Die dunkle Seite des Geldes

Wie der Handel mit Kryptowährungen ins Auge gehen kann

von Marcus Schwarze

Ein Internet-Phänomen macht die Runde, das immer wieder aufs Neue das große Geld verspricht: In geheimen Gruppen des Chatdienstes Telegram treffen sich Tausende Nutzer aus aller Welt, um sich zum zeitgleichen Kauf exotischer Kryptowährungen zu verabreden. Tatsächlich steigen die Tauschkurse manches Mal rasant – und doch ist Mitmachen riskant.

„Neun Stunden verbleiben bis zum nächsten Binance Pump“, schrieb vor wenigen Tagen jemand mit dem angeblichen Namen Murat A. auf Englisch in die Telegram-Gruppe „Big Pump Signal“. 2912 Abonnenten zählt die Gruppe, tatsächlich gelesen haben den Hinweis laut Telegram-Statistik 1800 Teilnehmer. Murat A. gab von nun an alle paar Stunden und zum Schluss minütlich einen neuen Hinweis: Nur noch vier Stunden, nur noch drei Stunden, um 20 Uhr geht es los.

Der „Binance Pump“ ist dabei eine fixe Verabredung: Binance heißt eine populäre Kaufplattform im Internet, das Wort entstand aus dem englischen Wort „Finance“ (Finanzen) und Bitcoin. Der Bitcoin ist dabei nur eine von Hunderten virtuellen Währungen, die in den vergangenen Jahren entstanden sind – von A wie „Arcblock“ bis Z wie „Zayedcoin“. Alle diese Währungen können über Binance gehandelt werden, sprich: Man kauft mit Hilfe einer besonderen Binance-App für echte Dollar oder Euro zunächst den Gegenwert in Bitcoin und anschließend eine Summe in einer der exotischen Währungen. Je nach Angebot und Nachfrage steigen und fallen die Kurse, wie an einer geregelten Börse.

Der Trick mit dem „Pump“ ist so einfach wie verlockend: Um Punkt 20 Uhr gibt an diesem Sonntag im Mai Murat A. bekannt, auf welche Währung diesmal geboten werden soll. Und tatsächlich heißt es um exakt 20.00:00 Uhr in der Gruppe kurz und knapp: „AST“. Das Kürzel steht für „AirSwap Token“, eine Währung, die vor wenigen Monaten von einem gewissen Don Mosites erfunden wurde. Um 19.59:16 Uhr stand diese Währung noch bei 0,00004384 Bitcoin, umgerechnet 37,6 US-Cent. Um 20.04:16 Uhr ist sie auf 0,00004407 Bitcoin gestiegen – und bis 21.19 Uhr geht es weiter bis auf 0,00004555 Bitcoin. Das ist eine Wertsteigerung von 3,9 Prozent innerhalb von 80 Minuten. Auf Webseiten wie coinmarketcap.com kann man deutlich einen Anstieg des gehandelten Volumens zwischen 20 und 21 Uhr erkennen. Die Marktkapitalisierung, also der Gesamtwert der Währung auf diesem Marktplatz, stieg von 56,7 Millionen US-Dollar auf 59 Millionen.

Im Minutentakt kündigt Murat A. in der Telegram-Gruppe den sogenannten Finance Pump an. Um 20 Uhr wird die Währung bekanntgegeben, die Teilnehmer der Gruppe kaufen sollen.

Dies war allerdings eine eher moderate Steigerung. Bei einem „Pump“ am 29. April auf die Währung OAX ging es zeitweise um bis zu 50 Prozent in die Höhe. „Ride the Waves!“ feuerte der unbekannte Signalgeber die Teilnehmer seiner Gruppe an. Soll heißen: Kauft weiter und genießt es – vor allem den Moment, die exotische Währung wenige Sekunden oder Minuten später mit Gewinn zu verkaufen.

Der Yoyo-Effekt

Es geht aber auch in die andere Richtung. Am 12. Mai sollte YOYO die begehrte Währung sein, nur: Irgendetwas ging schief, der Kurs fiel. Ein Unbekannter habe viele Yoyo besessen, und als das Signal zum Kauf kam, habe er „uns damit zugeschüttet“, wie Murat A. in die Gruppe schrieb. „Wir wissen, dass eine Menge Leute auf unsere Pumps spekulieren“, erklärte A. weiter. Er werde nun seine Strategie „neu ausrichten“, sprich: von verdächtigen Währungen die Finger lassen. Was diese Währung und andere verdächtig macht, ließ A. allerdings offen.

Verdächtig ist jedenfalls, dass in der Telegram-Gruppen immer wieder dafür geworben wird, weitere Nutzer aus dem Bekanntenkreis in die Gruppe zu holen. Wer 50 neue Nutzer an Land zieht, bekommt die Erstinformation darüber, welche Währung als nächstes hochgepusht werden soll, eine Sekunde früher als andere – dann nicht über die Telegram-Gruppe, sondern über eine geheime Website. Wer noch mehr Nutzer reinholt, erhält einen Zeitvorteil von drei Sekunden.

Exakt um 20 Uhr schnellt die Kurve nach oben – ein Zeichen für gezielte Aktivitäten beim Kauf der Exotenwährung.

Rechtsanwalt Sascha Böttner aus Hamburg, Experte unter anderem im Wirtschaftsstrafrecht, warnt dringend vor der Teilnahme an solchen systematischen Absprachen. Bei börsennotierten Kursen wären solche Absprachen auf jeden Fall strafbar, am grauen Markt sind die Übergänge fließend. „Das klingt stark nach einem Schneeballsystem“, sagte der Anwalt auf Anfrage von ZASTER. Bei den sogenannten Schneeballsystemen werden Geschäftsmodelle angewandt, die zum Funktionieren eine ständig wachsende Anzahl an Teilnehmern benötigen.

Gewinnen dürfte in diesen Telegram-Gruppen jedenfalls häufig nur einer: Murat A., der die gewinnträchtige Währung festlegt – und ein paar Eingeweihte, die die Information ein paar Sekunden früher nutzen. Das Nachsehen haben alle „normalen“ Nutzer, die Sekunden später zu künstlich hochgetriebenen Preisen kaufen.

Wer neue Nutzer in die Gruppe holt, gewinnt Sekundenvorteile.
ein Artikel von
Marcus Schwarze