„Unsere Kinder lernen Mathe, aber nicht Menschlichkeit“ – Ein Gastbeitrag von Slatco Sterzenbach

Die Frage ist unbequem: Was passiert, wenn Kinder funktionieren lernen, aber nicht fühlen? Wenn sie Formeln lösen können, aber keine Konflikte? Wenn sie Wissen anhäufen, aber den Zugang zu den Emotionen anderer verlieren? Eine Gesellschaft, welche das Fühlen verlernt, mag technologisch stark sein, aber sie verliert ihre Basis. Denn nicht Intelligenz allein entscheidet über Zukunft und Zusammenhalt, sondern die Fähigkeit, empathisch zu handeln.

Empathie ist kein „weiches“ Thema, sondern harte Zukunftsfähigkeit

Viele verbinden Empathie mit etwas Nettem, Weichem – fast so, als wäre es eine Zusatzoption. Doch Empathie ist kein Kuschelthema. Sie ist ein Wettbewerbsfaktor. Sie entscheidet darüber, ob eine Gesellschaft stabil bleibt oder zerbricht. Ob ein Unternehmen Innovation hervorbringt oder in internen Machtkämpfen versinkt. Ob Politik Vertrauen aufbaut oder Misstrauen sät.

Starke Persönlichkeiten – ob an der Spitze von Unternehmen, in der Politik oder im Sport – wissen: Menschlichkeit ist der wichtigste undauch gleichzeitig komplexeste Teil von Führung. Denn während Wissen und Zahlen trainierbar sind, verlangt Empathie nach Bewusstsein und Präsenz. Wer nur Leistung im Kopf hat, verliert den Kontakt zu Menschen. Und genau da beginnt der Zerfall von Beziehungen, Organisationen und Kulturen.

Kinder spiegeln uns – nicht unsere Worte, sondern unser Verhalten

Unsere Kinder sehen, was wir tun, nicht was wir sagen. Sie spüren, wenn wir zwar körperlich anwesend sind, aber geistig abwesend – verloren in Bildschirmen, Zahlen oder To-Do-Listen. Sie registrieren, ob wir Konflikten ausweichen oder sie mutig austragen. Und sie übernehmen genau diese Muster.

Das ist der eigentliche Skandal: Wir erziehen eine Generation, die alles über Algorithmen weiß, aber kaum gelernt hat, Nähe auszuhalten. Kinder lernen früh, Leistung zu erbringen – aber nicht, mit Gefühlen umzugehen. Sie trainieren Faktenwissen, aber nicht, wie man zuhört, versteht oder Mitgefühl zeigt. Der Preis dafür ist hoch: Wenn Menschlichkeit im Alltag fehlt, wächst eine Generation heran, die funktioniert – aber nicht verbunden ist.

Auch wenn das vielleicht von bestimmten Systemen als erstrebenswert und profitabel gilt, verlieren wir damit das, was uns als Mensch auszeichnet: die Menschlichkeit.

Verantwortung beginnt bei jedem von uns

Empathie als Schulfach wäre ein Signal – doch noch kraftvoller ist das Vorleben durch Erwachsene. Nicht nur Eltern, auch Lehrer, Trainer, Manager, Politiker und Vorbilder im öffentlichen Leben tragen Verantwortung. Denn wer sichtbar ist, prägt.

Das bedeutet:

Wer möchte, dass Kinder Konflikte lösen, muss selbst aufhören, Konflikte auszusitzen.

Wer möchte, dass Menschlichkeit zählt, darf sie nicht nur in Leitbilder schreiben, sondern muss sie zeigen – im Umgang mit Kollegen, Mitarbeitern, Nachbarn, Familienmitgliedern.

Wer will, dass die nächste Generation zuhören kann, sollte selbst damit anfangen.

Die oft gebrauchte Ausrede „zu busy“ zählt nicht. „Busy“ ist das neue feige – ein Deckmantel für Ablenkung und Überforderung. Wirklich starke Persönlichkeiten erkennen, dass Empathie und Selbstreflexion kein Luxus sind, sondern notwendige Praxis. Coaching, Training oder bewusste Pausen sind kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck echter Stärke.

Fazit: Menschlichkeit ist die härteste Disziplin – und die wichtigste

In einer Welt voller Geschwindigkeit, Unsicherheit und digitaler Reizüberflutung braucht es Menschen, die fühlen können. Menschen, die nicht nur Ergebnisse vorleben, sondern Werte. Die zeigen, dass Stärke nicht im Funktionieren liegt, sondern im bewussten Innehalten.

Psychologisch betrachtet ist Empathie der Schlüssel, um Glaubenssätze zu durchbrechen, die uns immer wieder ins Hamsterrad zwingen: „Ich muss leisten, um wertvoll zu sein.“ – „Gefühle sind Schwäche.“ – „Für Menschlichkeit bleibt später Zeit.“ Solche Überzeugungen führen dazu, dass wir die nächste Generation auf Leistung trimmen, während wir sie von emotionaler Intelligenz entwöhnen und wir dabei innerlich weiter ausbrennen.

Doch die Wahrheit ist: Empathie ist kein Zusatzfach. Sie ist die Grundlage für Vertrauen, Zusammenarbeit und Zukunftsfähigkeit. Eine Gesellschaft, die Empathie lehrt und lebt, wird stabiler, innovativer und menschlicher sein als jede, die ausschließlich auf Zahlen, Noten und Renditen setzt.

Die wichtigste Frage lautet deshalb: Leben wir das vor, was wir uns für unsere Kinder wünschen?
Wenn die Antwort Nein lautet, dann ist genau jetzt der Moment, etwas zu verändern. Denn Menschlichkeit kann man nicht nur lehren – man muss sie leben.

Ein Gastbeitrag von Slatco Sterzenbach. Er hat 17 IRONMAN erfolgreich absolviert und ist Experte für mentale und physische Peak Performance für Unternehmer.