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FRAUENQUOTE

Deutsche Unternehmen drücken sich vor Frauenquote

von Pauline Brinkmann

Frauenquote: Ein Wort, das vielen Männern Angst macht. Tatsächliche empfinde ich diese Regelung in Anbetracht der uns jahrelang anerzogenen Männerquote jedoch mehr als zeitgemäß. Mit Einführung dieser paritätischen Leitlinie war gleichwohl klar, dass auch in diesem Bereich wieder sämtliche Schlupflöcher ausfindig gemacht werden. Die Mäusejäger nennen sich in diesem Fall: Wirtschaftskanzleien.

Wie eine Studie des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ergab, umgehen tatsächlich immer mehr deutsche Unternehmen sowohl die Mitbestimmungsregelung als auch die Frauenquote. Unterstützt werden sie dabei sowohl von großen deutschen als auch internationalen Kanzleien, die sich eine europäische Rechtsform zunutze machen und im Internet mit einer mitbestimmungsfreien Unternehmensstruktur werben.

Doch wie ist das möglich? Schließlich gibt es in Deutschland gerade im Unternehmenskontext strikte gesetzliche Regelungen, die vor allem ArbeitnehmerInnen schützen sollen und ihnen ab einer bestimmten Betriebsgröße ein Mitbestimmungsrecht einräumen.

Das Schlupfloch nennt sich SE (Societas Europaea). Hierbei handelt es sich um eine auf dem europäischen Recht basierenden Rechtsform, die im Jahre 2001 durch den europäischen Gesetzgeber festgeschrieben wurde. Grundgedanke bei Einführung jener Rechtsform war es, der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Unternehmen sich im 21. Jahrhundert in einer sich immer weiter globalisierenden Welt zurechtfinden müssen. Es sollte Betrieben möglich gemacht werden, durch einheitliche Regelungen auf dem internationalen Wirtschaftsparkett standzuhalten, ohne gezwungen zu sein von Grenze zu Grenze neu zu denken. Nimmt sich ein Unternehmen dieser Rechtsform an, so unterliegt es was die Unternehmensstruktur angeht nicht mehr den deutschen Regelungen.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass diese Rechtsform zunehmend von größeren deutschen Mittelständlern und Familienunternehmen gewählt wird, die außerhalb Deutschlands in keinerlei Handelsbeziehungen stehen. So sind dieser Tage unter den deutschen SE-Unternehmen allein 45 familiengeführte Betriebe. Der europäische Gesetzgeber visierte ursprünglich jedoch eine Nutzung durch multinational tätige Großkonzerne an. Laut dem IMU-Experte Sebastian Sick entstammt die Mehrzahl der Mitbestimmungsverweigerer dem Gesundheitssektor, der Wohnungswirtschaft oder dem Personaldienstleistersektor.

Seit dem Jahr 2004 ist es in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaften möglich geworden, diese Rechtsform anzunehmen. Alles in allem gibt es in Deutschland momentan 424 SE-Unternehmen, darunter befinden sich 107 mit mehr als 2.000 Mitarbeitern. Aus der IMU-Studie geht außerdem hervor, dass vier von fünf dieser großen SE-Unternehmen, die paritätische Beteiligung im Aufsichtsrat vermeiden. Somit sind davon mit einer stets steigenden Tendenz aktuell mehr als 300.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betroffen.  

Seit der Dax-Erweiterung auf 40 Mitglieder sind 14 SE-Konzerne im wichtigsten deutschen Börsenindex vertreten. Nur vier davon, sprich: Allianz, BASF, E.ON und SAP haben noch einen paritätisch besetzen Aufsichtsrat.

Laut dem IMU-Experte Sick gehen die meisten Unternehmen diesen Schritt zur neuen Rechtsform, um die Mitbestimmung in den Aufsichtsräten zu umgehen. Im selben Zuge wird in der Regel auch die Anwendung der Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen ausgeschlossen.

Doch wie sehen die rechtlichen Hintergründe aus?

Grundsätzlich herrscht in Deutschland im Hinblick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen innerhalb eines Unternehmens das dualistische System vor. Dieses sieht, wie der Name schon vermuten lässt, eine aus zwei Organen bestehende Unternehmensstruktur vor, sprich: Den Vorstand und den Aufsichtsrat. Zudem ist es seitdem im Jahre 1976 eingeführten „Mitbestimmungsgesetz“ für deutsche Konzerne ab 501 respektive 2001 inländischen Mitarbeitern verpflichtend, den Aufsichtsrat zu einem Drittel, beziehungsweise zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen.  

Das dualistische System ermöglicht den Beschäftigten durch ihre Vertretung im Aufsichtsrat eine demokratische Teilhabe an Entscheidungen. Das ist gerade im Corporate Social Resposibility Kontext von entscheidender Bedeutung, wenn es um zukunftsgerichtete Beschlüsse zu Themen wie Nachhaltigkeit oder Parität geht. Bei der europäischen Aktiengesellschaft SE ist diese Regelung hingegen deutlich lascher ausgestaltet: Hier ist Mitbestimmung reine Verhandlungssache. Offenkundig wird dieser Prozess in der Regel zulasten der Beschäftigten entschieden, und zwar unabhängig davon, ob das Unternehmen perspektivisch weiterwächst oder nicht, so IMU-Experte Sick.

Grund dafür ist, dass die SE für Unternehmen, die diese Rechtsform angenommen haben, nur ein Organ vorsieht und das ist der Verwaltungsrat. Dadurch stellt die Unternehmensführung sicher, dass die von ihr getroffene Entscheidungen durchgesetzt werden können, ohne dass die Beschäftigten mit an den Verhandlungstisch geholt werden müssten. Im schlimmsten Fall bedeutet dies also eine Absage an Gleichberechtigung und faire Arbeitsbedingungen.

ein Artikel von
Pauline Brinkmann
Pauline studiert in Potsdam und Lausanne Rechtswissenschaften. Ihr besonderes Interesse gilt jedoch nicht Mietverträgen, sondern politischen und gesellschaftlichen Prozessen.