser entwickelt als erwartet, sodass mein Vermögen jetzt ziemlich genau da liegt, wo ich es ursprünglich geplant hatte.  

Was bedeutet Rente konkret für dich? Legst du dann die Füße hoch und gehst Golfen oder Wandern?  

Klingt gar nicht schlecht. Ganz so wird das aber nicht klappen, allein weil ich zwei kleine Kinder habe, die mich ziemlich auf Trab halten werden. Mir gehts aber vor allem darum Dinge zu tun, in denen ich einen Sinn sehe und die etwas positives zu meinem Leben beitragen. Dazu gehört auch Haushalt, Zeit mit meinen Kindern und Sport treiben. Wer kann es sich schon leisten mit einer Familie und kleinen Kindern drei bis vier Stunden Sport am Tag zu machen. Meinen Blog würde ich auch weiterbetreiben und vielleicht auch mehr Zeit für Pressetermine und Interviews finden. Einfach Dinge tun in denen ich mich selbst verwirklichen kann. 

Wie strukturierst du deinen Tag?  

Wenn man mich in meinen Alltag begleiten würde, würde man gar nicht merken, dass ich Frugalist bin. Morgens bringe ich die Kleine in die Krippe, dann gehe ich arbeiten und nachmittags verbringe ich Zeit mit meiner Tochter. Abends essen wir gemeinsam Abendbrot. Am Wochenende machen wir Ausflüge, treffen uns mit der Familie oder Freunden. Was uns unterscheidet, sind eher die Sachen, die nebenher laufen. Viele in unserem Umkreis kaufen sich jetzt beispielsweise ein Haus oder renovieren ihre Wohnung. Wir wohnen zur Miete, haben ein altes Auto, das 20 Jahre alt ist und halten unsere Fixkosten klein.  

Investierst du? Was für eine Anlageform investierst du am liebsten?  

Ich investiere vor allem passiv, ohne viel Arbeit in ETFs. Ich habe das gleiche Portfolio jetzt seit Anfang 2016 und immer, wenn ich Geld übrig habe, stecke ich das in mein Portfolio. Ich habe keinen Sparplan, sondern teile es folgendermaßen auf: 80% sind investiert und 20% liegen auf dem Tagesgeldkonto. Jeden Monat schaue ich mir die Aufteilung an und wenn es passt, schieße ich was in mein Portfolio nach. Da sind sechs ETFs drinnen, drei davon bilden den weltweiten Aktienmarkt ab und ein kleinerer Teil ist eher exotisch. Einer für Immobilienaktien, einen Anleihen ETF und einen ETF für Rohstoff Futures. 

Hast du eine feste Anlagestrategie oder gehst du intuitiv und individuell vor?  

Ich gehe sehr strategisch vor. Ich habe mir mal 2015 einen Plan gemacht und die Anlagestrategie mit Zahlen fest aufgeschrieben. Man kennt es ja, die Kurse brechen ein und man wird emotional und fragt sich, ob man wirklich noch investieren will oder lieber alles rauszieht. Das sind eigentlich die größten Fehler, die man begehen kann, also aus Angst oder Gier von seinem Plan abzuweichen. Das kann man vermeiden in dem man sich einen Plan macht und festlegt, was man bei gewissen Situationen macht und nicht macht. So kann ich nachts gut schlafen und schaue mir vielleicht einmal im Monat mein Portfolio an, um zu sehen, ob das Verhältnis noch stimmt. Man sollte langfristig planen und auch davon ausgehen, dass Kurse mal einbrechen werden und sich davon nicht verrückt machen zu lassen. 

Was würdest du interessierten Anfänger-Investoren empfehlen?  

Ich hatte damals großes Glück und bin über einen Freund zum Investieren gekommen. Das erste Finanzbuch, dass ich gelesen habe und nach dessen Grundsätzen ich immer noch lebe, war „Souveränes Investieren“ von Gerd Kommer. Seine Bücher und Beiträge sind wissenschaftlich fundiert und ich würde sie jedem Interessierten empfehlen. Gerade im Finanzbereich gibt es sonst viele Leute, die unrealistisches versprechen und dessen Investmentvorschläge mit viel Arbeit und Stress verbunden sind. Ich würde auch keinem Anfänger, der Teil- oder Vollzeit arbeitet, empfehlen, in spekulative Kryptoassets oder Daytrading einzusteigen.  

ein Artikel von
Theresa v. Rehlingen-Prinz
Theresa ist Kommunikationstrategin und Texterin. Davor arbeitete sie national und international im Venture Capital Bereich. Nebenbei beschäftigt sie sich auch viel mit weniger prominenten Alternativanlagen wie z.B. Kryptowährungen.