Kolumne

Sag Nein zu unfairen Angeboten und lauem Wein

von Marcus Schwarze

Oft siegt die Freundlichkeit, Eitelkeit, Hilflosigkeit: In Gelddingen hat unsere Autorin Laura Karasek die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, Nein zu sagen zu unfairen oder schlicht unschönen Angeboten. Jedenfalls: Zu lauwarmen Wein muss sich niemand überreden lassen.

Man sollte immer ein bisschen unglücklich sein. Glück ist kein produktiver Zustand. „Das Glück schreibt mit weißer Tinte“, sagt Woody Allen.

Vielleicht werden „Kreative“ deshalb so schlecht bezahlt! Der Leidensdruck muss groß sein. Und schreiben, malen, musizieren – das muss man wollen, das macht man nicht für die Kohle, das ist BESTIMMUNG. So sehen es auch häufig die Auftraggeber: „Es ist doch eine Ehre, gefragt zu werden. Da kommen auch ganz viele Folgeaufträge … Könntest Du da nicht die Moderation machen/eine Rede halten/was drüber schreiben? Uns fehlt jetzt echt das Geld, um Dich zu bezahlen. Aber unsere Veranstaltung ist eine super Plattform. Ach so, die Fahrtkosten können wir leider auch nicht übernehmen. Aber wir haben da einen super Deal mit einer Jugendherberge in Wuppertal. Da kannst Du bestimmt vergünstigt übernachten… Im 6-Bett-Zimmer.“

Ich mach ab jetzt nix mehr umsonst, schwöre ich mir dann. Und trotzdem siegt oft meine Freundlichkeit, meine Eitelkeit, meine Hilflosigkeit, meine Langsamkeit (ich sage nicht schnell genug NEIN und bin dann irgendwie schon drin, Schweigen als Zustimmung sozusagen), oder ich bin einfach zu schwach, um abzulehnen (auch, natürlich aus Gefallsucht oder weil es mir peinlich ist). Nein sagen zu unfairen Angeboten ist schwerer, als es einfach zu ertragen und sich ausgenutzt zu fühlen. „Sonst komme ich mir so geldgeil und habgierig vor.“ Dabei ist jede Leistung etwas wert. Charity ist was anderes. Aber ein Vortrag bei einer großen Industriekonferenz dient keinem wohltätigen Zweck. Damit wird Geld gemacht. Und dann lasse ich mich doch wieder überreden, verblendet von all den kleinen Häppchen, den Mozzarellakugeln und Frikadellchen und dem lauwarmen Wein.

Die Sehnsucht nach einer Sprache

Schreiben, lesen, sprechen will ich trotzdem. Aber woher kommt dieses Bedürfnis, die Sehnsucht nach einer Sprache für all die Einfälle?

„Glück oder eine sonnige Wesensart erzeugen keinen Impuls, sich künstlerisch auszudrücken.“ Schmerz inspiriert, regt an, sticht, brennt, löst etwas aus. Glück macht bequem, träge und manchmal – im besten Falle – ängstlich. Der Schmerz darf natürlich nicht so groß sein, dass er lähmt. Das Leiden muss wohl dosiert sein. Leiden auf Raten. Flatrate, sadrate.

Aber wie schützen Sie sich vor zu viel Fröhlichkeit, die uns banal, trivial, uninspiriert, stumpf werden lässt? Obacht: Sicher sind Sie nirgends!

Es könnte Ihnen jemand eine Freude machen! Es könnte jemand Ihre Karriere zerstören, indem er Ihnen einen Heiratsantrag macht! Es könnte Ihnen jemand ein Kompliment geben. Daher, seien Sie gewappnet und seien Sie stark:

Sagen Sie NEIN zu Reisen. Sagen Sie NEIN zu Menschen, die es gut mit Ihnen meinen. Sagen Sie NEIN, wenn Ihnen jemand etwas schenken will, Sie massieren will, Ihnen einen Kuss, Zuckerwatte, Popcorn, Champagner anbietet (außer es ist so viel Champagner, dass Sie am nächsten Tag richtig leiden werden. Dann kommt das Unglück halt einfach versetzt, dazu später).

Suchen Sie sich Menschen aus, die Ihnen schlecht tun, die Sie zurückweisen, essen Sie abgelaufene Lebensmittel und verlassen Sie sofort den Raum, sobald Menschen tanzen, schunkeln oder gar schwofen. Dann werden Sie schreiben, musizieren, malen wie ein junger Gott!

Gegen Frohmut hilft außerdem das Trinken – zumindest am darauffolgenden Tag werden Sie sich so elend fühlen, dass das vom Alkohol zersetzte Hirn gepaart mit schwermütiger Selbstzerfleischung Ihnen die Reime, Verse oder Akkorde geradezu in die zitternde Hand diktiert. In dubio prosecco.

Angst als Antrieb

Falls es Ihnen trotz alledem zu gut geht, hier ein kleiner Hinweis aus meinem Traurigkeits-Tutorial: Auch Angst kann ein wichtiger Antrieb sein. Es ist unfassbar vorteilhaft, sollten Sie an irgendeiner Phobie leiden. Bei mir ist es so, dass ich starke Flugangst und eine Insektenphobie habe! Gleich zwei Wünsche auf einmal! Allerdings habe ich mich bisher noch nicht in einen ausrangierten Flieger einer drittklassigen Fluggesellschaft gesetzt und mir dabei ein paar Ameisen und Kakerlaken in den Ausschnitt geworfen, um die Muse der Angst heraufzubeschwören.

Ach, was hätten ein paar Turbulenzen gepaart mit Küchenschaben in der Sauerstoffmaske wohl aus meinem Roman gemacht?

Aber bedenken Sie: Das Leid darf Sie nicht blockieren!

Das ist das Schlimme an einer Phobie. Sie kommt oft unerwartet. Ich war allein zuhaus und schrieb an einem Text. Da sah ich plötzlich, direkt neben meinem Notebook, ein Insekt. Ich hielt inne, bekam Gänsehaut und schüttelte mich. Die Spinne (oder war es ein „Schuster“, „Schneider“, daddy longleg, Weberknecht?) manövrierte ihre unzähligen Beine gerade in meine Richtung. Was blieb mir anderes übrig, als den Lieferservice zu rufen und eine Portion Pasta zu bestellen, nur damit der Lieferant die Spinne aus meinem Wohnzimmer entfernte?

Kaum war ich gerettet, wollte ich nach dieser Grenzerfahrung lieber die Pasta verzehren (oder den Lieferantenmann), als mich dem Text zu widmen. Es kann alles immer und jederzeit vorbei sein. Kakerlake diem!

Wir brauchen Unglück, um Glück zu empfinden. Egal, ob wir nun das Glas als halbleer (und dann noch mit Apfelessig) oder ob wir das Glas als halbvoll (mit eiskalter Erdbeerbowle) ansehen!

Oder – um es mit Woody Allen zu sagen:

„Für die meisten Menschen ist der Sarg halb leer. Für Woody ist der Sarg halb voll.“

ein Artikel von
Marcus Schwarze