1. Warum bist Du nach Bali gegangen und was hält Dich dort?
Das könnte man fast als „Unfall“ bezeichnen, da es doch sehr überraschend kam. Meine aus Indonesien stammende Frau und Ich adoptierten hier unseren Sohn, der aus der Familie kommt und unser leiblicher Neffe ist. Ursprünglich dachten wir, dass wir nur drei bis vier Monate vor Ort sein müssen und ihn dann nach Deutschland mitnehmen können. Erst als wir unseren neugeborenen Sohn schon in den Armen hielten, erfuhren wir, dass wir als Ausländer (meine Frau hat inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft) mindestens zwei Jahre bleiben müssen. Und das, obwohl wir das ganze natürlich nicht spontan gemacht haben, sondern monatelang geplant und mit allen Behörden gesprochen hatten…
Das war im Oktober 2018. Eigentlich dachten wir, der Prozess wäre Ende 2020 abgeschlossen – aber dann kam Corona. Aktuell gehen wir davon aus, dass wir mindestens drei Jahre voll machen werden und vermutlich auch noch länger bleiben.
Da ich zu 100 Prozent in Deutschland arbeite, dort Teilhaber einer Content-Marketing-Agentur bin, bin ich anfangs noch regelmäßig nach Deutschland gependelt. Durch die Corona-Pandemie war das jedoch nicht mehr möglich. Nun sitze ich im Homeoffice auf Bali und hoffe, dass die Pandemie bald vorüber ist und ich auch wieder in Deutschland arbeiten und Kunden besuchen kann.
Was uns außer der Pandemie hier hält? Ein fantastisches Kind natürlich, das uns jeden Tag beweist, dass es alle Mühen und Unsicherheiten wert ist und mit dem wir bis zur Rechtskräftigkeit der Adoption das Land nicht verlassen dürfen. Aber auch ein faszinierendes Land voller Naturwunder, hoher Lebensqualität und liebenswerten Menschen. Ich sage immer: Es gibt Schlimmeres, als während der Pandemie auf einer einsamen Insel gestrandet zu sein.
2. Was können die Deutschen von den Balinesen lernen? Und möglicherweise andersherum?
Gelassenheit und Freundlichkeit. Das können wir definitiv von den Indonesiern und speziell den Balinesen lernen. Auch wenn es den Menschen hier schlecht geht und sie insbesondere jetzt im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben kämpfen müssen, gehen sie doch mit einem Lächeln und positiv durchs Leben. Obwohl ich das Land seit rund 20 Jahren kenne, bin ich doch überrascht, mit welcher Gelassenheit die Menschen in diesem schwer von Corona getroffenem Land durchs Leben gehen – oder zumindest habe ich den Eindruck, dass es so ist.
Das andere sage ich als frisch gebackener Vater: Kinderfreundlichkeit. Während man in Deutschland immer den Eindruck hat, dass Kinder eher ein störender Faktor sind und im Restaurant, Zug oder Flugzeug irgendwie immer ein Ärgernis für alle Anwesenden zu sein scheinen, sind sie hier überall der Mittelpunkt. Indonesier lieben Kinder. Und nirgendwo würde ein Kind als Ärgernis empfunden, sondern immer als große Bereicherung.
Was die Indonesier von uns lernen könnten? Da bin ich typisch deutsch: Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit bei allen Vereinbarungen und ein gewisses Arbeitsethos.
3. Welche 3 Tipps würdest du einem Deutschen geben, der auch nach Bali auswandern will?
Erstens: Lege Deine Arroganz ab und lasse Dich auf das Land und die Leute ein. Auch wenn wir uns selbst für weltoffen und tolerant halten, sind wir Deutschen viel zu oft in „deutschen“ Denkmustern verhaftet. Da geht es mir gar nicht anders. Ich muss mich selbst sehr oft daran erinnern, nicht zu Deutsch zu sein und nicht zu viele deutsch-westliche Sichtweisen einzunehmen.
Man lebt hier in einer anderen Kultur und sollte diese akzeptieren. Damit meine ich noch nicht einmal eine vollständige Integration, die wir Deutschen immer von in Deutschland lebenden Migranten fordern. Aber Respekt, Rücksicht und Wertschätzung für alles, was einem hier fremd ist, sollte dazugehören,
Zweitens: Lerne die Sprache. Ich kenne hier viele westliche Ausländer, die seit Jahren auf der Insel leben und nicht einmal einen Grundwortschatz haben. Man kommt auf Bali halt mit Englisch sehr gut durch. Aber zumindest etwas Indonesisch oder sogar Balinesisch, das eine eigene Sprache ist, öffnet ganz neue Horizonte. Ich selbst spreche leider noch viel zu schlecht Indonesisch, da es natürlich bequem ist, wenn meine Frau als Muttersprachlerin alle Verhandlungen führt und wir zuhause Deutsch sprechen. Aber es ist wirklich schön, welche positiven Reaktionen man erhält, wenn die Einheimischen merken, dass man sich als Westler zumindest bemüht, die Sprache zu sprechen.
Drittens: Blicke hinter die Kulissen. Viele Westler haben selbst nach Jahren ein sehr verschobenes Bild von Bali, welches sehr an „Eat Pray Love” erinnert, aber wenig mit der Realität zu tun hat. Sie leben in einer echten Blase, die zu einer völlig verzerrten Wahrnehmung, der Insel und ihrer Gesellschaft führt.
Das liegt auch daran, dass wir als westliche Ausländer hier eine Art positiven Rassismus erleben. Unabhängig von Hautfarbe oder Geschlecht: Als Westler wird man hier überall extrem zuvorkommend behandelt. Man ist eben Gast und hat meistens mehr Geld zur Verfügung als die lokale Bevölkerung, die von der Hand in den Mund lebt. Diese Art des Umgangs führt dann wieder zu der in Punkt 1 erwähnten Arroganz und zu einer Abkopplung von der Realität.
4. Wie teuer ist das Leben auf Bali im Vergleich zu Deutschland?
Das kommt auf den Lebensstandard an, den man haben möchte. Grundsätzlich sind Mieten und viele Dinge des täglichen Bedarfs, insbesondere Nahrungsmittel und Essen, jedoch deutlich günstiger als in Deutschland. Ein gutes Mittagessen in einem lokalen Warung (Anmerkung der Redaktion: kleiner Straßen-Verkaufsstand für Nahrungsmittel auf Rädern) kostet vielleicht zwei oder drei Euro.
Schon mit wenigen hundert Euro im Monat kann man hier sehr gut leben. Aber natürlich ist für einen „Bule“, wie wir hier genannt werden, alles ein bisschen teurer als für die Balinesen. Die speziell auf internationale Kundschaft ausgerichteten Hotels und Restaurants haben meistens westliche Preise und sind für die meisten Einheimischen unerschwinglich.
5. Krankenversicherung, Steuern, Rentenversicherung? Wie wird das auf Bali gehandhabt?
Wenn man als Ausländer bei einer indonesischen Firma angestellt ist oder selbst eine Firma betreibt, muss man natürlich ganz normal Steuern zahlen. Es gibt allerdings auch ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland.
Da eine gute gesundheitliche Versorgung und ein Krankenhausaufenthalt hier sehr, sehr teuer sein kann und oft auch selbst bei schweren Unfällen und Krankheiten Vorkasse verlangt wird, empfiehlt sich eine private Krankenversicherung mit einem gewissen Standard. Es gibt zwar eine staatliche Krankenversicherung, die aber nur eine Grundversorgung abdeckt.
Als brave Deutsche haben wir unsere Familie bei der Allianz krankenversichert. Ich würde auch eine zusätzliche, private Rentenversicherung bei einem deutschen Anbieter empfehlen.
6. Welchen geheimen Spartipp hast Du für das Leben auf Bali entdeckt?
Esse dort, wo die Locals essen. Und kaufe dort ein, wo die Locals einkaufen. In den hippen Boutiquen in Canggu kann ein Kleid schonmal den Monatsverdienst eines Balinesen kosten. Ebenfalls wichtig, wie in allen asiatischen Ländern: Niemals den ersten Preis akzeptieren. Immer handeln! Das sollte aber kein Geheimnis sein…
7. Welches Produkt ist auf Bali besonders teuer und welches Produkt sehr günstig?
Grundsätzlich sind alle importierten Güter teuer, und alles was als Luxusgut gilt. Dazu gehören zum Beispiel Autos ab 1.5 Liter Hubraum. Hier kann man für gebrauchte Wagen deutlich mehr zahlen als für die gleichen Modelle in Deutschland.
Günstig ist das Essen, das Wohnen und selbst Übernachtungen in Luxushotels sind aus deutscher Sicht erschwinglich. Viele lokal produzierte Produkte wie zum Beispiel Schnitzereien, Kunsthandwerk und Stoffe sind natürlich ebenfalls deutlich günstiger als in Deutschland.
Alkoholische Getränke sind im hinduistischen Bali fast überall erhältlich, aber oft teurer als in Deutschland. Da Indonesien ein muslimisches Land ist, sollte man sich jedoch darauf einstellen, dass es außerhalb Balis schwer wird, ein Bier zu bekommen.
8. Hast Du einen Tipp für die Jobsuche für Einwanderer auf Bali?
Ja. Seid nicht so naiv zu glauben, dass das einfach wäre. Jobs für Ausländer sind recht selten und schwer zu erhalten. Man muss schon ein besonderer Spezialist oder Expertin sein und eine Tätigkeit ausüben, die nicht von einem Indonesier ausgeübt werden kann, um einen Job und die damit verbundene Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Auch ein eigenes Business zu eröffnen, ist sehr, sehr schwierig und teuer.
Viele digitale Nomaden oder sogenannte Expats schummeln sich mit Touristen-Visas oder sogenannten Social Visas durch, mit denen sie bis zu sechs Monate im Land bleiben können. Danach wird ein Visa Run fällig, bei dem man kurz das Land verlässt und dann wieder einreist.
Das ist eine extreme Grauzone, die bisher weitestgehend toleriert wurde. Wenn die indonesischen Behörden aber bemerken, dass ein Ausländer ohne korrekte Papiere in Indonesien arbeitet – zum Beispiel als Surf- oder Tauchlehrer – und indonesischen Arbeitnehmern den Job wegnimmt, können sie sehr hart reagieren und die entsprechenden Ausländer deportieren.
Das gilt auch, wenn es ein Influencer übertreibt und Dinge postet, mit denen sie oder er die Gefühle der Balinesen beleidigen. Hier gilt wieder das Thema: Respekt vor der Kultur und den Gefühlen der Menschen vor Ort.
9. Wie sieht dein neuer Alltag auf Bali aus? Was hat sich hier am meisten zum alten Leben verändert?
Da ich ja nach wie vor in Deutschland ausschließlich für deutsche Kunden arbeite, aber eben aktuell zwangsweise aus dem Homeoffice auf Bali, ist mein Alltag vom Zeitunterschied bestimmt. In der Winterzeit sind wir sieben Stunden voraus, in der Sommerzeit sechs. Das heißt, ich versuche möglichst lang zu schlafen, verbringe dann Zeit mit unserem Sohn und gehe dann gegen Mittag an meinen Computer, und dort dann oft bis weit nach Mitternacht zu arbeiten. Ich arbeite aktuell fast mehr als früher und habe eigentlich immer ein bisschen Jetlag.
Zusätzlich habe ich zusammen mit Sarah Elsser und Sascha Pallenberg den STBNHCKR Livestream und Podcast zum Thema Homeoffice und digitale Transformation ins Leben gerufen. Sascha und ich streamen regelmäßig aus Taiwan und Bali.
Was unser generelles Leben auf Bali angeht: Wir führen jetzt nicht das Bilderbuch-Fantasieleben zwischen Yoga, Surfen und Meditation mitten im Dschungel oder zwischen Reisfeldern, welches man sich vielleicht in Deutschland vorstellen mag und der Traum so mancher Aussteiger ist. Eigentlich ist unser Familienleben gar nicht so anders als in Deutschland.
Was sich verändert hat, sind die Rahmenbedingungen außen herum. Woran ich mich wirklich gewöhnen musste: In Indonesien ist es völlig selbstverständlich, Hauspersonal zu haben, das einen viele alltägliche Arbeit wie zum Beispiel Kochen, Putzen und die Gartenarbeit abnimmt. Viele haben auch einen eigenen Fahrer. Außerdem könnte ich mir in Deutschland niemals einen eigenen Pool leisten, den man dann natürlich bei konstant um die 30 Grad auch noch 365 Tage im Jahr nutzen kann.
In der Vor-Corona-Zeit hatten wir auch fast jeden Monat Besuch aus Deutschland und haben alle Touristen-Hotspots abgeklappert. Auch jetzt, während der Corona-Krise, versuchen wir so viel wie möglich von Bali zu sehen und dadurch den Menschen, die durch das Fehlen der Touristen gerade extrem leiden, etwas Einkommen zu verschaffen. Das heißt für mich auch: Sind wir in München am Wochenende vielleicht zum Wandern in die Berge gefahren, geht es jetzt zum Schnorcheln oder Tauchen.
10. Welche Rolle spielt Geld in der Gesellschaft auf Bali? Was würdest Du sagen?
In einer Gesellschaft, in der der Staat kaum hilft oder kaum helfen kann, spielt Geld natürlich eine sehr wichtige Rolle. Es ist aber lange nicht so wichtig wie die Familie und übrigens auch die Religion. Was auffällt, ist das riesige Gefälle zwischen ultrareichen Indonesiern, die hier auf Bali sogar Ferrari und Porsche fahren und den vielen Menschen, die hier am oder unter dem Existenzminimum leben.
Viele Indonesier arbeiten auf Tagelöhner-Basis für maximal 10 Euro am Tag. Der gesetzlich vorgeschriebene Mindestlohn beträgt etwa 150 Euro im Monat. Eine Lehrerin verdient rund 400 Euro im Monat.
Deshalb ist hier der familiäre Zusammenhalt so wichtig und dass die Reichen möglichst vielen Familien Arbeit und auch Essen geben. Dieser Gedanke hat mich auch mit dem etwas merkwürdigen Gedanken versöhnt, plötzlich Hausangestellte zu haben: Wir geben Menschen Lohn und Brot, die sonst vielleicht gar nicht wüssten, wie sie ihren Kindern etwas zu Essen kaufen sollten.