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#Kaufschrei!

von Marcus Schwarze

Früher war mehr Wertschätzung fürs Geld. Kaufreue befällt den modernen Menschen mittlerweile fast häufiger als die Begeisterung über Erworbenes, der persönliche Triumph über die Gier verdrängt die Kauflust. Ein #Kaufschrei von Micky Beisenherz.

Und völlig ungerührt gehst Du nach Hause.

Das ist grundsätzlich natürlich völlig okay. Blöd ist nur, dass du gerade Kleidung im Wert von 500 Euro gekauft hast und es in dir in etwa die gleichen Gefühle auslöst wie eine Doku über Seidenmalerei in Kirgisien.

Es ist dir bestenfalls egal.

Fünfhundert Euro. Das ist für einen Gutteil der deutschen Bevölkerung eine Monatsmiete oder ein Drittel des Jahresurlaubes.

Ich selber habe mir als chronisch Überbezahlter davon gerade zwei Hosen und ein Hemd gekauft. Mal eben so. Zwischen Kaffee Nummer drei und Termin Nummer vier.

Sollte ich mich nicht wenigstens so richtig darüber freuen?

Das Ganze zelebrieren?

Die Wahrheit ist, dass die Kaufreue mittlerweile fast größer ist als die Begeisterung über die neu erworbenen Textilien auf dem Weg zur visuellen Selbstoptimierung.

Manches verendet sogar ungetragen auf irgendwelchen Regalbögen, ohne jemals echten Körperkontakt gehabt zu haben. Was für ein trauriges Dasein.

Spätestens, wenn Hosenstapel sich im Kleiderschrank auftürmen und beim Öffnen der Tür entgegen kippen wie Miniaturhochhäuser in schlechten Katastrophenfilmen, weißt du:

Das Zuviel scheuert langsam an der Befindlichkeit.

Wie ein kratzendes Etikett hinten im neuen Hemd.

Da läuft etwas schief.

Also, nicht, dass ich es mir nicht leisten könnte.

Finanziell geht’s ja noch.

(Wobei….)

Gefühlsmäßig allerdings sorgt der Konsum langsam, aber spürbar dafür, dass ich mich deutlich unfreier fühle.

Als würde man durch das stetige Kaufen von Dingen dafür sorgen, dass die Wände in der Wohnung sich so indianajonesmäßig unaufhörlich weiter nach vorne schieben und einem die Luft zum Atmen rauben.

Vermutlich ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Buddhist zu werden.

So wie ich mich kenne, würde ich dazu aber erst einmal losmarschieren, mir ein paar passende Gewänder dazu zu kaufen.

Der Dalai Lama hat doch immer dieses freche Orange.

Auf welcher Internetseite bestellt man sich das?

Ich habe es ja auch geschafft, mir zwei Hosen zu holen, die sich in Schnitt und Farbe ungefähr zwei bis drei Prozent von denen unterscheiden, die ich bereits besitze, sich aber so weit unten im Stapel befinden, dass ich sie in ein paar Monaten als eine Neuentdeckung hervorziehen werde.

Wahrscheinlich, wenn einer dieser Textilwolkenkratzer eingestürzt ist und den Blick auf das Erdgeschoss freigibt.

Die Mutter aller Luxusprobleme.

#Kaufschrei

Wie konnte es eigentlich soweit kommen. Warum stumpft man so ab.

Ich erinnere mich noch gut, als ich damals auf dem Bau gearbeitet habe.

1200 DM für drei Wochen harte Arbeit, und danach – große Reise! – zum Einkaufen nach Dortmund. Damals gab es noch bei Saturn diese Theken, an denen man Musik testhalber anhören konnte.

Ich mit meinem Stapel CDs hin und nach kurzer Akustiksession entschieden: Ach, scheiß drauf. Ich nehm sie einfach ALLE!

Was für ein erhabenes Gefühl.

Klar, niemand von uns bleibt ewig 18.

Und niemand schafft es, sich so ein monetär-materielles Postpettingfeeling seiner Jugend zu bewahren.

Dennoch:

Wie bedauerlich, dass das Belohnungszentrum kaum noch Reize empfindet. Im Gegenteil. Heute fühle ich mehr Freude über Dinge, die ich NICHT gekauft habe.

Die kleinen Triumphe über die Gier.

Ein kleines, gebrülltes Nein! auf das kaum noch vernehmbare „brauch ich das wirklich?“, dumpfe Signale sendend unter der textilen Geröllawine.

Vor Jahren hab ich mal diese Geschichte über Roman Abramowitsch gehört, der 5000-Euro-Rotwein vornehmlich aus der Flasche trinkt. Fand ich bedauerlich. Was für ein trauriger Mensch, oder: Die Verbeamtung von Highlights.

Wer jede noch so kleine Sehnsucht mit einem Fingerschnippen killen kann, ist nur zu bedauern.

So möchte ich nicht sein.

Wenn ich aber, während ich das hier schreibe, parallel bei Asos.com und MrPorter weiter surfe, wird sich das so bald nicht ändern.

ein Artikel von
Marcus Schwarze