Cum-Ex und Cum-Cum: Hört sich eher schlüpfrig als nach dem größten Steuerbetrug aller Zeiten an. Tatsächlich beläuft sich der finanzielle Schaden durch den so genannten „cum-ex“-Steuerskandal nach Informationen von Reuters, ARD, Die Zeit und mehreren anderen Nachrichtenmagazinen auf unfassbare 55,2 Milliarden Euro. Vor allem Deutschland ist betroffen, allein hier beläuft sich der geschätzte Schaden auf 31,8 Milliarden Euro. In den kürzlich veröffentlichten Berichten heißt es, dass aber mindestens zehn weitere europäische Länder von den Steuerbetrugspraktiken betroffen sind. „Das ist der größte Steuerraub in der Geschichte Europas“, so der Steuerexperte Christoph Spengel von der Universität Mannheim.
„Steueroptimierung“ auf Kosten der Allgemeinheit
Der Skandal wurde 2016 aufgedeckt, als sich herausstellte, dass mehrere deutsche Banken eine Gesetzeslücke ausgenutzt hatten, die es zwei Parteien erlaubte, gleichzeitig den Besitz derselben Aktien zu beanspruchen. Dieser künstliche „Doppelbesitz“ erlaubte es beiden Parteien, Steuervergünstigungen geltend zu machen, obwohl beide keinen Anspruch darauf hatten. Weil dieses Vorgehen jahrelang unentdeckt blieb, gingen dem deutschen Staat die besagten Milliarden Euro durch die Lappen.
Staat pennt seit Jahrzehnten
Öffentliche Ermittler untersuchten erst in den letzten zwei Jahren diverse Banken wegen der unbezahlten Steuern. In den Jahrzehnten davor konnten die Banken und ihre Kunden unbehelligt abkassieren. Im Endeffekt wurde die Steuerlücke erst 2016 geschlossen. Denn lange waren sich deutsche Gerichte uneinig, ob diese speziellen „Leerverkäufe“, also die kurzfristige Ausleihe von Aktien zur Täuschung von Steuerbehörden, jemals legal waren oder nicht. Ein deutsches Landgericht entschied dann im Februar 2016, dass für diese Praxis nie eine Rechtsgrundlage vorhanden war. Verdeckte Recherchen nähren aber den Verdacht, dass die Geschäfte zulasten der europäischen Steuerzahler bis heute munter weitergehen.
Schlechter Informationsaustausch der Behörden
Ein weiterer Skandal: Die Untersuchungen der Nachrichtenmagazine deuten darauf hin, dass der Schaden viel geringer gewesen wäre, wenn ein umfassenderer Informationsaustausch über Steuerbetrug zwischen verschiedenen europäischen Regierungen stattgefunden hätte. So soll Deutschland seine europäischen Nachbarn erst 2015 über die Cum-Ex-Transaktionen informiert haben, obwohl das Finanzministerium dies spätestens seit 2002 wusste. Pierre Moscovici, der für Wirtschaft und Finanzen zuständige EU-Kommissar, twitterte als Reaktion auf die Untersuchung, dass die europäischen Steuerbehörden mehr Informationen austauschen und die Transparenz verbessern sollten. „Wenn die Fantasie der Betrüger grenzenlos ist, ist meine Entschlossenheit auch so!“, so Moscovici.
Legal, illegal, scheißegal
Nach Angaben der Kölner Staatsanwaltschaft steckte hinter dem Steuerbetrug unter anderem der ehemalige deutsche Steuerinspektor Hanno Berger. Der jetzt Hauptverdächtige lebt nun im Exil in den Schweizer Alpen. Er behauptet, dass das System auf einer legitimen Gesetzeslücke basierte. „Der deutsche Staat könne andere nicht für ihre Fehler bestrafen“, so seine Auffassung. Viele Banken waschen ihre Hände ebenfalls in Unschuld. Ein Sprecher der in den Skandal verwickelten Macqaurie-Bank äußerte, dass die Bank glaubte, dass der Prozess, an dem sie beteiligt war, vollkommen legal war. Ein Sprecher der Deutschen Bank sagte, dass sie nicht an einem „organisierten Cum-Ex-Markt“ teilgenommen habe, sondern dass sie lediglich „an einigen der Cum-Ex-Transaktionen ihrer Kunden beteiligt war“. Ähnlich äußerte sich auch die Santander-Bank, der jüngste große Kreditgeber, dessen Beteiligung nun ans Licht kann.
Kriminelle in Nadelstreifen
Der Fall zeigt erneut die unglaublich kriminelle Energie der Finanzbranche. Ein Heer bestens bezahlter Wirtschaftsanwälte konstruiert immer wieder komplexe Finanzkonstrukte mit dem Ziel, den Staat und die Steuerzahler zu betrügen. Ermittler und Richter blicken kaum noch durch, Verurteilungen sind aufgrund von Gesetzeslücken oft nicht möglich. Bleibt zu hoffen, dass zumindest die Hintermänner des Cum-Ex-Skandals ihre gerechte Strafe erhalten.