EURO, DOLLAR, SCHILLING – WAS DEN FINANZMARKT DIESE WOCHE BEWEGT HAT

Eindeutig mehrdeutig

von Sonja Baer

Klare Kommunikation ist wichtig. Denn jede sprachliche Interaktion birgt die Möglichkeit, sie unterschiedlich aufzufassen. In manchen Fällen sogar, wenn von demselben Wort die Rede ist. Unser Kolumnist Volker Schilling hat sich die Finanzmärkte in dieser Woche durch die Brille der Doppelbödigkeiten der deutschen Sprache angeschaut.

Umfahren ist nicht das gleiche wie umfahren!

Manchmal liegt der Sinn eines Satzes lediglich in seiner Betonung. Besonders heikel ist es, wenn dabei dasselbe Wort eine gegenteilige Bedeutung hat. So kann man mit der intelligenten Software eines Tesla ein Hindernis umfahren oder beim Versagen der Software das Hindernis umfahren. Die Tesla-Aktie indes ist diese Woche geradewegs auf über 1.200 Dollar hochgefahren. Allzeithoch und satte 7.500 Prozent Wertzuwachs in 10 Jahren. Das entspricht 54 Prozent pro Jahr. Bezeichnenderweise ist die Tesla-Aktie die meist gehandelte Aktie unter amerikanischen Privatanlegern. Kleine Anmerkung am Rande: Die meist gehandelte Aktie der deutschen Privatanleger ist – oder besser war – Wirecard. Jetzt verstehen Sie die Doppeldeutigkeit des Wortes „umfahren“ wohl noch besser.

Einstellen oder besser einstellen?

Letztlich ist es eine Frage der Einstellung, ob Sie ein Verhalten einstellen wollen oder ob Sie Ihr Verhalten so einstellen, dass es passt. Im ersten Fall stellen Sie etwas ab, was sie nicht möchten, im zweiten Fall stellen sie es so ein, dass es passt. Machen wir es konkret: Mehr als 100 Firmen haben in den letzten Tagen ihre Werbung bei Facebook und Instagram eingestellt und boykottieren die Social-Media-Plattformen. Jetzt haben sich drei weitere Big-Player der US-Industrie der Aktion #StopHateforProfit angeschlossen: Der Software-Riese Microsoft, Automobilhersteller Ford und Getränkekonzern Pepsi haben sämtliche Werbebudgets bei Facebook und Instagram eingefroren. Der Protest richtet sich gegen das Unternehmen von Mark Zuckerberg, das in den Augen der teilnehmenden Firmen zu wenig gegen Hassbotschaften und Fake-News im Netz unternimmt. Die Boykotte brachten den Aktienkurs von Facebook ins Wanken, da das Unternehmen seine Erlöse zu 95 Prozent aus Werbeeinnahmen generiert. Konsequenz: Zuckerberg kündigt an, die Algorithmen für die Prüfung von Hassbotschaften und Fake-News anders einzustellen. Manchmal ändert eine Einstellung von etwas eben doch die Einstellung über etwas.

Anhaltendes Anhalten

Solange es keinen Impfstoff für Corona gibt, wird die Pandemie anhalten. Aber sobald der Durchbruch gelingt, könnten wir die Epidemie endlich anhalten. Zahlreiche Impfstoffkandidaten gingen diese Woche in die Testphasen. Als „Januswort“ bezeichnet man übrigens ein Wort mit mindestens zwei Bedeutungen, wobei eine Bedeutung das Gegenteil der anderen ist. Und im realen Leben wurde uns diese Woche wieder die Doppeldeutigkeit mit unterschiedlichen Richtungen vor Augen geführt: Da verabschieden die Russen in „freien“ Wahlen eine neue Verfassung, um den amtierenden Präsidenten Putin im Amt zu halten Oder in den USA will der dortige Präsident weniger auf Corona testen, denn dann gibt es weniger Neuinfektionen. Die Logik dabei ist doch bestechend einfach: Ich mache die Augen zu, dann sieht mich keiner. So haben sich auch meine Kinder verhalten, als sie zwei Jahre alt waren. Daher kommt wahrscheinlich auch die neue Liebe der Trump-Gegner zu folgenden Wahlkampfplakaten und Aufklebern: „ANY FUNCTIONING ADULT“ . Ja, man kann solche Meldungen auch ganz leicht einmal übersehen. Wer aber die Augen aufmacht, der kann das politische Kalkül vollständig übersehen. Oder heißt letzteres überblicken? Ich hoffe mein Durchblick diese Woche hat Ihnen die Sicht nicht versperrt.

Ihr Volker Schilling

ein Artikel von
Sonja Baer