Der Schein meines Lebens

Das Leben ist eine Tombola – nicht nur für Feldhasen!

von Roland Roedermund

Im Laufe unseres Lebens bekommen wir diesen einen Schein, diesen bestimmten Betrag. Den uns jemand schenkt, den wir finden, gewinnen oder den wir jemandem abluchsen – und: an den wir uns für immer erinnern, weil er uns gerettet, berührt oder beschämt hat. Hier erzählen regelmäßig Menschen die Geschichte vom Schein ihres Lebens.
Heute: Die pensionierte Lehrerin Eva Maria G.(62) erinnert sich daran, wie sie als Zwölfjährige mit zwei Freundinnen bei der Hasenjagd erst viel Spaß hatte und dann nur noch weg wollte.

Wir waren drei alberne Kichermädchen um die 12 und durften den Vater der Freundin als Treiberinnen auf der Hasenjagd begleiten. Ein echtes Abenteuer für Mädchen in den Sechzigerjahren und eine unvergessene Abwechslung in den langweiligen Ferien. Wir hatten viel Spaß – ob unsere Anwesenheit für die Jagdgesellschaft auch so erheiternd war, wage ich allerdings zu bezweifeln. Völlig verschlammt und stinkend mussten wir aus einem versumpften Gelände gerettet werden und konnten nur in den Kofferräumen von drei Autos bei geöffneter Heckklappe abtransportiert werden. Für uns war das ein herrlicher Spaß.

Beim Schüsseltreiben waren wir wieder dabei –in einer verrauchten Kneipe auf dem Land, voll mit Jägern – und St. Hubertus sei Dank – einer mütterlichen Jägerin, der einzigen Frau in dieser Runde, die sich unserer annahm. Dass wir seinerzeit tatsächlich einen erlegten Hasen abtransportiert haben, ist verbrieft, weil der Freundin-Vater die Geschichte immer gerne bei unseren Hochzeiten oder anderen unpassenden Gelegenheiten zum Besten gab. Wir selber hatten den Transport des „Kadavers“ zu dem Zeitpunkt schon erfolgreich verdrängt. Drei Mädchen und ein toter Hase auf morastigem Grund – auch das führte zu Verzögerungen bei dem sonst streng reglementierten Jagdgeschehen.

Dennoch ernteten wir am Abend für uns damals unfassbar hohe Trinkgelder für unseren begeisterten Einsatz, durften nach Herzenslust Coca Cola trinken, waren gebannte Zuhörerinnen haarsträubenden Jägerlateins und fühlten uns irgendwie wichtig. Sabine gewann in der Tombola – die offenbar zu den After-Jagd-Ritualen des geselligen Ausklangs mit Hallali gehörte – einen der erlegten Hasen. Als er ihr, an den Läufen hochgehalten, präsentiert wurde, wich sie bleich zurück, ohnehin schon geschockt und vom tosenden Gelächter der Jagdgesellschaft gänzlich verunsichert. Wir beiden anderen trösteten die weinende Unglückliche, die befürchtete, sie müsse das tote Tier in die elterliche Küche tragen und all die unappetitlichen Dinge vornehmen, die nötig waren, um das Tier in einen verzehrfertigen Zustand zu versetzen. Wir wussten auch: ihre Mutter wäre nicht die geeignete Komplizin, die dieses Mitbringsel zu würdigen wusste.

Es muss wohl einen empathischen Waidmann in dieser archaischen Runde gegeben haben. Er beugte sich aus großer Höhe zu unserem aufgeregten Mädchen-Trio herab und dröhnte im schönsten Bass sein Angebot in unsere kleine aufgescheuchte Runde: „Zwanzig D-Mark für das Tier.“ Sabine mutierte binnen Sekunden zum süß lächelnden Mädchen und (ja!) sie lispelte, da Zahnspangenträgerin, ein erfreutes „Das wäre schön.“ Die zwei Zehnmark-Scheine landeten postwendend in ihrer im Handarbeitsunterricht genähten und bestickten Geldbörse, die so viel Geld noch nie gesehen hatte.

Zusammen mit den Trinkgeldern kam sie auf einen Betrag, der Weihnachten alle Ehre gemacht hätte. Wir gönnten es ihr. Selbstbewusst bot sie dem Jagdherrn beim Abschied an, gerne wieder als Treiberin aktiv zu werden. Wenige Tage später marschierten wir mit ihr in den großen Spielzeugladen am Marktplatz und berieten sie bei der Auswahl eines kuscheligen Waldbewohners der Nobelmarke „Steiff“. Auf das Eichhörnchen von beträchtlicher Größe trafen wir im Laufe unseres Lebens immer wieder: in ihrer Studentenbude, bei ihrer Abreise zu einem Auslandsjahr in Amerika und neulich wieder – in der Kinderecke ihres Wohnzimmers, wo sie uns stolz mit ihrer Enkelin Diana bekannt machte.

ein Artikel von
Roland Roedermund
Roland Rödermund kann schlecht mit Geld umgehen. Auch deshalb schreibt er als freier Autor für Zaster. Ansonsten über Zeitgeist und Gesellschaftsthemen – und am liebsten übers Draußensein.