Der Schein meines Lebens

Das kleine bisschen Freiheit

von Jonas Rüffer

Im Laufe unseres Lebens bekommen wir diesen einen Schein, diesen bestimmten Betrag. Den uns jemand schenkt, den wir finden, gewinnen oder den wir jemandem abluchsen – und: an den wir uns für immer erinnern, weil er uns gerettet, berührt oder beschämt hat. Hier erzählen regelmäßig Menschen die Geschichte vom Schein ihres Lebens. Heute: Wie Fotografin Birgit Goldberg (58) im Sommer 1977 mit dem selbst verdienten Führerschein in Richtung Unabhängigkeit brauste.

Es war der Sommer 1977. Ich war 17 Jahre alt. Wie für die meisten Mädchen und Jungs in dem Alter und zu jener Zeit war auch für mich die Bedeutung des „Lappens“ unglaublich groß. Damit verband man Unabhängigkeit, Reife und Freiheit. Auch ich wollte dieses bedeutungsvolle Papier, das mir die offizielle Erlaubnis geben würde, mit dem Wagen der Eltern zu fahren. Außerdem wollte ich neben dem Führerschein für Pkw, damals Klasse 3, noch den Führerschein für Motorrad machen, damals Klasse 1. Kostenpunkt dafür waren 1200 D-Mark. Meine Eltern hatten mir leider schnell vermittelt, dass ich von ihnen keine finanzielle Unterstützung zu erwarten bräuchte. Ich musste also selber an das Geld kommen. Da ich allerdings noch die Schule besuchte, mussten die näherrückenden und knapp bemessenen Sommerferien effizient genutzt werden – mit Arbeit.

Schuften in Phantasien

Unweit meines damaligen Heimatortes war das Phantasialand in Brühl bei Bonn. Ein riesiger Freizeitpark in der Rhein-Gegend. Achterbahnen, Würstchenbude und Schießstände ließen manche Herzen höher schlagen. Dort, so hörte ich, wurden auch Ferienjobs vergeben – und nach erfolgreicher Bewerbung hatte ich den ersten Job meines Leben. Vier Wochen würde ich mich nun an der Station „Alt-Berlin” verdingen, einem Restaurant mit Außengastronomie: Pommes Frites, Currywurst, Cola. Für den Stundenlohn von 7,50 DM briet ich Würstchen, frittierte Pommes, verkaufte sie rot-weiß und dazu ein kühles Getränk. Nach acht Stunden im Grill-Dunst ging ich jeden Abend mit Freude über das verdiente Geld nach Hause. Nach vier Wochen hatte ich rund 1200 D-Mark angespart. Mein Führerschein war gesichert.

Der (Führer-)Schein meines Lebens

Den 1200-D-Mark-Schein gibt es zwar nicht, aber ich opferte für diesen imaginären Schein, von dem ich mir ein Stückchen versprach, gern meine schönste Zeit des Jahres. Er ist mir auch deshalb so im Gedächtnis haften geblieben, weil die Summe für mich als Schülerin unvorstellbar war, weil ich mir meinen Führerschein komplett alleine finanzierte und mich das ungeheuer stolz machte. Kein Sponsoring von den Eltern, sondern ganz allein mit meiner Hände Arbeit erwirtschaftet. Die Wertigkeit dieses teuer erarbeiteten Führerscheins war und ist übrigens sehr nachhaltig: Bis heute musste ich dieses Dokument noch nie abgeben!

ein Artikel von
Jonas Rüffer
Jonas Rüffer (Jahrgang 1991), ist seit Februar Teammitglied der Zasterredaktion. Vorher hat er seinen Master in Politik abgeschlossen. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Servicethemen wie Kryptowährungen oder Geld- und Finanzpolitik.