Wolf of Wallstreet

„N26 ist wie Ryanair – Economy ohne Beinfreiheit und Gratis-Getränk“

von Steven Plöger

Fintech – jeder hat es schon mal gehört, aber keiner weiß so recht, was das überhaupt ist. Die sexy Kurzform von dem sperrigen Begriff „Finanztechnologie“ liest man mittlerweile in jeder zweiten Wirtschaftsnachricht und vor allem in Berlin scheinen sie sich in rasendem Tempo zu vermehren.

Die meisten von uns nutzen sie auch irgendwie, aber ist das jetzt gut oder nur wieder so ein überflüssiger Hype? Spätestens seitdem das deutsche Fintech-Startup N26 zur Herde der Einhörner gehört, ist das Thema wieder bei jedem guten Banken-Stammtisch vertreten. Unicorns sind solche Unternehmen, die mindestens eine Milliarde Euro wert sind – im Fall N26 sind es seit der letzten Finanzierungsrunde sogar 2,3 Milliarden Euro.

Wird also höchste Zeit, dass wir mal bei unserem Finanzexperten nachfragen: Investment-Banker Julian Kiderle sieht in Fintechs eine logische Konsequenz unserer digitalen Zeit, aber auch eine Gefahr. Was das jetzt alles mit Ryanair und Beinfreiheit zu hat, lest ihr in unserem Interview.

Fintech hört sich total easypeasy und cool an. Mindestens genauso cool sehen all die hippen CEOs unter 30 aus, die sich in Berlin Kreuzberg einen Hipster-Fintech-Chefsessel nach dem anderen teilen. Soweit die Vorurteile. Aber es muss ja einen Grund geben, warum es immer mehr von diesen Fintechs gibt, oder?

Ja, den Grund gibt es. Aber Fintech ist nicht gleich Fintech. Einige Startups, über die man häufig spricht, so auch N26, gehören zum Commercial Banking, also zum Privatkunden-Geschäft. Man hört auch oft das Wort Startup-Bank. Aber es gibt eben auch viele Fintechs, die keine Banken sind und andere Finanzdienstleistungen in anderen Bereichen anbieten. Das, was N26 & Co. machen, ist ja ziemlich banal, wenn auch sehr clever: Sie heben das Bankengeschäft vom Offline-Leben auf eine Online-Plattform. Das persönliche Erleben, in eine Bankfiliale zu gehen, sich beraten zu lassen, mit einem Bankkaufmann inklusive Krawatte zu reden, wird vom Analogen ins Digitale gehoben. Die Ansprüche bleiben, die Bedürfnisse bleiben – es ändert sich letztendlich einfach nur die Art und Weise der Durchführung. Mehr ist es eigentlich nicht.

Schon ist die ganze Romantik verpufft. Aber was macht dann ein Fintech-Unternehmen wie N26 anders als Online-Banken?

Nicht viel. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine Comdirect oder DKB, die ihr Bankengeschäft auch online abwickeln. N26 möchte das alles noch besser und effizienter machen und die Frage ist: Schaffen sie das wirklich?

Und, schaffen sie es?

Das Problem ist, dass man hier relativ schnell an die Grenzen stößt und für bestimmte Leistungen, die Fintechs gerne anbieten würden, spezielle Lizenzen benötigen, die sie nicht haben oder eine Banklizenz vorliegt, die löchrig ist. Dafür muss man aber wissen: Diese Lizenzen zu bekommen, ist alles andere als einfach. Es gibt zum Beispiel Teilbanklizenzen, die E-Geld-Lizenz, mit der man Geschäfte mit elektronischem Geld abwickeln darf. Dazu gehört zum Beispiel der Handel mit Wertpapieren. N26 ist eins der wenigen Fintechs, das eine Vollbanklizenz besitzt. Aber es gilt auch: Produkte wie N26 sind eine Art Ryanair unter den Finanzprodukten.

Was hat das denn jetzt mit Fliegen zu tun?

Ganz einfach: Sie bieten klassische Leistungen an, Economy Basic Class: Du kriegst ein Online-Konto, eine Karte, du kannst Geld abheben und die Sperrhotline anrufen, aber nicht viel mehr. Es bietet nicht den umfassenden Service an wie eine Comdirect oder DKB oder ähnliche Anbieter.

Also Banking ohne Beinfreiheit und Gratis-Getränk.

Ja genau, und diese Einschränkungen sind schon spürbar: Du kannst zum Beispiel nur fünf Mal im Monat gratis Geld abheben, was für den deutschen Bargeldzahler ein großes Problem darstellt. Extra-Leistungen verursachen dann eben auch Extra-Kosten. Hier greift das Konzept Baukastensystem: Du suchst dir die Leistungen aus, die man leicht skalieren kann und bietest dadurch dein eigenes Produkt sehr sehr günstig sehr sehr vielen Leuten an. Andere Finanzprodukte kann N26 nur mithilfe von Kooperationspartnern anbieten: Die stellen die Expertise, N26 stellt die Infrastruktur.

Quantität anstatt Qualität?

Nein, das würde ich nicht sagen, die Qualität zweifle ich gar nicht an. Das, was sie tun, tun sie gut, also auch qualitativ gut. Diese Läden picken sich eben das heraus, was gut über die Masse vertrieben werden kann. Dadurch limitieren sie sich aber eben auch selbst und können wenig darüber hinaus anbieten.

Ok, aber N26 schmückt sich ja auch genau mit dem Argument: Ihre Kosten pro Kunde sind lediglich ein Sechstel der Kosten von traditionellen Banken. Aber die Frage, die sich der Kunde dann stellen muss, ist eben: Was bekomme ich dafür noch?

Genau richtig. Ich selbst bin auch Kunde bei der DKB und war noch nie in einer Bankfiliale, um mich dort beraten zu lassen. Ich gehe auch nicht in eine Bankfiliale an den Schalter, um Geld abzuheben oder um einen Kredit zu beantragen oder sonst was. Aber: Sobald ich das brauche, werde ich auch zu einer anderen Bank gehen müssen. Und das hat nichts mit digital oder analog zu tun. Wenn meine Bank keine Kreditvergabe oder andere beratungsintensivere Dienstleistungen regeln kann, bringen mir auch die günstigen Konditionen nichts. Genau diese Leistungen sind aber eben die Sachen, die bei anderen Banken Kosten verursachen. Sie legen die Kosten auf das ganze Produktportfolio um, bei günstigen Fintechs fallen die Kosten ganz weg, aber dafür fallen auch die Leistungen ganz weg.

Wenn das nichts Neues ist, wieso boomt dann die Fintech-Szene so sehr?

Auf der einen Seite ist das ganz offensichtlich: digitaler Fortschritt. Mehr Menschen nutzen das Internet fürs Banking, d.h. die Nachfrage wird höher, dementsprechend steigt auch das Angebot. Zum anderen: Die Schicht der Menschen, die diese Dinge nicht im Internet erledigen, bricht bzw. stirbt einfach immer mehr weg. Das Traditionelle „meine Oma geht zur Sparkasse und holt sich den … wie heißt das … Überweisungsschein“ das gibt es kaum noch. Und es gibt natürlich auch das Filial-Sterben, darunter fällt Gentrifizierung, Ausbau der Internetversorgung und so weiter. Das Bedürfnis an Banken bleibt gleich, aber der konservative Bankenmarkt wandelt sich mehr und mehr in Richtung der jungen Leute.

Das hätten wir aber auch schon früher haben können, oder? Denken wir mal an afrikanische Staaten wie Tansania, in denen es Alltag ist, mit dem Handy zu bezahlen.

Definitiv. Geh hier in Deutschland mal zu einem Kiosk und frag, ob du mit Karte zahlen kannst. Dann heißt es: Nein, erst ab zehn Euro. Das sind Sachen, bei denen ich mir immer noch an den Kopf fassen muss. Ich habe in Holland schon vor sieben Jahren mit meiner Karte einen einzigen Kaugummi bezahlt und wir verharren hier immer noch so stark auf Bargeld. Hier warten wir immer noch auf gutes Wifi im überteuerten ICE und in Holland gibt’s das in jeder Straßenbahn. Kurz: Wir sind noch sehr weit hintendran, welche Möglichkeiten uns die Digitalisierung geben könnte und da spielt auch das traditionelle Bankengeschäft eine große Rolle.

Ok, nochmal zu Fintech. Wenn das alles eigentlich nichts Neues ist, was bedeutet dann überhaupt konkret Fintech?

Fintech steht kurz für Finanztechnologie, letztendlich ist das ein fancy Begriff für die Effizienzsteigerung im Bereich Finanzen, also die Modernisierung von veralteten Systemen im Bankengeschäft. Die meisten Fintechs sind B2C, sprechen also den Endkunden direkt an. Es gibt natürlich auch die B2B-Fintechs, aber die sind weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Was auch wichtig zu verstehen ist: Fintechs ersetzen Banken nicht zwangsweise, sie arbeiten nicht einmal gegeneinander. Im Gegenteil: Es gibt immer mehr Kooperationen. Banken und Fintechs können gemeinsam einiges erreichen und haben viel Potenzial, und zwar in der Synergie zwischen einer Bank mit Banklizenz und einem Fintech mit skalierbarer Plattform und der heutzutage notwendigen Online-Expertise.

Fintech ist also der positive Imagewandel des altbackenen Bankengeschäfts?

Das klingt jetzt etwas hart, aber spitz formuliert: Ja. Banken werden heute als sehr konservativ wahrgenommen, vor allem junge Leute verbinden es mit Anstrengungen und einem Know-How, das sie nicht haben. Fintech greift da an, macht unsexy Themen wieder sexy und einfache Produkte noch einfacher. Anbieter wie N26 heben Banking auf eine digitale Ebene, dadurch wird es effizienter, schneller und breiter verfügbar.

Also alles paletti?

Vieles, aber nicht alles. Was ich auf jeden Fall positiv sehe, ist, dass Fintechs den Umgang mit den eigenen Finanzen breiter verfügbar und einfacher machen. Im besten Fall beschäftigen sich dann die jungen Leute lieber, besser und mehr mit ihren Finanzen. Genauso präsentieren sich diese Fintechs auch: Sämtliche U-Bahn-Stationen sind mit großen Plakaten von N26 beklebt, auf denen man Eis am Stiel oder junge Frauen mit Schwimmbrille sieht. Diese Fintechs sprechen den individuellen, ungebundenen Lebensstil jüngerer Generationen an und brechen mit dem Klischee, alte Leute haben das Geld und die Ahnung, junge Leute haben weder das eine noch das andere.

Aber?

Aber ich sehe eben auch eine gewisse Gefahr: Meines Erachtens wird diese Fintech-Szene teilweise nur als sexy und supereasy vermarktet, ohne einen wirklichen Mehrwert zu bringen. Wenn ich einen Zehn-Stunden-Flug vor mir habe für eine längere Reise bringt mir das Ryanair-Ticket ohne Gepäckstück, Beinfreiheit und Essen nicht viel. Müsste ich alle notwendigen Add-Ons hinzubuchen, kann es also passieren, dass ich im Endeffekt gar keinen Gewinn davon habe.

Was ist also dein Tipp?

Mein Tipp ist Mitdenken. Nicht jedes Fintech macht für einen Sinn und nur weil es sich easy anhört, muss es nicht sinnvoll sein. Aber ich finde es wichtig, das gesamte Thema rund um Finanzen aufzulockern und greifbarer zu machen, dazu gehört auch zu verstehen, was Fintechs sind, was sie können – und was eben auch nicht.

Noch greifbarer wird es natürlich, wenn ich nicht nur weiß, bei welcher (Fintech-)Bank man sein Geld anlegen kann, sondern auch wie. Genau darum geht es im nächsten Teil – darin verrät uns Julian seine ultimativen Anlage-Tipps. Spoiler: Man muss überraschend wenig wissen, um viel Geld mit seinem Geld zu machen.

ein Artikel von
Steven Plöger