Vielleicht war es die kindliche Neugier, die mich an jenem Nachmittag auf den Dachboden lockte. Ich war gerade neun Jahre alt geworden und durchlebte eine späte Trotzphase, in der ich alles tat, was mir untersagt wurde. Der Dachboden war die Danger Zone meiner Generation: Da oben wohnten Gespenster, Monster und Spinnenkolonien, die sicher keinen menschlichen Besuch duldeten. Was mir natürlich vollkommen egal war. Ich war ja kein Angsthase. Und so spielte ich gerne auf dem Dachboden. Da war eine geheimnisvolle Dunkelheit. Da war Ruhe. Und vor allem waren da von Staub überzogene Relikte aus einer Ära weit vor meiner Zeit.
Mein Großvater war im kommunistischen Jugoslawien Direktor der örtlichen Bank gewesen, und so hatte er einige Banknoten aufgehoben, die ihm im Laufe seines Lebens untergekommen waren. Als ich an jenem Nachmittag auf dem Dachboden auf einen frisch gedruckten und nie benutzten 5000-Dinar-Schein stieß, der Josip Broz Tito (†1980) abbildete, war es kaum auszuhalten. Der ehemalige jugoslawische Minister- und Staatspräsident war, sagen wir, nicht unbeliebt bei meinen Großeltern, die oft – mit besorgtem Blick in die Zukunft – in nostalgischen Erinnerungen an ihre sorglose Vergangenheit schwelgten.
An dieser Stelle sei gesagt, dass die Wirtschaft zwischen 1953 und 1960 einen unfassbaren Aufschwung verzeichnete, und meine Großeltern das in direkten Zusammenhang mit der kommunistischen Herrschaft von Tito brachten. Überhaupt hatten die Menschen Tito als Retter und Helden gefeiert. Erst 1980 sollte sich die eigentlich desolate Wirtschaftslage zeigen, als die enorme staatliche Verschuldung offensichtlich wurde – aber gut, davon war ich auf meinem Dachboden ja nun weit genug entfernt. Ich hielt also Tito in meinen Händen und fragte mich: Wieviel sind eigentlich 5000? Soweit konnte ich noch nicht einmal zählen. Doch ich wusste: Das muss viel sein. Jedenfalls war es die größte und schönste Banknote, die ich je gesehen hatte.