DAS HÄTTE ES FRÜHER NICHT GEGEBEN

Lieber Papa, das ist eine Sex-App!

von Emina Benalia

Ist es grotesk, Geld dafür zu bezahlen, um Dates zu kriegen mit Menschen, die zu 80 % entweder langweilig, anstrengend, dumm oder alles zusammen sind?

„Du hast ein neues Match!“ Dingdingding. Ich lächle. Mein Vater sieht mich an und fragt, warum ich mich gerade so freue. Ich setze an… ich stottere, ich gebe auf. Wie sollte ich Papa erklären, dass ich eine App habe, die dafür sorgt, dass seine Tochter Sex hat. Wie soll man das bitte seinen Eltern sagen.

Ich versuche es so: „Na ja, also, ich hab so eine App, mit der ich nette Leute aus meiner Umgebung kennenlernen kann. Quasi jemanden zum… Kaffee trinken.“

Er denkt einen Augenblick nach.

„Hm, was ist denn mit dir, dass du keine neuen Leute kennenlernst? Musst du so viel arbeiten?“

„Nein, mit mir ist alles ok! Es ist ja nur… eine Möglichkeit von vielen… also ich bin nicht sozial inkompetent oder so. Wirklich nicht.“

„Was kostet das dann so?“

„Knapp 20 Euro im Monat.“

Er reißt die Augen auf und starrt mich an.

„Julia, du bezahlst 20 Euro dafür, dass du neue Freunde findest?“

„Ja, na ja, ja.“

Er sieht mich an mit dem Blick eines Vaters, der sagt: Ich werde dir nie wieder Geld überweisen, wenn du es für so eine Scheiße ausgibst und PS: dein Erbe kannst du VERGESSEN.

Ich bin mir selber ziemlich dankbar, dass ich nicht gesagt habe, wofür Tinder eigentlich ist, sonst wäre ich vermutlich mehrfach enterbt.

Trotzdem lässt mich das Gespräch nicht los. Ist es vielleicht wirklich ziemlich grotesk, Geld dafür zu bezahlen, um Dates zu kriegen mit Menschen, die in 80 % der Fälle entweder langweilig, anstrengend, bisschen dumm oder alles zusammen sind? Ist es Geldverschwendung, sich zwei- bis dreimal die Woche einen Abend lang in einer Bar mit einem völlig Fremden zu betrinken, um eventuell danach Sex zu haben?

Die Antwort, sie könnte so einfach „ja“ lauten, aber natürlich ist zum Glück alles und wie immer ganz, ganz anders.

Denn die wahre Antwort findet sich in meinem Smartphone – in einer anderen App. Nämlich bei WhatsApp. Und sie findet sich an den Abenden, an denen ich keine Dates habe – sondern Freunde treffe. Sie findet sich beim letzten Umzug, bei meinem letzten Geburtstag. Die Antwort, sie ist „Freunde“. Freunde, die mal Dates waren und dann zu Lieblingsmenschen wurden. Freunde, die deshalb welche sind, weil wir erst Sex, dann viele gute Gespräche und schließlich die Einsicht hatten: Wir mögen uns unglaublich gern, aber für eine Beziehung reicht es nicht.

Tinder und OKCupid haben mir nicht nur in neuen Städten geholfen, neue Menschen kennenzulernen und so eben auch die Städte – sondern haben mir neue Freunde geschenkt, neue Erfahrungen, wilde Nächte und schöne Sonntage. Durch Tinder kenne ich Menschen in ganz Deutschland, in Indien, Russland, USA.

Man muss, um all das zu haben, keine Dating Apps installieren. Aber man kann es.

Und was man sollte, ist auch: genau das den eigenen Eltern verständlich machen. Denn die sind schließlich auch nur Menschen und können die Welt ihrer Kinder nur verstehen, wenn eben diese keine billigen Ausreden erfinden, wofür dieses und jenes ist. Das mit dem Sex kann man ja rauslassen, denn, versprochen: Eltern verstehen fast immer mehr, als man so glaubt. Auch, wenn man es nicht ausspricht.

ein Artikel von
Emina Benalia
"Wenn ich einmal reich wär", sang einst Anatevka in dem gleichnamigen Musical. Als Kind einer Musikwissenschaftlerin kannte Emina Benalia das Lied aus ihren Kindertagen. Viel mehr Wissen wurde ihr über Finanzen, Versicherungen und Geldanlagen zu Hause nicht vermittelt. Umso wichtiger ist es für sie, als ZASTER-Redakteurin diese Themen aufzuarbeiten und ihren Lesern verständlich zu vermittelt – sexy, fluffig, interessant, leidenschaftlich und informativ.