Läuft man durch unsere Bundeshauptstadt Berlin, so lebt jedes vierte Kind, dem man auf der Straße begegnet in Hartz 4. Das heißt: Jedes vierte Kind wird in Verhältnissen groß, in denen das Geld nur für den absoluten Grundbedarf reicht. Bildungsmittel wie Bücher, digitale Endgeräte oder gar so etwas wie Sprachreisen können durch die eigenen Eltern nicht finanziert werden. Abgesehen von dieser monetären Förderung, mangelt es hier zudem häufig an der ideellen Förderung im Rahmen der eigenen Familie. Grund dafür ist, dass in Deutschland die meisten in Armut lebenden Menschen schlechter qualifiziert sind und oftmals kein Universitätsabschluss haben.
Anhand der Armutsquote der unter 18-jährigen, welche als wesentlicher Indikator gilt, wenn es um Chancengerechtigkeit für Kinder geht, lässt sich beobachten, dass es den Kindern in unserem Land immer schlechter geht. So stieg diese zwischen 2006 und 2019 von 18,6 Prozent auf 20,5 (!) Prozent an. Im gleichen Zuge ist die Zahl der Privatschulen seit 1992/93 um ganze 80 % angestiegen. So besuchte im Schuljahr 2018/2019 jeder elfte Schüler eine Privatschule.
Was in der Schule beginnt, gestaltet sich in der Regel in späteren Lebensabschnitten nicht anders, so besuchen laut dem Hochschul-Bildungs-Report aus dem Jahre 2020, von 100 Grundschulkindern aus Akademiker Familien ganze 74 später die Universität, während es bei Nicht-Akademiker Kindern nur 21 sind. Ist das gerecht? Mit Sicherheit nicht. Doch was wurde diesbezüglich unternommen?
Müsste man der vergangenen Regierung ein Zeugnis im Fach Bildungsgerechtigkeit ausstellen, so würde es hierin wahrscheinlich heißen: „Sie hat sich stets bemüht“. Denn das Problem wurde erkannt, aber die ausgemachten Lösungen haben nicht gereicht. Ein Grund dafür war unter anderem, dass die innerhalb der Kultusministerkonferenz getroffenen Verabredungen in der Regel nur selten den Weg vom Konferenztisch vorbei an der Förderalismusschranke hin in die entsprechenden Landesbehörden schafften. Schuld daran sind unter anderem fehlende Sozialindexe in den einzelnen Ländern, sowie die klammen Haushaltskassen der verschiedenen Kommunen. Die Probleme, die es innerhalb der Bundesländer auf die politische Agenda schafften, wurden zudem, ähnlich wie wir dies aus Coronazeiten kennen, regelmäßig mit dem sogenannten Gießkannenprinzip angegangen. Infolgedessen werden allerdings lediglich die Symptome und nicht die Ursachen behandelt, wovon nur einige wenige profitierten und nicht die betroffene Gruppe als Ganze.
Doch was halten die Kinder selbst von dem aktuellen Bildungssystem?
Dazu soll eine am vergangenen Donnerstag vorgestellte Umfrage der „Initiative Tag der Bildung“ Aufschluss geben. Hierbei handelt es sich um eine von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, dem Stifterverband und den SOS-Kinderdörfern in Auftrag gegebenen Forsa-Umfrage.
Erschütternd ist, dass mit 59 Prozent (!) die Mehrheit der befragten 14- bis 21-Jährigen nicht daran glaubt, dass in Deutschland alle Kinder im Großen und Ganzen unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Herkunft die gleichen Chancen auf eine gute Bildung haben. Das ist der höchste Wert seit der ersten Befragung vor sechs Jahren. Im Jahre 2018 waren immerhin noch 51 Prozent von der Chancengleichheit in Deutschland überzeugt, seit dem stieg die Zahl der Zweifler allerdings kontinuierlich an.
Doch was sind die maßgeblichen Kriterien der Jugendlichen, wenn es um die Bewertung unseres Bildungssystems geht?
Für 92 Prozent der Befragten ist die Qualität der Schule von essenzieller Bedeutung, für 90 Prozent ist es die Zuwendung, wie auch die Unterstützung der Eltern und für 86 Prozent ist es die eigene Motivation.
Und welche Rolle spielt der soziokulturelle Hintergrund im Hinblick auf Chancengleichheit?
Etwa 51 Prozent der Befragten glauben, dass der kulturelle Hintergrund der Erziehungsberechtigten einen großen Einfluss auf die Bildungschancen der Kinder hat. Das sind ganze 20 Prozentpunkte mehr als noch im Jahr 2016. So beklagte in anderem Rahmen auch Havva Engin, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Leiterin des Heidelberger Zentrums für Migrationsforschung und Transkulturelle Pädagogik, dass in Deutschland der sozioökonomische Hintergrund und der Bildungserfolg noch immer stärker als in anderen Ländern korrelieren.
Der Grund dafür liegt ihrer Ansicht nach darin, dass es gerade in der Pandemie in den Sammelunterkünften für Geflüchtete zum Beispiel oft kein funktionierendes WLAN gab. Die dort lebenden Kinder, hatten dann keine Möglichkeit, das Lernportal der Schule zu erreichen oder an dem Onlineunterricht teilzunehmen. Außerdem hätten sie die notwendigen Lernmaterialien oft nur dann bekommen, wenn die Lehrer ihnen die ausgedruckten Unterlagen eigens in die Unterkunft gebracht haben.
Welche Auswirkungen hatte Corona im Hinblick auf das Bildungssystem?
Bei all der Nachteile, die diese Pandemie vor allem für das Bildungswesen mit sich brachte, lässt sich ein wesentlicher Vorteil ausmachen: Das Thema der Bildungs- und Chancengerechtigkeit ist endlich wieder auf der politischen Agenda angekommen.
Doch der Weg dahin war steinig, denn in den letzten zwei Jahren mussten vor allem sozial benachteiligte Kinder als Versuchskaninchen einer noch in den Kinderschuhen steckenden digitalen Bildungspolitik hinhalten. Auf die Bedienung der Lernportale wurden sie im Vorhinein nicht hinreichend vorbereitet, zudem hatten viele Kinder nicht die notwendigen Lernmittel zu Hause. Dementsprechend waren die Schüler und Schülerinnen hier erneut auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen und diese scheiterte in sozialschwächeren Familien häufig schon an Sprachbarrieren oder der mangelnden Expertise im digitalen Bereich. So kommt es, dass Deutschland laut einer aktuellen Studie der Lernplattform Preply zum Thema „erfolgreiches E-Learning und digitale Bildung“, im internationalen Vergleich mit 32 OECD-Ländern dieses Jahr von Rang 13 (2020) auf Rang 18 (!) rutschte.
Zu den Kriterien zählten hier etwa die Anzahl der Fernstudiengänge, die Ausgaben für Bildungsmittel, Zugänge zu Computern, die Breitband- und mobile Internetgeschwindigkeit, sowie der durchschnittliche Lohn für eine Nachhilfestunde. Fraglich bleibt, wie dies trotz des Anfang 2019 von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Digitalpakts Schule mit Fördermitteln in Höhe von 6,5 Milliarden Euro passieren konnte? Doch darauf gibt es wie so häufig in Deutschland nur eine Antwort: übermäßige Bürokratie. Denn aktueller Erhebung zur Folge, ist im Jahre 2021, wohlgemerkt zwei Jahre später, erst ein Achtel der Fördersumme an die richtigen Stellen geflossen. Es bleibt zu hoffen, dass die Ampel mit ihrem geplanten Digitalpakt 2.0 dafür Sorge tragen wird, dass die Mittel zeitnah ankommen. Denn wie schon John F. Kennedy sagte: „Es gibt nur eins was auf Dauer teurer ist als Bildung: keine Bildung.“
Somit sollte unsere Politik, wenn nicht schon aus Empathie gegenüber den leidtragenden Kindern, dann aus Verantwortung gegenüber der Gesellschaft als Ganzes, schleunigst für mehr Chancengleichheit Sorge tragen. Was bei all dieser ungleichen Chancenverteilung jedoch Mut macht ist, dass laut der oben angeführten Studie trotz breiter Skepsis im Hinblick auf die Chancengleichheit, mit 86 Prozent die große Mehrheit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen positiv, beziehungsweise eher positiv in ihre berufliche Zukunft blickt. Dieser Optimismus ist wichtig, wenn es um die Eigenmotivation geht, gleichermaßen steht fest, dass auch der größte Ehrgeiz keine fehlenden Lernmittel herbeizaubern kann.
Wagen wir zum Schluss einen Blick in die Zukunft. Was wird sich künftig ändern? Respektive was soll sich ändern, wenn es nach der neuen Regierung geht?
Der zukünftige Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages ein Novum was es bis dato in dieser Form nicht gab: die Kindergrundsicherung. In diesem Modell werden für Geringverdiener verschiedene Leistungen gebündelt wie der Kinderfreibetrag in der Steuer, das Kindergeld und der Kinderzuschlag. Damit soll garantiert werden, dass sozialschwache Kinder immer das Nötigste haben. Doch fraglich bleibt, auf welcher gesetzlichen Grundlage die angekündigten Vorhaben umgesetzt werden sollen. Denn Fakt ist: Der Bund kann im Bereich Bildung ohne Grundgesetzänderung nicht genügend aktiv werden. Erforderlich wäre mit Blick auf die Zukunft zudem eine Zentralisierung der Verwaltung im Einklang mit dem Gedanken der Subsidiarität.
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Eine völlige Bildungsgleichheit ist höchstwahrscheinlich nicht umzusetzen, nichtsdestotrotz wäre es wünschenswert, diese zumindest ansatzweise anzustreben. Denn eine Verfestigung bestehender Strukturen hat nicht nur zur Folge, dass wir eine Ungleichbehandlung vornehmen, die die trifft, die am wenigsten dagegen unternehmen können, sondern hat darüber hinaus auch weitere Auswirkungen zur Konsequenz wie Politikverdrossenheit, gesellschaftliche Konflikte und die Missachtung kluger Köpfe, die unser Land in Wirtschaft und Wissenschaft zukünftig vorantreiben könnten.