Absturz am Ölmarkt: Wer sind die Gewinner?

Die Welt badet in Öl. Und das nicht aufgrund eines massiven Nachfrageschubs, sondern aus einem unkontrollierten Fluss an zusätzlichem Angebot. Die OPEC-Mitglieder hatten ihre Produktion seit Anfang 2023 um mehr als 2 Mio. Barrel täglich freiwillig reduziert. Einzig und ausschließlich, um den Preis zu stabilisieren. Im Falle von Brent Rohöl in einer Spanne von 70 bis 90 US-Dollar je Barrel, was auch lange mehr schlecht als recht funktionierte.

Die OPEC hat zwei Probleme kompensiert. Vor dem Hintergrund eines scharfen Volatilitätsschubes nach den globalen Lockdowns im 1. Halbjahr 2020, der erst im Jahr 2022 gestoppt werden konnte, kämpfte das Kartell ab 2023 gegen die schwächelnde Konjunktur in China und Europa. Statt den Preis zu senken, reduzierte man die verkauften Mengen, was unter dem Strich für die Kartell-Mitglieder zu demselben Ergebnis führte: Die Haushalte, die von den Öleinnahmen leben, wurden immer angespannter. Der positive Aspekt nach außen hin war jedoch, dass man weiter das Bild eines stabilen Marktes präsentieren konnte und somit auch die eigene Reputation als verlässliche Kraft stärkte. 

Doch das zweite Problem nahm mit der Zeit immer mehr an Überhand. Denn da, wo die OPEC-Mitglieder sparten, butterten die Amerikaner rein. Dank der immer weiter entwickelten Fracking-Technologie sind die USA schon lange kein Öl- und Gasimporteur mehr, sondern ein Netto-Exporteur. Und damit ein direkter Konkurrent zum Kartell, der jedoch keinen vergleichbaren Restriktionen unterliegt. Und die Amerikaner scheuen sich nicht, da Geschäft zu machen, wo andere ihnen Raum geben. Entsprechend marschierten die amerikanischen Öl-Konzerne gnadenlos in die Angebotslücke hinein, die die OPEC-Mitglieder sich mühsam abgespart hatten. 

Die Reihen der OPEC sind gebrochen

Schon im vergangenen Jahr war abzusehen, dass die Einigkeit des Kartells, die dessen Fundament ist, zu bröckeln beginnt. Den Todesstoß versetzte Präsident Trump, der bekanntlich den alten Wahlslogan der Republikaner – „Drill, Baby, Drill!“ – nicht nur wieder aus der Mottenkiste holte, sondern in die Tat umsetzte. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im März öffnete die OPEC(+) die Schleusen und kündigte die „Rückkehr“ der bisher eingesparten 2,2 Mio. Barrel Öl pro Tag an den Markt an. Doch was ist das Ziel? 

Die OPEC will die amerikanischen Fracker ausradieren, wie Round-up das Unkraut auf der Wiese. Der „Pain-Point“ ist in der Branche bekannt. Ab 60 US-Dollar je Barrel beginnt den Frackern das Geld auszugehen. Die wiederum kennen das jetzt gespielte Szenario aus der Vergangenheit und reagieren sofort. In den vergangenen Tagen und Wochen wurde bekannt, dass die Investitionen im amerikanischen Ölmarkt in diesem Jahr drastisch zurückgefahren werden. Liquidität erhalten, um die Gegenattacke der OPEC zu überstehen, ist nun oberstes Gebot. 

Aus Sicht der Majors ist die Neuorientierung des Ölmarktes weniger problematisch. Ohne Zweifel schlägt ein fallender Ölpreis kurzfristig auf die Gewinn- und Verlustrechnungen durch, was weniger schön ist. Aber die Majors haben einen sehr langen Atem und können eine solche Delle im Markt leichter überstehen. Vielmehr bietet eine solche Anpassung des Preisniveaus den Majors regelmäßig neue Opportunitäten, denn:

Kaufen, wenn die Kanonen donnern

Wer Liquidität hat, kann im Ölkrieg auf Schnäppchenjagd gehen. Unternehmen, die sich bei den Investitionen und Kapazitäten verhoben haben, können in einem solchen Umfeld schnell zur Beute werden. Wenn die Banken einem mittelgroßen Fracker die Kredite zusammenstreichen, bleibt meistens nur der Verkauf an einen der großen Ölkonzerne. 

Aber auch die großen Ölkonzerne untereinander suchen nach Gelegenheiten. Aktuell steht BP im Visier. Der britische Ölkonzern wird in den Chefetagen der Majors derzeit auf einem silbernen Tablett herumgereicht. Alle werfen einen Blick auf den europäischen Underdog, der schon vor der jetzigen Anpassung am Ölmarkt als völlig unterbewertet galt. Rutscht der Ölmarkt weiter ab, steigt die Bereitschaft von BP, sich aufkaufen zu lassen. 

Shell ist interessiert, Elliott Investment Management ist bereits „drin“. Der aktivistische amerikanische Hedge Funds hat sich bereits im vergangenen Jahr bei BP eingekauft und kommt aktuell auf eine Beteiligungshöhe von knapp 5 %. Nicht auszuschließen ist, dass die Beteiligungshöhe angesichts der anstehenden Umbrüche in der Branche weiter ausgebaut wird. 

Shell prüft bereits, ob man eine Übernahme von BP hinbekommt. Aber auch die anderen Majors aus Amerika und Europa sind interessiert und wägen die Chancen für ein erfolgreiches Gebot ab. Einzig und allein Chevron ist außen vor, da man noch immer dabei ist, die Jumbo-Übernahme von Hess zu verdauen. Außerhalb der westlichen Industriestaaten sind aber auch einige Interessenten zu finden. Namen wie Adnoc, Aramco oder Mubadala werden in London geflüstert. 

Des einen Leid des anderen Freud

Kommt es zu einem Bieterwettbewerb, hat die BP-Aktie viel Potenzial. Aktuell ist sie mit einer Marktkapitalisierung von knapp über 70 Mrd. US-Dollar bei einem erwarteten Jahresumsatz von rund 180 Mrd. US-Dollar glasklar unterbewertet. Ein dreistelliger Millionenbetrag müsste es daher schon sein, um die Aktionäre zur Zustimmung zu überreden. 

Doch es gibt auch noch weitere Gewinner der aktuellen Entwicklung am Ölmarkt. Der Preis für Energie wirkt nicht nur in der vollen Breite auf die Kosten einer Volkswirtschaft, sondern die Wirkung ist auch ad hoc. Innerhalb weniger Wochen bis Monate macht sich eine nennenswerte Veränderung des Ölpreises bereits in den Inflationszahlen bemerkbar. Rutscht der Ölpreis weiter durch, könnte dies schon im 3. Quartal in den USA und in Europa die Inflation positiv beeinflussen. Und damit auch den Anleihemarkt und das Wirtschaftswachstum, da der Preisrutsch über die Angebotsseite kommt. 

Eine weitere mögliche Nebenwirkung ist die Beschleunigung der Friedensverhandlungen mit der Ukraine. Die Gespräche zwischen den USA, Russland und der Ukraine verlaufen schleppend, was nicht zuletzt an den Taktiken der Russen liegt. Doch ein stark fallender Ölpreis ist ein wichtiges Argument für einen schnellen Verhandlungserfolg, da die Einnahmen aus Öl- und Gasverkäufen essenziell wichtig für den russischen Haushalt sind. 

Der Krieg am Ölmarkt hat aus Sicht der Amerikaner und Europäer daher überwiegend positive Folgen, was zu einem zusätzlichen positiven Grundton an der Börse im 2. Halbjahr führen kann. 

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