2021

Capitol, Dax & Bitcoin: Mit Sturm und Drang ins neue Jahr

von Marcus Lucas

Unser Kolumnist Volker Schilling über die derzeitigen Allzeithochs an den Börsen und die Prognosen für 2021.

Sturm im Wasserglas

Seit über 25 Jahren bin ich jetzt im Fondsgeschäft, und genauso lange verfolgt mich die jährlich wiederkehrende Lust der Branche, in die Glaskugel zu blicken. Regelmäßig zu Jahresbeginn startet die Rallye der Jahresausblickpropheten. Dieses Jahr ist mir dabei eine neue Berufsbezeichnung aufgefallen. Neben den schon inflationsartigen Daueroptimisten gibt es inzwischen auch die Gattung der Krisenanalysten. Letztere wollen dem Begriff Crashprophet aus dem Wege gehen und nennen sich daher lieber Analyst. Aber egal ob Auguren, Propheten, Volkswirte oder Analysten, stets liegt die Mehrheit daneben, und nur wenige haben am Jahresende recht. Diese gelten dann als neue Gurus und verlieren ihren Glanz im Zuge weiterer Prognosen. Eine weitere Auffälligkeit des alljährlichen Schaulaufens der Hellseher ist die inzwischen floskelartige Formulierung der Aussagen, die im Nachhinein, dann noch jeden Interpretationsspielraum offenlassen oder von so abstrakter Belanglosigkeit sind, dass sie eigentlich grundsätzlich immer gelten. Beispiel gefällig? „Das kommende Jahr birgt viele Unsicherheiten und wird daher von steigender Volatilität begleitet sein.“ Stellt sich die Frage, wann genau ein neues Jahr keine Unsicherheiten hatte und ohne Volatilität auskam? Solche „Bullshit“-Formulierungen finden sich in den Jahresausblicken zu Hauf. Trotzdem habe ich die meisten gelesen und versucht abseits dieser Formulierungen neues zu entdecken. Doch Fehlanzeige: Das meiste ist so nichtssagend wie ein Sturm im Wasserglas, allerdings fällt eine gefährliche Gemeinsamkeit auf. Die Prognosen konzentrieren sich in den meisten Fällen nur noch auf einen entscheidenden Faktor: Wieviel Liquidität werden die Zentralbanken weiter den Märkten zuführen? Die ausschließliche Ausrichtung auf diesen Faktor ist die Lernkurve der letzten 10 Jahre. Egal ob Unternehmen Gewinnwachstum haben (2019) oder nicht (2020), egal ob Unternehmen überhaupt Gewinne machen, egal ob es einen Lockdown oder ob es Überschuldungen gibt, die Börsenkurse steigen und steigen. Die einzige Kurve, die noch eine Korrelation mit den Börsenkursen aufweist, ist die Kurve der Notenbankbilanzen. Je mehr Geld die Notenbanken zur Verfügung stellen, desto höher steigen die Aktienkurse. Ist es nicht wunderbar, dass wir endlich eine ganz einfache Börsenregel gefunden haben, um daraus Prognosen abzuleiten?

Sturm aufs Kapitol

Darüber dürfte inzwischen alles gesendet und gesagt sein. Wahrscheinlich noch nicht von jedem, weshalb die Berichterstattung anhalten wird. Wer dachte, 2020 war ein verrücktes Jahr, der erlebt gleich zum Jahresstart 2021 sein blaues Wunder. Für mich interessant sind die Reaktionen der US-Börsen an diesem Tag. Anders als die Medien, haben die Börsianer diesem Ereignis keine Bedeutung beigemessen und schoben die Aktienmärkte bereits zum Jahresstart auf neue Allzeithochs. Und mit zeitlichem Nachlauf erreichte auch der Deutsche Aktienindex in dieser Woche sein neues Allzeithoch bei 14.000 Punkten. Die Börse sieht die Demokratie nicht in Gefahr, weshalb sie weiter auf die Liquidität der Anleger vertraut, und die kennt im Moment nur eine Richtung: Rein in den Markt! Solch ein Momentum ist stark an der Börse, weshalb ich davon ausgehe, dass die Euphorie bis März dieses Jahres anhält. Anders als bei diesem Spiel:

Sturm und Drang

Die Epoche des Sturm und Drang war geprägt von einer leidenschaftlichen, oft tragischen Hinwendung zur Leidenschaft und Heldentum. So wie die Investoren des Bitcoins, der in dieser Woche die 40.000 Dollar-Marke erreichte und damit abhebt. Kabale und Liebe sind die bestimmenden Faktoren dieses Hypes und enden womöglich in den Leiden des jungen Investors. Oder wie der wohl bekannteste Vertreter des Sturm und Drang, Johann Wolfgang von Goethe, formulieren würde: „Es irrt der Mensch solang er strebt!“

Ihr Volker Schilling

ein Artikel von
Marcus Lucas