Seit Jahren tut sich Deutschland schwer damit, neue Unternehmen zu finden, die digitale Zukunftsmärkte erfolgreich besetzen und dann auch noch groß genug für den Aktienindex DAX sind.
Da kam Wirecard gerade recht. Ein junges Fintech, schnell wachsend und führend in digitalen Zukunftsmärkten. Das schien genau das richtige Facelifting für den in die Jahre gekommenen Index zu sein und wurde daher mit Begeisterung aufgenommen. Schnell stieg der Börsenwert der jungen Firma auf über 20 Mrd Euro.
Dann kam vor über eineinhalb Jahren ein Bericht in der Financial Times über Irregularitäten in der Buchhaltung. Damit nahm eine Tragödie ihren Lauf, die seit Donnerstag viele Verlierer kennt. Und die, was für die Betroffenen besonders schlimm ist, immer noch nicht aufgeklärt wurde.
Es ist ja bis heute noch nicht einmal klar, wer eigentlich wen betrogen hat. Wurde das Unternehmen um viel Geld erleichtert, das es verdient hatte, oder waren die diesem Geld zugrunde liegenden Umsätze und Gewinne nur reine Luftbuchungen?
Der Unterschied ist wichtig. Im ersten Fall gibt es noch eine Überlebenschance, denn zumindest würde es ja stimmen, dass das Unternehmen mit seinem Geschäftsmodell viel Geld verdienen kann. Im zweiten Fall hingegen wäre Wirecard kein modernes Fintech, sondern nur ein modernes Schneeballsystem, eben ein Schneeballsystem 4.0.
In dem Falle müssten sich die meisten, ob Anleger, Gläubiger oder Banken, wohl leider darauf einstellen, dass von dem Unternehmen kaum viel mehr als die Erinnerung bleiben könnte. Deshalb ist es ein Unding, dass wir immer noch nicht wissen, was wirklich passiert ist.
Leider spricht im Moment viel mehr für die Theorie des Schneeballsystems. Es gibt keine Sicherheit vor Betrug. Unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ist im Prinzip auf Vertrauen aufgebaut, und so wird es immer wieder zu solchen Fällen kommen.
Was Wirecard so besonders macht, ist nicht einmal die Größe des Betruges, von wem auch immer. Nein, auch auf diesem Gebiet hat es schon mehr gegeben. Vielmehr ist es ist der merkwürdige Zeitablauf, der einen stutzig macht und mit Sorge füllen muss.
Wie gesagt, vor Betrug ist niemand gefeit, aber dass über anderthalb Jahre nach dem FT-Artikel erst klar wird, dass Bargeld in der Höhe von 1,9 Milliarden Euro – also dem gesamten Eigenkapital – entweder nie existiert hat oder mysteriöserweise verschwand, ist ziemlich einmalig. Das wird, so ist zu fürchten, Wirecard und den Verantwortlichen einen Eintrag in die Geschichtsbücher sichern.
Fangen wir mit dem Regulator, also BaFin und EZB, an. Jede Bank in Deutschland muss inzwischen die Farbe ihrer Toiletten mit dem Regulator abstimmen, und Wirecard spielt mal eben so mit knapp 2 Milliarden Monopoly-Geld, ohne das in all der Zeit keiner etwas mitkriegt? Könnte es daran liegen, dass etablierte Banken heute völlig überreguliert sind, während bei so manchem Fintech die Augen viel zu lange geschlossen bleiben?