Wie ein Traditionsklub unter der 50+1-Regel leidet

15. Mai 2004. 89. Spielminute. 1860-Stürmer Francis Kioyo legt sich den Ball zum Elfmeter zurecht. Trifft er, bleiben die Löwen in der Fußball-Bundesliga. Verschießt er, dann muss sein Verein den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Ein Herzschlagfinale.

Und: Kioyo verschießt! Was in diesen Frühlingstagen vermutlich noch kein hellblau-gekleideter Anhänger des Traditionsclubs ahnt: Es ist der Beginn einer 20-jährigen Odyssee, die den Münchener Club zeitweise bis in die Regionalliga führt.

Die kapitalen finanziellen Fehler der Löwen

Angekommen in der Zweitklassigkeit gab es zunächst eine große Bürde: Die Einnahmen wurden merklich kleiner, aber die Kosten blieben hoch. Einerseits, um weil die Verantwortlichen einen konkurrenzfähigen Kader für den Wiederaufstieg zusammenstellen wollte. Andererseits, weil 1860 die Miete in der damals gerade eröffneten Allianz-Arena aufbringen musste.

Die Löwen waren damals zu 50 Prozent an der Stadiongesellschaft beteiligt, doch verkauften die Anteile aufgrund des großen finanziellen Drucks für nur 11 Millionen Euro an den FC Bayern. Ein Spottpreis, der jedoch das wirtschaftliche Überleben sicherte.

Die Mission Wiederaufstieg wurde in der Spielzeit 2004/05 unter Trainer Rainer Maurer auf Platz 4 knapp verfehlt. Der sportliche Substanzverlust vergrößerte sich in den Folgejahren durch weitere kapitale Fehler: So wurden die besten Talente des traditionell sehr guten Löwen-Nachwuchses für Mini-Summen verkauft.  Einige prominente Beispiele sind die Abgänge der späteren Nationalspieler Sven Bender für 1,5 Millionen Euro, Lars Bender für 2,5 Millionen Euro oder Marcel Schäfer für 1,2 Millionen Euro.

Die verrückte Doppelmoral im Umgang mit dem Investor

Man wirtschaftete in den Folgejahren weiterhin über seinen Verhältnissen, immer getrieben durch den Druck der aktiven Fanszene, die zwar viel Herzblut in den Verein stecken, jedoch wie bei kaum einen anderen Verein in der sportlich schöneren Vergangenheit leben.

So wurde auch der Einstieg des jordanischen Geschäftsmanns Hasan Ismaik stark kritisiert. Dieser wollte Millionen bereitstellen , bestand jedoch auf einen konstruktiven Dialog mit den Vereinsoberen. So investierte Ismaik trotz 50+1-Regel Millionen in den Verein, was die Lizenz und den Fortbestand des Vereins sicherte.

Das Kuriose: Ultras und Vereinsobere wehrten sich unter dem wohlig warmen Schutzmantel 50+1-Regel, gegen einen vernünftigen Dialog. Dennoch nahmen sie Investoren-Gelder dankenswerter Weise an, die dann wieder verbraten wurden. Anstatt mit Geldgebern gemeinsam ein nachhaltiges wirtschaftliches Fundament zu schaffenund sportlichen Erfolg zu sichern, was unter anderem bei diesen vier Fußballvereinen mit Investor hervorragend funktionierte – werden in München Geldgeber und Sponsoren angegriffen.

Und Geschäftsführer wie Panini-Sticker ausgetauscht. So musste jüngst Marc-Nikolai Pfeiffer seinen Hut nehmen und es wurde ein neues Geschäftsführer-Duo auf Wunsch des umstrittenen Präsidenten Robert Reisinger installiert. Pfeiffer wurde kurz darauf zur neuen Saison als Vorstandsvorsitzender bei Ligakonkurrent Rot-Weiss Essen angekündigt. Ein selbstgeschaffenes Feindbild der Vereinsoberen, welches nun beim Spitzenklub mit Kusshänden erwartet wird. Typisch 1860!

Zukunft? Ungewiss!

Aktuell laufen bei der Lizenzspielermannschaft der Löwen mehr Verträge aus, als Spieler gleichzeitig auf dem Rasen stehen können. Ein XXL-Umbruch droht, der jedoch mit begrenzten finanziellen Mitteln bewerkstelligt werden muss. So ist laut Abendzeitung München das Budget der kommenden Saison bereits ausgeschöpft.
Irre: Verein und Fans hoffen trotz aller Kritik erneut auf Investor Hasan Ismaik als Sankt Martin, der den Verein abermals retten soll. Man mag nur hoffen, dass Verein und Fans aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben und wir die erneut in der Fußball-Bundesliga sehen können. Es ist diesem Traditionsklub zu wünschen.