WIE GLÜCKLICH MACHT GELD?
Als ich mit meinem Hund auf dem idyllischen Waldweg um die Ecke bog, musste ich an einen meiner früheren Lehrmeister an der Deutschen Journalistenschule in München denken: Dagobert Lindlau, ehemaliger Chefreporter des Bayerischen Rundfunks, Vollblutjournalist, Talkmaster.
Ihm habe ich ganz genau zugehört, als er uns damals die hohe Kunst der Reportage nahebrachte. „Hinter jeder Ecke lauert eine Geschichte, deshalb haltet immer die Augen offen“, sagte er meinem Mitschüler Walter und mir einmal nach einer Unterrichtstunde.
Das mache ich seitdem, und gehe aufmerksam durch die Welt. Daher witterte ich direkt eine Story, als ich ein älteres Ehepaar ins Unterholz spähen sah. Der Mann nahm die Frau in den Arm, sie legte den Kopf an seine Schulter.
„Fragen, Fragen, Fragen“, hatte uns Lindlau eingeschärft. Also fragte ich. Der grauhaarige Mann mit dem akkuraten Seitenscheitel antwortete lächelnd: „Auf diesen Bänken haben meine Frau und ich uns vor über 50 Jahren den ersten Kuss gegeben“, erklärte er. Beide trafen sich damals heimlich, sie war katholisch, er evangelisch. Das gefiel der streng gläubigen Mutter des Fräulein Tochter zunächst nicht. Später hatten sie sich arrangiert.
Die alten Holzbänke waren stark verwittert, die Lehnen fehlten, auch das Tischchen, an das sich der Mann erinnerte, war der stetig nagenden Witterung zum Opfer gefallen. Aber es waren unverkennbar Sitzgelegenheiten. Ich hätte sie beim Vorbeigehen gar nicht wahrgenommen, das nette Pärchen hatte sie mit ihrer Geschichte zum Leben erweckt.
Wir sprachen über die aktuelle Coronakrise, den Spaziergang als eine Möglichkeit, sich mit Abstand zu bewegen. Die Frau freute sich, dass sie auch vielen jungen Pärchen begegneten. „Wir haben eins auf einer Bank weiter vorne gesehen, das sich geküsst hat“, sagte sie verschmitzt.
Vielleicht schreibt deren Bank ja auch eine Liebesgeschichte – und sie werden sich einst erinnern an eine Zeit, als man nicht verreisen konnte und stattdessen den Spaziergang neu für sich entdeckte.
